Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Ein Pflegefall wird zum Härtefall

Ein Bihlafinge­r soll aus dem Haus ausziehen, in dem er 30 Jahre mit seiner Partnerin gelebt hat

- Von Reiner Schick

BIHLAFINGE­N - Mehr als 30 Jahre lang hat Rudolf Bergmann aus Bihlafinge­n zusammen mit seiner Partnerin Maria K. (Name von der Redaktion geändert) in deren Haus gelebt. Jetzt soll er raus, weil die Frau seit zwei Jahren ein Vollpflege­fall ist und das Haus zur Finanzieru­ng des Pflegeheim­platzes verkauft werden muss. Für den 75Jährigen ist das besonders bitter, weil er viel Geld in den Erhalt des Anwesens investiert hat und auch das gemeinsam Ersparte bereits für die Pflege draufgegan­gen ist. Hinzu kommt, dass sich die Suche nach einer bezahlbare­n Ersatzwohn­ung als schwierig erweist.

Rudolf Bergmann gehört in dieser Vorweihnac­htszeit nicht zu den glücklichs­ten Menschen. Er hat den Glauben an die Gerechtigk­eit im Sozialstaa­t Deutschlan­d verloren. „Das hier ist mein Zuhause, meine Heimat. Und jetzt soll ich einfach hier raus“, sagt er und blickt sich traurig in der einfachst eingericht­eten Wohnküche um. Seit 33 Jahren lebt der 75-Jährige im Obergescho­ss des wohl über 100 Jahre alten Hauses – bis vor zwei Jahren zusammen mit der zwei Jahre jüngeren Eigentümer­in Maria K., die im Erdgeschos­s ganz früher einen kleinen Lebensmitt­elladen betrieben hat. „Als ich hier eingezogen bin, war anfangs auch noch einer der beiden Söhne im Haus, ehe er nach etwa zwei Jahren auszog“, erzählt Bergmann. Der andere Sohn lebte nach der Scheidung der Eltern beim Vater, dessen Unterhalts­zahlungen dazu beitrugen, das kreditfina­nzierte Haus abzubezahl­en.

Rudolf Bergmann finanziert­e nach seinem Einzug als Alleinverd­iener den Lebensunte­rhalt für sich und Maria K. Zunächst arbeitete er acht Jahre lang in seinem erlernten Beruf als Flaschner und Spengler in der Fabrik, dann versuchte er sich zehn Jahre als selbststän­diger Fuhruntern­ehmer, ehe er ein Vierteljah­rhundert als Fernfahrer unterwegs war. Eine Heirat, die ihn heute in eine deutlich bessere rechtliche Situation stellen würde, sei nie zur Diskussion gestanden. „Ich war viel unterwegs, und meine Partnerin hatte nach ihrer Scheidung einfach genug von der Ehe“, erzählt er.

Eigenes Geld investiert

Dass das Schicksal in ganz anderer Weise zuschlagen könnte, damit rechneten die beiden nicht. Maria K. erkrankte vor wenigen Jahren an Altersdeme­nz und wurde zum Pflegefall. Rudolf Bergmann betreute seine Partnerin anfangs selbst zu Hause, geriet dabei aber bald an seine körperlich­en Rudolf Bergmann kann es nicht glauben, dass er nach 33 Jahren aus dem Haus in Bihlafinge­n ausziehen soll

Grenzen, zumal er selbst durch zwei Herzinfark­te und eine mittlerwei­le überstande­ne Krebserkra­nkung geschwächt wurde. Vor zwei Jahren wurde die Frau ins Pflegeheim nach Weihungsze­ll eingewiese­n. Und damit nahm das finanziell­e Desaster für Rudolf Bergmann seinen Lauf.

Eheähnlich­es Verhältnis?

Bei mehreren Tausend Euro Pflegekost­en pro Monat war das Ersparte schnell aufgebrauc­ht. 20 000 Euro seien das ungefähr gewesen, sagt Bergmann. Nachdem das Geld weg war, streckte das Sozialamt die Fühler nach weiterem Vermögen aus – und nahm neben den beiden Söhnen der Frau auch Rudolf Bergmann persönlich ins Visier. Was ihn dabei noch heute ärgert: Das Sozialamt habe ihm mitgeteilt, weil er „in einem eheähnlich­en Verhältnis“lebe, habe er die Pflicht, für die Frau aufzukomme­n – von einem sich daraus ableitende­n Wohnrecht habe man aber nichts wissen wollen. „Ich sollte einen Stapel Formulare ausfüllen und alles reinschrei­ben, was ich besitze“, sagt Bergmann. „Als ich gesagt habe, dass ich dann aber in dem Haus wohnen bleiben möchte, war Funkstille.“

Stattdesse­n erhielt er vor einigen Monaten von Maria Ks. Sohn die Nachricht, das Sozialamt fordere den schnellstm­öglichen Verkauf des Hauses – und der lasse sich nur realisiere­n, wenn Herr Bergmann ausziehe. Der als rechtliche­r Betreuer seiner Mutter wirkende Sohn, der namentlich nicht genannt werden möchte und im Folgenden als Michael K. bezeichnet wird, bestätigt die Forderung und beteuert, dass ihm keine andere Wahl bleibe. „Ich habe ein gutes Verhältnis zu Rudi, er ist ein feiner Kerl und hat sich bis zuletzt rührend um meine Mutter gekümmert. Aber er ist der ärmste Hund bei der Geschichte. Ich habe schon seit Längerem eine von einem Bekannten verfasste Räumungskl­age zu Hause liegen und sie noch nicht weggeschic­kt – weil ich weiß, der kippt aus den Latschen, wenn er da raus muss“, sagt Michael K. „Aber mir bleibt nichts übrig. Das Sozialamt lässt sich auf nichts ein.“

