Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Der Rattenfänger von Montecito
Es gibt possierliche Tierarten wie Koala oder Angorameerschweinchen, es gibt sonderbare wie Nacktmull oder Schnabeltier, es gibt gefährliche wie Löwe und Grizzlybär. Und dann gibt es jene Spezies, die Menschen – vor allem den weiblichen Teil der Bevölkerung – zu spitzen Ausrufen, Kreischerei oder Anrufen beim Kammerjäger verleiten: Spinnen, Kakerlaken oder das Nonplusultra des Entsetzens: Ratten. Schädlingsbekämpfer gehen berufsbedingt optimistisch davon aus, dass in Industrieländern auf einen Einwohner bis zu vier Nager kommen. Dies ergäbe für Deutschland mehr als 320 Millionen Ratten, für die USA 1,2 Milliarden Exemplare. Die Zahl der von ihnen herumgeschleppten Keime, Bakterien und Krankheitserreger dürfte in den Bereich der Tredezilliarde reichen.
Und was macht T.C. Boyle? Keinen Unterschied zwischen Ratte und Angorameerschweinchen. Der berühmte US-Schriftsteller, bekennender Vegetarier und unerschrockener Kämpfer für Tierrechte, schützt die Nager. In seinem Heimatort Montecito nahe Santa Barbara, so erzählte es der 69Jährige dem „Playboy“, sei er berüchtigt für seinen Eifer. Die Nachbarn töteten die verhassten Tiere, weil diese immer an den Autokabeln knabbern würden. „Also sammle ich die Ratten ein und setze sie fünf Meilen entfernt in den Bergen wieder aus“, sagte er. „160 habe ich schon gerettet.“Lächerlich im Vergleich zur Milliarde! Und dazu noch: mickrige fünf Meilen! Diese Strecke legt die gemeine Wanderratte zur Not auf einem Bein zurück! Gäbe es nicht schon den Spruch „Eulen nach Athen tragen“, könnte man ihn locker ersetzen mit „Ratten ins Gebirge tragen“. (jos)