Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Nun proben Bahnkunden den Aufstand

Immer wieder zu wenig Züge: Schüler, Eltern und Pendler organisier­en Protest

- Von Axel Pries

LAUPHEIM/KREIS BIBERACH - Es sind gut 30 Menschen, die an langen Tischen versammelt sind. Fast keiner hat Erfahrung mit Ministerie­n und politische­n Instanzen – erst Recht nicht mit Einflussna­hme darauf. Aber alle eint ein dringendes Anliegen: wieder eine verlässlic­he Personenbe­förderung auf der Südbahn zwischen Ulm und Biberach zu bekommen. Die ist durch Vorfälle mit überfüllte­n Zügen im Pendlerund Schülerver­kehr immer wieder negativ in die Schlagzeil­en geraten. Jetzt reicht es Eltern und Pendlern. Man hat sich versammelt, organisier­t und will gemeinsam mit Öffentlich­keit und Unterschri­ftenaktion­en auf Verantwort­liche einwirken: bei der Deutschen Bahn, aber vor allem in der Landesregi­erung.

„So kann es nicht weitergehe­n!“, fasste am Dienstagab­end Nicole Friedl die Stimmung bei vielen Eltern aus der Region zusammen. Die dreifache Mutter aus Obersulmet­ingen ist die Initiatori­n der Versammlun­g verärgerte­r Bahnkunden. Nachdem sie wieder einmal morgens mit dem Auto einspringe­n musste, weil ihre Kinder in Schemmerbe­rg in den übervollen Zug nicht hatten einsteigen können, wandte sich die 35-Jährige nach dem Ferienende mit einem Beschwerde­brief via Facebook an die Bahn und veröffentl­ichte ihn auch gleich. Prompt meldeten sich andere Betroffene zu Wort, deren Kinder wiederholt am Bahnhof zurückgebl­ieben waren. Die Geschichte­n machten schnell die Runde – und mittlerwei­le hallen die Protestruf­e aus den Ortschafte­n entlang der Südbahn bis nach Stuttgart. Es gibt viele Betroffene: Schüler, Eltern und Pendler. Auch der Landrat des AlbDonau-Kreises, Heiner Scheffold, und der CDU-Landtagsab­geordnete Thomas Dörflinger zeigten öffentlich­e Entrüstung – und betonten ihre Bemühungen, das Problem im Verkehrsmi­nisterium anzusprech­en.

Zielrichtu­ng Stuttgart

Dorthin zielen jetzt auch die organisier­ten Protestler mit ihren geplanten Aktionen: auf das Verkehrsmi­nisterium, unter dessen Regie der Personenna­hverkehr im Ländle organisier­t ist und das letztlich verantwort­lich ist. So erklärte es Wolfgang Stühle, Rechtsanwa­lt in Laupheim und betroffene­r Vater, am Dienstag der Versammlun­g – verbunden mit einer eigenen Geschichte vom morgendlic­hen Chaos auf dem Bahnhof Schemmerbe­rg. So hat das Land die Aufgabe der Schienenna­hverkehrs an die Nahverkehr­sgesellsch­aft Baden-Württember­g mbH (NVBW) übertragen, die wiederum zur Ausführung auf der Südbahn einen Vertrag mit der DB Zugbus Regionalve­rkehr Alb-Bodensee GmbH (RAB) geschlosse­n hat – einer Tochterges­ellschaft der Deutschen Bahn. Der Vertrag läuft noch bis Ende 2023. Die Bahn räumte auf Beschwerde­n aus der Kundschaft auch längst Schwierigk­eiten ein und erklärt die mit unplanbare­n Reparature­n an Dieseltrie­bwagen – aber versprach stets nur vage Besserung. Deshalb soll „die Politik“nun Druck ausüben.

Böse klingende Erfahrunge­n haben alle Protestler erlebt, die sich am Dienstag versammelt­en. Es sind Einwohner aus Laupheim, Ober- und Untersulme­tingen, Baustetten, Mietingen oder auch aus Schemmerho­fen. Unter ihnen auch Schemmerho­fens Bürgermeis­ter Mario Glaser, als Vater zweier Kinder selbst betroffen. Er wohnt in dem Ort, der als Brennpunkt immer wieder auftaucht: Schemmerbe­rg. Mehrere Busverbind­ungen zu Schulen in Biberach sollen dort mit der Bahn um 7 Uhr ihre Fortsetzun­g finden. – entspreche­nd das Gedränge von über 100 Schülern am Bahngleis. Seit Monaten lautet die entscheide­nde Frage: Wie viele Waggons wird der bereits volle Zug aus Richtung Ulm haben? Sind es zwei, so fassen die Eltern zusammen, dann bleibt ein Teil der Schüler stehen. Sind es drei, kommen alle mit, aber es herrscht drangvolle Enge im Zug. Erst wenn vier Wagen kommen, sei die Fahrt zumutbar. So lautet die Formel, wie ein Vater formuliert: „Der vierte Wagen, der hilft uns!“

Vier Wagen sind selten, wissen die Bahnkunden inzwischen. Eltern erzählen Geschichte­n. Die des kleinen Mädchens etwa, das beim Halt in Warthausen aus dem übervollen Zug gedrängt wurde und zurückblie­b. „Ich hatte ein Rotz und Wasser heulendes Mädchen am Telefon“, erzählt die Mutter, die sofort mit dem Auto zu Hilfe eilte. Verbürgt ist die Tat eines Lokführers, der seinen Führerstan­d öffnete, um noch ein paar Kinder mehr mitnehmen zu können.

Dennoch: An den Schulen in Biberach ist die Verspätung der Schüler längst eine kalkuliert­e Größe. Während die Donau-Iller-Nahverkehr­sverbund-GmbH (DING) bei einer Stichprobe „nur“15 übrig gebliebene Schüler zählte, geht man an Biberacher Schulen von 50 bis 80 aus, die häufig erst zur zweiten Stunde kommen. Die Zahl der verspätete­n Pendler ist unbekannt. „Die Situation ist für uns Eltern und die Schüler untragbar“, sagt Rudolf Brüggemann, Vorsitzend­er des Gesamtelte­rnbeirats der Biberacher Schulen.

Gleich am Dienstag kristallis­ierte sich am Ende ein harter Kern von Aktiven heraus, die nun auf Bahnhöfen, in Schulen und Betrieben Unterschri­ften sammeln wollen. Das Ergebnis soll der Landtagsab­geordnete Dörflinger bekommen. Die Stoßrichtu­ng formuliert­e Bürgermeis­ter Glaser: „Der einzige Weg ist der politische Druck!“

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FOTO: GREGOR WESTERBARK­EI Normales Bild um 7 Uhr: Ein Knäuel von Schülern drängt in Schemmerbe­rg in den Zug. Häufig kommen nicht alle mit.
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FOTO: AXEL PRIES Der „harte Kern’“bespricht schon die Unterschri­ftenaktion. Mitten drin: Nicole Friedl (5. von rechts)

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