Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Brillen für Bedürftige

Augenarzt verschenkt in der Vesperkirc­he Sehhilfen – 350 Brillen wurden entwendet

- Von Dagmar Hub

ULM - Brillen sind nicht nur in Entwicklun­gsländern für viele Fehlsichti­ge teurer Luxus. Auch in der Region gibt es Menschen, für die die Zuzahlunge­n zu Sehhilfen eine hohe finanziell­e Belastung darstellen. Der Ulmer Augenarzt und Stadtrat HansWalter Roth gibt während der Ulmer Vesperkirc­he seit Jahren Brillen an solche Menschen aus. Die Spende der Sehhilfen ist Teil von Roths Einsatz für die Armenklini­k.

Am Dienstag begann in der Pauluskirc­he die Aktion „Eine Brille für Menschen in Not“bei der diesjährig­en Vesperkirc­he. Roth und das Ulmer Rathaus, das die Aktion unterstütz­t, erlebten am Vortag allerdings ein Novum: 350 nach Dioptrien vorsortier­te Brillen wurden in den wenigen Minuten, die sie bis zum Abtranspor­t in die Pauluskirc­he am Portal des Rathauses standen, entwendet. Der Dieb ließ nur die vier leeren Kartons zurück.

Wer ein Interesse daran hat, für Bedürftige Gespendete­s zu entwenden, darüber rätseln Roth und seine Helfer. „Die Brillen sollten umgeladen werden, und bis ich das Auto aus der Tiefgarage holte, waren sie weg“, berichtet der Augenarzt, der jährlich etwa 3000 gespendete Brillen bei der Ulmer Vesperkirc­he ausgibt. Einmal pro Woche ist er während deren Laufzeit in der Pauluskirc­he.

Nach der Bedürftigk­eit wird am Tisch im Foyer der Pauluskirc­he nicht gefragt. Wichtig sind dagegen Aufklärung und Ratschläge: Ein Mann beispielsw­eise will von Roth wissen, ob er denn eigentlich kurzsichti­g oder weitsichti­g sei. Er könne nämlich Kleingedru­cktes bestens lesen, bei Entfernung­en ab etwa drei, vier Metern verschwimm­e aber das Bild vor seinen Augen. Der Augenarzt, der nur gespendete Brillen im Bereich leichter bis mittlerer Sehschwäch­en ohne Untersuchu­ng ausgibt, erklärt dem Kurzsichti­gen seinen Sehfehler und gibt ihm Tipps, bei welcher Dioptriens­tärke der Mann suchen soll. Als ein anderer Bedürftige­r berichtet, er sehe vor dem Essen schlechter als danach, wird ihm dringend nahegelegt, überprüfen zu lassen, ob er nicht an Diabetes leidet.

„Darf ich die behalten?“, fragt eine Frau, die – wie sie berichtet – nach einer Augenopera­tion getönte Gläser braucht und die in einer Kiste ein passendes Modell gefunden hat, mit dem sie gut sieht. „Nehmen Sie, die ist schon Ihre“, sagt Roth, und die Frau steckt die Brille glücklich ins Etui.

Bunte Bügel und ganz schlichte, außergewöh­nliche Formen, die den Träger ein bisschen wie John Lennon aussehen lassen, ultraleich­te oder futuristis­che Gestelle: Manch einer, der sich gestern Mittag in der Pauluskirc­he eine Sehhilfe suchte, war stolz darauf, ein teures Designer-Modell erwischt zu haben. Vor allem aber ging es um die passenden Gläser. Da galt es, auch gespendete Brillen mit übergangsl­osem Einschliff für Fehlsichti­ge zuzuordnen, die gleichzeit­ig weit- und kurzsichti­g sind.

„Jede Brille spiegelt das Schicksal ihres Trägers“, sagt Roth und greift nach einer Brille, deren Gläser ihm sagen, dass der Vorbesitze­r schielte. „Man kann viel über die Menschen ablesen, wenn man Brillen in den Händen hält: über das Alter und Erkrankung­en zum Beispiel“, erklärt der Augenarzt. Oder eben auch über ihre individuel­len modischen Vorlieben, über die allerdings nur die Gestelle eine ganze Menge verraten.

 ?? FOTO: DAGMAR HUB ?? Augenarzt Hans-Walther Roth gab beim Verteilen der Brillen auch Tipps.
FOTO: DAGMAR HUB Augenarzt Hans-Walther Roth gab beim Verteilen der Brillen auch Tipps.

Newspapers in German

Newspapers from Germany