Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Der märchenhafte Aufstieg der Marmeladenoma
Wie eine 86-Jährige mit ihrem 15 Jahre alten Enkel zum gefeierten Youtube-Star wurde
vor dem Bildschirm und seine Oma mehr Zeit mit ihren Büchern. Weil er jedoch viel lieber wieder etwas mit anstatt nur neben ihr machen wollte, überlegte Janik sich, wie man sein Interesse für Computer und Omas Leidenschaft für Geschichten unter einen Hut bringen könnte. Die Idee des Märchen-Livestreams war geboren. Weil seine Oma die beste Marmelade der Welt kocht, nannte Janik das Format „Die Marmeladenoma.“
„Am Anfang waren wir eine schnuckelige Sendung mit ein paar treuen Fans, aber dann kam Gronkh“, berichtet die Marmeladenoma. Es gibt wohl nur wenige 86-Jährige, die wissen, wer oder was Gronkh ist. Helga hingegen weiß, dass „der liebe Gronkh“einer der erfolgreichsten deutschen YouTuber mit fast 4,7 Millionen Abonnenten ist. Und dieser Gronkh landete auf Helgas Live-Stream, verliebte sich in die Marmeladenoma Oma liest Märchen vor und Hunderttausende Fans im Netz hören zu: Das ist das Erfolgskonzept von Janik und seiner Großmutter.
und empfahl seinen Fans ihre Märchenstunde. Kurz darauf brach der Stream unter dem Ansturm zusammen. Mittlerweile läuft die Liveübertragung wieder ruckelfrei, die Videos wurden bislang mehr als acht Millionen Mal angesehen, auf YouTube haben die Oma und ihr Enkel, die zum Schutz ihrer Privatsphäre ihre Nachnamen nicht preisgeben wollen, mittlerweile fast 190 000 Abonnenten.
Fast drei Viertel von ihnen sind männlich, über 60 Prozent sind zwischen 18 und 34 Jahre alt und alle flüchten sich am Samstagabend gerne zwei Stunden in eine heile Welt. Dann liest die Marmeladenoma teilweise recht holprig vier Märchen
vor, beantwortet Fragen ihrer Fans und erzählt, wie sie vor 82 Jahren Weihnachten gefeiert hat oder eine andere Geschichte aus ihrer Kindheit. Dass ein böser Wolf mit Wackersteinen gestopft wird oder ein geküsster Frosch sich in einen Prinzen verwandelt, ist das Aufregendste, was in diesen zwei Stunden passiert. Wohl kaum jemand bedient die Sehnsucht nach Ruhe, Geborgenheit, Entschleunigung, heiler Welt und Eskapismus besser als die Marmeladenoma.
„Eigentlich ist es ein Wunder, dass ich Dinosaurier da überhaupt mitmache. Ich hatte früher eine regelrechte Abneigung gegen das Internet. Es hat mich gestört, dass die
jungen Leute ständig am Computer sitzen und auf ihre Handys starren“, sagt die Oma, die als junge Frau noch auf Feuer gekocht hat, bis heute keinen Geschirrspüler besitzt („Brauche ich nicht.“), ihr Handy („Also so ein normales, nicht so ein Smartphone.“) ausgeschaltet in einer Schublade aufbewahrt und Musik am liebsten vom Plattenspieler hört. Nur das von Janik eingerichtete iPad ist mittlerweile zum unverzichtbaren Arbeitsmittel geworden.
„Janik und ich sind ein tolles Team“, sagt die Oma, die ihrem Enkel vor jeder Livesendung zwei Zwiebelwurstbrötchen schmiert und ihn so gütig und liebevoll anschaut, wie nur Omas es können. Seinetwegen wagt
die Seniorin sich jeden Tag ein bisschen mehr von ihrer Märcheninsel ins digitale Neuland vor und genießt ihren neuen Ruhm.
Wird die bescheidene Großmutter auf ihre alten Tage so noch zu einer digitalen Rampensau? „Nein! Ich bin überhaupt nicht geltungssüchtig, höchstens sendungssüchtig. Ich wollte mit meinen Geschichten schon immer mehr Liebe in die Welt bringen. Und ich bin sehr dankbar, dass dank Janik jetzt mehr Menschen meine Botschaft hören können“, so die Oma.
86 Jahre Leben, ein Weltkrieg, vier Kinder, vier Enkel und fünf Urenkel haben in Helgas Gesicht tiefe Falten hinterlassen. Doch in ihren Augen blitzt noch die kindliche Neugier eines kleinen Mädchens auf. Ihre Lebenserfahrung und Lebensfreude gibt sie jetzt an ihre Anhänger weiter.
Fast jeden Tag zwischen acht Uhr abends und Mitternacht beantwortet sie handschriftlich Fanpost. Für viele ihrer Zuschauer ist sie eine Art Ersatz-Oma geworden. Oft fragen die Schreiber sie nach Rat. Einer lebensmüden Frau haben die Briefe der Märchen-Oma neuen Lebensmut geschenkt und sie so gerettet.
Doch wer sich im Internet präsentiert, der wird nicht nur geliked, sondern manchmal auch von „Hatern“angegriffen. „Neider gibt es überall. Am besten ist es, sie einfach zu ignorieren“, meint Janik und seine Oma nickt zustimmend.
Der Enkel und die Oma scheinen einen Generationenvertrag geschlossen zu haben, der ohne Worte auskommt. Schon wenn die alte Dame daran denkt, sich aus dem tiefen Sofa zu erheben, steht Janik neben ihr, um ihr zu helfen. Und wenn ihr zurückhaltender Enkel bei Interviews mal wieder um eine Antwort verlegen ist, springt die ungeduldige Oma schnell in die Bresche.
Ungeduldig ist sie vor allem mit sich selbst. Nach einem Sturz fällt ihr das Gehen schwer, eigentlich sollte sie jetzt in einer Schmerzklinik sein. „Aber“, so die Großmutter, „ich bin einfach abgehauen, um zur Preisverleihung zu fahren. Das ist die beste Medizin.“
Die Videos der Marmeladenoma sehen Sie unter www.schwäbische.de/ marmeladenoma