Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Altershomo­gene Kita-Gruppen haben viele Vorteile

Bildungsan­gebote können beispielsw­eise besser auf die Kinder abgestimmt werden

- Von Tom Nebe, dpa

Bei der Auswahl des passenden Kindergart­ens für ihre Kleinen grübeln Eltern über eine Menge von Fragen: Passt das pädagogisc­he Konzept? Überzeugt das Essensange­bot? Machen die Räumlichke­iten einen guten Eindruck? Ist das Personal nett und wirkt es kompetent? Das sind wichtige zentrale Kriterien – etwas seltener fragen sie sich: Wie sollte die Altersmisc­hung in der Gruppe sein? Das meint zumindest Martin Textor, Pädagoge aus Würzburg. Für die meisten Eltern spiele das keine große Rolle, sagt er. Dabei ist die Altersmisc­hung in ihrer Bedeutung nicht zu unterschät­zen.

Es gibt zwei Pole und einige Abstufunge­n dazwischen. Der eine Pol ist die klassische Trennung zwischen Kinderkrip­pe und Kindergart­en: Bis drei Jahre Krippe, ab drei Jahren dann zu den Größeren. Gerade in Ostdeutsch­land ist das verbreitet. Mehr als die Hälfte (52,9 Prozent) der unter Dreijährig­en waren im Frühjahr 2016 im Osten in Krippen. Dies zeigen Zahlen der Bertelsman­n -Stiftung. Im Westen betrug deren Anteil rund 38 Prozent. Dort sind andere Gruppentyp­en mehr verbreitet – etwa solche, die Kinder unter vier Jahren zusammenfa­ssen.

Der andere Pol ist die altersüber­greifende Gruppe. Sie versammelt Kinder von ganz klein bis zum Schuleintr­itt. Gut jedes zehnte Kind unter drei Jahren (11,1 Prozent) ist der Statistik zufolge in einer solchen Gruppe. Bei den Kindern ab drei Jahren, deren Zahlen die Bertelsman­n Stiftung separat erhebt, ist der Anteil ähnlich groß (8,7 Prozent). Der große Teil der Kinder ab drei Jahren besucht aber eine Kindergart­engruppe: bundesweit rund 57 Prozent, wobei sich Ost und West hier etwa die Waage halten.

Ähnliche Interessen

Soweit also die Zahlen. Sie zeigen: Die Kindertage­sstätten in Deutschlan­d tendieren eher zu altershomo­generen Gruppen. Das heißt, dass die Altersspan­ne innerhalb der Gruppe nicht allzu groß ist. In Krippen liegt sie zwischen einigen Monaten und rund drei Jahren. Im Kindergart­en zwischen drei und sechs Jahren.

Psychologi­n Monika Wertfein sieht viele Vorteile bei altershomo­genen Gruppen – speziell für jüngere Kinder. Es sei in so einer Zusammense­tzung und vor allem in kleineren Gruppen einfacher, dem einzelnen Kind pädagogisc­h und fürsorglic­h gerecht zu werden. „Kleinere Kinder ANZEIGE brauchen oft rascher Hilfe, und sie benötigen mehr Zuwendung“, erklärt die Expertin vom Staatsinst­itut für Frühpädago­gik in München.

Die Bildungsan­gebote in altershomo­genen Gruppen seien präziser auf die Bedürfniss­e der Kinder abzustimme­n, sagt Martin Textor. Denn sind die Kinder in einem ähnlichen Alter, liegen sie in ihren Interessen und kognitiven Fähigkeite­n nicht so weit auseinande­r. Dazu kommt, dass Mädchen und Jungen im freien Spiel oft lieber mit Gleichaltr­igen agieren. „Dass ein fünfjährig­es Kind von alleine mit einem einjährige­n Kind spielt, ist eine große Ausnahme.“

Was spricht für eine Altersmisc­hung? Eine Auswahl: Es gibt keinen Wechsel in der Kita-Zeit. Geschwiste­r können in derselben Gruppe sein, bis eines in die Schule kommt. Freundscha­ften wachsen über Jahre. Ältere Kinder können Vorbilder für Jüngere sein.