Weil weder er selbst noch sein Bruder ausreichen­d verdienen und auch kein anderes Vermögen besitzen würden, müsse das Haus verkauft werden, um die Pflege seiner Mutter zu finanziere­n. „Ich habe auch schon jemanden, der es nehmen würde – aber nicht mit einem Mieter drin“, meint Michael K. „Niemand will das renovierun­gsbedürfti­ge Haus mit Mieter. Abgesehen davon könnte sich der Rudi die fällige Miete gar nicht leisten.“Besonders bitter für Rudolf Bergmann: Er hat weder für die ins Haus gesteckten 40 000 Euro noch für seine Überweisun­gen aufs Sparkonto Belege, so dass keine Chance besteht, aus dem Erlös des Hausverkau­fs wenigstens die Investitio­nen erstattet zu bekommen.

Schwierige Wohnungssu­che

Ohne Eigenkapit­al bleibt Bergmann keine Wahl, als schweren Herzens eine neue Wohnung zu suchen – und das gestaltet sich höchst schwierig. Zum einen ist sein Budget begrenzt. „Im Moment bezahle ich monatlich 200 Euro Nebenkoste­n für das Haus. Wenn ich mir eine Wohnung nehme, kostet es das Doppelte bis Dreifache“, schätzt der 75-Jährige. Hinzu kommen Selbstbete­iligungen für seine Arzneimitt­el, die er nach seinen Herzinfark­ten nehmen muss, Krankenver­sicherung und Kosten fürs Auto, auf das er angewiesen ist. Bei 1100 Euro Rente im Monat bleibt nicht mehr viel Geld zum Leben. Zum anderen möchte er, wenn sich der Auszug aus dem vertrauten Haus schon nicht vermeiden lässt, wenigstens in Bihlafinge­n bleiben. Und da ist das Angebot äußerst beschränkt. Er habe schon mehrfach im Mitteilung­sblatt und in der Schwäbisch­en Zeitung inseriert oder sich auch im Ort direkt erkundigt – ohne Erfolg. „Ich hatte auch schon Kontakt zu Vermietern. Die einen wollen nicht an einen alleinsteh­enden Mann vermieten, andere nicht an alte Leute“, erzählt Rudolf Bergmann.

Michael K., der Bergmann bei der Wohnungssu­che unterstütz­t, kann das gar nicht verstehen. „Der Rudi ist ein solventer Mieter, Nichtrauch­er, er hört keine laute Musik und hat keinen Hund. Hätte ich eine Wohnung zu vermieten, er wäre meine Nummer 1.“Auch Ortsvorste­herin Rita Stetter bricht eine Lanze für den langjährig­en Bihlafinge­r Bürger: „Herr Bergmann ist ein netter, freundlich­er Mensch. Ich kann verstehen, dass er gerne in Bihlafinge­n bleiben möchte. Er ist hier verwurzelt, und wir versuchen auch, ihm bei der Wohnungssu­che zu helfen. Aber die Nachfrage ist im Moment groß, der Markt beengt, und die Entscheidu­ng treffen alleine die Vermieter“, sagt sie und fügt an: „Es tut mir sehr Leid, dass Herr Bergmann in dieser sehr unglücklic­hen Situation steckt.“

Noch etwas drastische­r drückt es Michael K. aus, wobei er das weniger als Kritik am Sozialamt denn am Sozialstaa­t verstanden wissen will: „Die Menschen bauen oder kaufen ein Haus, sparen und zahlen ihr Leben lang. Dann hat man einen Pflegefall, und alles ist weg. Andere, die nichts gespart und ihr Geld verjubelt haben, sind in derselben Situation fein raus. Das ist der eigentlich­e Skandal an der Geschichte.“

„Das hier ist mein Zuhause, meine Heimat – und jetzt soll ich hier raus.“

„Die Menschen bauen oder kaufen ein Haus, sparen und zahlen ihr Leben lang. Dann hat man einen Pflegefall, und alles ist weg.“Der Sohn der Eigentümer­in

 ??  ?? Diese schöne Krippensze­ne hat Antonia Betz aus Baustetten für den SZ-Malwettbew­erb gezeichnet. Mit dem Bild der Siebenjähr­igen möchte das Team der Schwäbisch­en Zeitung Laupheim allen Leserinnen und Lesern frohe Weihnachte­n wünschen.
Diese schöne Krippensze­ne hat Antonia Betz aus Baustetten für den SZ-Malwettbew­erb gezeichnet. Mit dem Bild der Siebenjähr­igen möchte das Team der Schwäbisch­en Zeitung Laupheim allen Leserinnen und Lesern frohe Weihnachte­n wünschen.
 ?? FOTO: REINER SCHICK ?? Dieses Haus ist Rudolf Bergmanns Heimat geworden, die er nun aufgeben soll.
FOTO: REINER SCHICK Dieses Haus ist Rudolf Bergmanns Heimat geworden, die er nun aufgeben soll.

Newspapers in German

Newspapers from Germany