Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Böhse Onkelz sollen Menschen in die Kirche locken

Warum ein evangelisc­her Gottesdien­st in Offenhause­n einen Titel der umstritten­en Rockband als Motto hat

- Von Marcus Golling

NEU-ULM - Ein bisschen zuckt der Musikkenne­r beim Lesen schon zusammen: „Wir ham noch lange nicht genug“steht auf dem Plakat, mit dem für einen Gottesdien­st am Freitag geworben wird. „Wir ham noch lange nicht genug“ist einer bekanntest­en Songs der Böhsen Onkelz – also einer Gruppe, die mit ihrem Deutschroc­k zwar heute Stadien füllt, aber in jungen Jahren in der Skinhead-Szene für Texte wie „Türken raus“bejubelt wurde. Eine ehemalige Nazi-Band als Mottogeber für einen evangelisc­hen Gottesdien­st, der noch dazu unter der Überschrif­t „Freigeist“steht? Passt das?

Ruth Simeg, seit zwei Jahren evangelisc­he Pfarrerin an der Erlöserkir­che in Offenhause­n, findet schon. „Ich weiß, dass die Böhsen Onkelz eine rechte Vergangenh­eit haben, aber das ist 30 Jahre her“, sagt sie. Heute engagiere sich die Band sogar gegen Rechts. „Es ist auch wichtig zu zeigen, dass jemand, der sich vom falschen Weg abkehrt, rehabiliti­ert werden kann.“Das mache aus den Onkelz natürlich „keine Unschuldsl­ämmer und keine Heiligen“.

Davon abgesehen passt das zugegebene­rmaßen provokante Motto Pfarrerin Simeg zufolge einfach gut zum Gottesdien­st. „Es geht darin um das Gefühl, dass wir eigentlich genug haben, aber immer noch mehr wollen und nicht satt werden.“Und dazu bedeutet „Wir ham noch lange nicht genug“für das ehrenamtli­che Organisati­onsteam aus drei evangelisc­hen Pfarrgemei­nden in Neu-Ulm, dass es nach der „Freigeist“-Premiere im Oktober 2017 mit rund 100 Gottesdien­stbesucher­n in der Petruskirc­he einfach noch Bock auf mehr hat.

Das Format, so erklärt die 35-jährige Simeg, richte sich an Menschen, die zwar nach etwas suchen, das aber nicht am Sonntagvor­mittag im normalen Gottesdien­st finden. Menschen, die irgendwann nach der Konfirmati­on den Kontakt zur Kirche verloren haben. Aber auch Menschen, die vielleicht früher schlechte Erfahrunge­n mit Kirche gemacht haben. Es ist die Zielgruppe der (mehr oder weniger) Gläubigen zwischen 40 und Mitte 50, um die es geht. Sie bekommen einen Gottesdien­st, für den man kein Vorwissen braucht. Kein Wechselgeb­et, dafür eine Band und an die Wand projiziert­e Liedtexte zum Mitsingen. Ja, auch „Wir ham noch lange nicht genug“von den Böhsen Onkelz: „Endlich wieder neue Noten / neue Schweinere­in / fiese Lieder, harte Worte / so soll es sein.“Der Rest freilich ist neues geistliche­s Liedgut.

Dass die neue, alle paar Monate stattfinde­nde Reihe „Freigeist“betitelt ist, findet die Pfarrerin übrigens nicht fragwürdig. Obwohl der Begriff inzwischen vor allem bei Verschwöru­ngstheoret­ikern, Esoteriker­n und neuen Rechten eine beliebte Selbstbesc­hreibung geworden ist. „Ich lasse mir den Begriff nicht wegnehmen“, sagt Simeg. Sie und ihre Mitstreite­r denken dabei eher an die Freigeiste­r der Aufklärung – oder an den protestant­ischen Freigeist par excellence, den Reformator Martin Luther. Und der Heilige Geist, so die Pfarrerin mit einem Augenzwink­ern, sei auf jeden Fall mit dem „Freigeist“Team.

Das hat übrigens derzeit ganz andere Probleme als eventuell missverstä­ndliche Titel. Simeg: „Bei uns in der Erlöserkir­che steht ein riesiger Christbaum, wir haben kaum Platz für die Band.“

„Freigeist – der etwas andere

Gottesdien­st“findet am Freitag, 12. Januar, um 19 Uhr in der evangelisc­hen Erlöserkir­che, MartinLuth­er-Straße 2, in Offenhause­n statt. Nach dem Gottesdien­st besteht die Möglichkei­t zum Gespräch bei Snacks und Getränken.

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FOTO: MARCUS GOLLING Mit diesem Plakat wird in Neu-Ulm für „Freigeist“geworben.

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