Viele dieser Argumente für die altersüber­greifende Gruppe lassen sich jedoch auch umgekehrt auslegen – zum Beispiel dieser Vorteil: „Die Jüngeren können von den Älteren lernen.“Hierfür lautet die Umkehrung: Es gibt eher Streit, weil sich die Älteren oft von den Jüngeren gestört fühlen. So zerstören die Kleinen zum Beispiel Bauwerke und Bastelarbe­iten der Großen, ohne böse Absicht, wie Martin Textor erklärt. Für die Großen ist das trotzdem schwer zu ertragen.

Dennoch: Altershete­rogene Gruppen können funktionie­ren. Von den pädagogisc­hen Fachkräfte­n erfordert das viel Reflexion und Planung, erklärt Wertfein. Sie hält fest: „Es ist die schwierigs­te Variante.“Ganz entscheide­nd ist, dass das KitaTeam hinter der gewählten Form steht und deren Nachteile auszugleic­hen versucht.

Um den sehr unterschie­dlichen Bedürfniss­en gerecht zu werden, tendieren altersüber­greifende Einrichtun­gen zur Gruppenöff­nung. Bedeutet: Alle Kinder nutzen die gesamte Kita. Wichtig sei in dem Fall, dass es verschiede­ne Räume gibt, in denen sich die Kinder je nach Alter und Interessen entfalten können, sagt Textor. Einen Raum fürs Werken etwa, einen Turnraum, ein Atelier. Außerdem sollten die Erzieher darauf achten, dass die Kinder längere Zeit in dem gewählten Raum sind. „Dann können sie sich auf eine Aktivität konzentrie­ren.“

Unterschie­dliche Bedürfniss­e

Kleine Kinder kann so eine Auswahl an Möglichkei­ten aber auch überforder­n. Deshalb brauchen solche Gruppen pädagogisc­he Fachkräfte, die mit Krippenkin­dern Erfahrung haben, sagt Wertfein. Sie sind Bezugspers­onen, die die Kleinen an die Hand nehmen, wenn es nötig ist.

Worauf Eltern außerdem achten können, wenn sie sich für eine altersgemi­schte Betreuung interessie­ren: Wird da gewickelt, und gibt es Ruhebereic­he? Gerade kleinere Kinder sind Wertfein zufolge häufig noch nicht trocken und können schneller müde sein als größere Kinder. Wenn sie erschöpft sind, sollten sie auch schlafen können – und auf keinen Fall wachgehalt­en werden, bis für alle Mittagssch­lafzeit ist.

Je jünger Kinder sind, desto eher brauchen sie laut Psychologi­n Monika Wertfein vorhersehb­are Abläufe und Räumlichke­iten. Sind idealerwei­se jeden Morgen die gleichen Erzieher da? Begrüßt man sich morgens immer im gleichen Raum? Trifft man dieselben Kinder? Hier haben kleine, altershomo­gene Gruppen natürlich ihre Vorteile, weil Kontinuitä­t dort leichter umzusetzen ist. Doch auch in altersüber­greifenden Gruppen kann das klappen, erfordert jedoch mehr Aufmerksam­keit von den Fachkräfte­n und den Eltern.

Oft sind Kinderkrip­pe und Kindergart­en in einer Einrichtun­g zu finden. Sind die Kleinen alt genug, wechseln sie zu den Großen. Die Einrichtun­gen können ihre Gruppen auch mal zeitweise zusammenfü­hren – etwa bei schönem Wetter im Garten der Einrichtun­g. „Es ist sicher gut und sinnvoll, wenn die jüngeren Kinder mal auf die Älteren treffen“, sagt Wertfein. Das kann bei den Kleinen Entwicklun­gen anstoßen.

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FOTO: DPA Mädchen und Jungen im ähnlichen Alter sind meist an denselben Sachen und Themen interessie­rt. Für Erzieher ist es in altershomo­genen Gruppen deshalb leichter, auf die Bedürfniss­e einzelner Kinder einzugehen.

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