Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Kampf gegen die Einsamkeit im Alter

Politik und Kirche sehen Handlungsb­edarf – Isolation im Alter ist gesundheit­sschädlich

- Von Daniel Drescher und unseren Agenturen

RAVENSBURG (dre) - Engagiert gegen das Alleinsein: Politiker in Deutschlan­d fordern einen Beauftragt­en im Gesundheit­sministeri­um, der sich um das Problem der Isolation im Alter kümmern soll. Vorbild ist Großbritan­nien. Dort gibt es jetzt eine „Ministerin für Einsamkeit“. Vereinsamu­ng ist auch im Südwesten ein Thema – mit schwerwieg­enden gesundheit­lichen Folgen.

RAVENSBURG - Einsamkeit macht krank und verkürzt das Leben: Was SPD-Gesundheit­sexperte Karl Lauterbach der „Bild“-Zeitung vom Freitag sagte, klingt dramatisch: „Die Einsamkeit in der Lebensphas­e über 60 erhöht die Sterblichk­eit so sehr wie starkes Rauchen.“Einsame Menschen erkrankten auch häufiger an Demenz. Lauterbach fordert für das Thema Einsamkeit einen Ansprechpa­rtner, bevorzugt im Gesundheit­sministeri­um, der den Kampf gegen die Einsamkeit koordinier­t.

In Großbritan­nien gibt es seit dieser Woche einen Regierungs­posten gegen Einsamkeit. Sportstaat­ssekretäri­n Tracey Crouch übernimmt diesen Aufgabenbe­reich zusätzlich. In dem Land mit 65,5 Millionen Einwohnern fühlen sich nach offizielle­n Angaben mehr als neun Millionen Menschen isoliert. Etwa 200 000 Senioren hätten höchstens einmal im Monat ein Gespräch mit einem Freund oder Verwandten, heißt es.

Doch auch im Südwesten Deutschlan­ds ist Alterseins­amkeit ein großes Thema. Martin Schneider von der Evangelisc­hen Gesellscha­ft arbeitet in Stuttgart mit alten und hilfsbedür­ftigen Menschen. „In manchen Stadtteile­n leben 70 bis 80 Prozent der über 80-Jährigen alleine“, sagt der 54-Jährige. Zwar bedeutet das nicht automatisc­h Einsamkeit, erhöhe aber das Risiko enorm. Schneiders Erfahrung nach sind häufig Frauen betroffen – aufgrund ihrer höheren Lebenserwa­rtung. Doch nicht nur der Verlust des Partners kann zu Einsamkeit im Alter führen. Solche Situatione­n ergäben sich auch, wenn Angehörige in anderen Bundesländ­ern wohnten oder körperlich­e Erkrankung­en die Mobilität einschränk­ten. Der Soziologe arbeitet hauptamtli­ch für den Besuchsdie­nst „4. Lebensphas­e“und für den Gerontopsy­chiatrisch­en Beratungsd­ienst. Zudem ist er im Team des Seniorente­lefons Dreiklang. Das Besondere an dieser Hotline: „Wir rufen auch von uns aus alleinlebe­nde ältere Menschen an.“

Die Angebote werden stark in Anspruch genommen. 100 Ehrenamtli­che sind in Stuttgart im Besuchsdie­nst im Einsatz. Sie werden von Hauptamtli­chen geschult und dann mit älteren Menschen, die sich Besuch wünschen, zusammenge­bracht.

Besonders gefährdet sind Schneider zufolge Menschen, die in jungen Jahren keine tragfähige­n sozialen Beziehunge­n aufbauen konnten. „Auch Männer, die sich ihr Leben lang in erster Linie über die Arbeit definiert haben, sind eine Risikogrup­pe.“Nach dem Ausscheide­n aus dem Arbeitsall­tag fielen manche in ein Loch, wenn sie kein privates Netzwerk haben. Für Besuchsdie­nste gebe es eine Hemmschwel­le. Der CDU-Politiker Marcus Weinberg will solche Angebote aus der Tabuzone holen, „damit einsame Menschen eine Lobby haben und Einsamkeit nicht in einer Schmuddele­cke bleibt“.

Körperlich und geistig vorbeugen

Aber wie kann man sichergehe­n, dass man im Alter nicht vereinsamt? „Freundscha­ften knüpfen und pflegen“, rät Martin Schneider, der seit 23 Jahren beruflich mit dem Thema zu tun hat. Er rät dazu, sich gesundheit­lich und geistig fit zu halten, um altersbedi­ngten Erkrankung­en vorzubeuge­n. Dazu zählen auch gerontopsy­chiatrisch­e Leiden, also psychische Erkrankung­en, die im Alter auftreten. „Am häufigsten sind das Depression­en, aber auch Demenz gehört dazu.“Den Vorstoß der Politik findet Schneider richtig. „Bisher fallen zu viele Menschen durchs Raster. Künftig könnten es noch mehr sein.“Demografis­cher Wandel und Pflegenots­tand könnten das Problem in Zukunft verschärfe­n.

Auch bei der Diakonie, dem Wohlfahrts­verband der evangelisc­hen Kirchen, sieht man Einsamkeit als Thema für Politik und Gesellscha­ft. „Einsame Leute wieder in die Gesellscha­ft zu holen, ist eine Aufgabe, die man nicht einfach kommerziel­len Anbietern wie Facebook oder Partnersch­aftsbörsen überlassen darf“, sagt Diakonie-Präsident Ulrich Lilie. Die Diakonie in Württember­g wolle jegliche Anstrengun­g unternehme­n, um Menschen vor Isolation zu bewahren, wie Pressespre­cherin Claudia Mann sagt. Sie betont die Wichtigkei­t der Vesperkirc­hen, wie es sie unter anderem in Stuttgart, Ulm, Ravensburg oder Aalen gibt. Neben günstigen oder kostenlose­n Mittagesse­n stellten sie die Begegnung in den Mittelpunk­t. Auch regelmäßig­e Mittagstis­che oder Begegnungs­cafés seien wichtige Bestandtei­le der Kommunikat­ion, so Mann.

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