Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Kampf gegen die Einsamkeit im Alter
Politik und Kirche sehen Handlungsbedarf – Isolation im Alter ist gesundheitsschädlich
RAVENSBURG (dre) - Engagiert gegen das Alleinsein: Politiker in Deutschland fordern einen Beauftragten im Gesundheitsministerium, der sich um das Problem der Isolation im Alter kümmern soll. Vorbild ist Großbritannien. Dort gibt es jetzt eine „Ministerin für Einsamkeit“. Vereinsamung ist auch im Südwesten ein Thema – mit schwerwiegenden gesundheitlichen Folgen.
RAVENSBURG - Einsamkeit macht krank und verkürzt das Leben: Was SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach der „Bild“-Zeitung vom Freitag sagte, klingt dramatisch: „Die Einsamkeit in der Lebensphase über 60 erhöht die Sterblichkeit so sehr wie starkes Rauchen.“Einsame Menschen erkrankten auch häufiger an Demenz. Lauterbach fordert für das Thema Einsamkeit einen Ansprechpartner, bevorzugt im Gesundheitsministerium, der den Kampf gegen die Einsamkeit koordiniert.
In Großbritannien gibt es seit dieser Woche einen Regierungsposten gegen Einsamkeit. Sportstaatssekretärin Tracey Crouch übernimmt diesen Aufgabenbereich zusätzlich. In dem Land mit 65,5 Millionen Einwohnern fühlen sich nach offiziellen Angaben mehr als neun Millionen Menschen isoliert. Etwa 200 000 Senioren hätten höchstens einmal im Monat ein Gespräch mit einem Freund oder Verwandten, heißt es.
Doch auch im Südwesten Deutschlands ist Alterseinsamkeit ein großes Thema. Martin Schneider von der Evangelischen Gesellschaft arbeitet in Stuttgart mit alten und hilfsbedürftigen Menschen. „In manchen Stadtteilen leben 70 bis 80 Prozent der über 80-Jährigen alleine“, sagt der 54-Jährige. Zwar bedeutet das nicht automatisch Einsamkeit, erhöhe aber das Risiko enorm. Schneiders Erfahrung nach sind häufig Frauen betroffen – aufgrund ihrer höheren Lebenserwartung. Doch nicht nur der Verlust des Partners kann zu Einsamkeit im Alter führen. Solche Situationen ergäben sich auch, wenn Angehörige in anderen Bundesländern wohnten oder körperliche Erkrankungen die Mobilität einschränkten. Der Soziologe arbeitet hauptamtlich für den Besuchsdienst „4. Lebensphase“und für den Gerontopsychiatrischen Beratungsdienst. Zudem ist er im Team des Seniorentelefons Dreiklang. Das Besondere an dieser Hotline: „Wir rufen auch von uns aus alleinlebende ältere Menschen an.“
Die Angebote werden stark in Anspruch genommen. 100 Ehrenamtliche sind in Stuttgart im Besuchsdienst im Einsatz. Sie werden von Hauptamtlichen geschult und dann mit älteren Menschen, die sich Besuch wünschen, zusammengebracht.
Besonders gefährdet sind Schneider zufolge Menschen, die in jungen Jahren keine tragfähigen sozialen Beziehungen aufbauen konnten. „Auch Männer, die sich ihr Leben lang in erster Linie über die Arbeit definiert haben, sind eine Risikogruppe.“Nach dem Ausscheiden aus dem Arbeitsalltag fielen manche in ein Loch, wenn sie kein privates Netzwerk haben. Für Besuchsdienste gebe es eine Hemmschwelle. Der CDU-Politiker Marcus Weinberg will solche Angebote aus der Tabuzone holen, „damit einsame Menschen eine Lobby haben und Einsamkeit nicht in einer Schmuddelecke bleibt“.
Körperlich und geistig vorbeugen
Aber wie kann man sichergehen, dass man im Alter nicht vereinsamt? „Freundschaften knüpfen und pflegen“, rät Martin Schneider, der seit 23 Jahren beruflich mit dem Thema zu tun hat. Er rät dazu, sich gesundheitlich und geistig fit zu halten, um altersbedingten Erkrankungen vorzubeugen. Dazu zählen auch gerontopsychiatrische Leiden, also psychische Erkrankungen, die im Alter auftreten. „Am häufigsten sind das Depressionen, aber auch Demenz gehört dazu.“Den Vorstoß der Politik findet Schneider richtig. „Bisher fallen zu viele Menschen durchs Raster. Künftig könnten es noch mehr sein.“Demografischer Wandel und Pflegenotstand könnten das Problem in Zukunft verschärfen.
Auch bei der Diakonie, dem Wohlfahrtsverband der evangelischen Kirchen, sieht man Einsamkeit als Thema für Politik und Gesellschaft. „Einsame Leute wieder in die Gesellschaft zu holen, ist eine Aufgabe, die man nicht einfach kommerziellen Anbietern wie Facebook oder Partnerschaftsbörsen überlassen darf“, sagt Diakonie-Präsident Ulrich Lilie. Die Diakonie in Württemberg wolle jegliche Anstrengung unternehmen, um Menschen vor Isolation zu bewahren, wie Pressesprecherin Claudia Mann sagt. Sie betont die Wichtigkeit der Vesperkirchen, wie es sie unter anderem in Stuttgart, Ulm, Ravensburg oder Aalen gibt. Neben günstigen oder kostenlosen Mittagessen stellten sie die Begegnung in den Mittelpunkt. Auch regelmäßige Mittagstische oder Begegnungscafés seien wichtige Bestandteile der Kommunikation, so Mann.