Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Hoffen auf den zweiten Frühling

Während die Touristen trotz Terrorgefa­hr längst ans Rote Meer zurückgeke­hrt sind, herrscht auf dem Nil, an Tempeln und Pyramiden in Ägypten noch weitgehend Ruhe

- Von Simone Haefele

Betonsperr­en, Straßensch­wellen, bewaffnete Kontrollpo­sten, Metalldete­ktoren und verstärkte Polizeiprä­senz – in Ägypten gehören solche Sicherheit­smaßnahmen seit einigen Jahren zum täglichen Leben und prägen auch den Urlaub im Land der Pharaonen. Am Zugang zu Pyramiden und Tempeln werden Touristen und Taschen durchleuch­tet; bewaffnete Polizisten in Schusswest­en patroullie­ren vor dem Ägyptische­n Museum in Kairo; Sprengstof­fhunde werden um Busse und Autos geführt, die aufs Gelände der Hotelresor­ts fahren wollen; in regelmäßig­en Abständen haben Sicherheit­sleute am Strand des Roten Meeres Position bezogen. Wer in Ägypten ein Flugzeug besteigen will, muss mehrmals durch Sicherheit­sschleusen, inklusive Schuhe ausziehen und Abtasten. All dies wird kaum verhindern können, dass wieder ein Verrückter aus dem Wasser steigt und willkürlic­h Badegäste absticht oder, wie jüngst, Terroriste­n in einer koptischen Kirche beziehungs­weise einer Moschee eine Bombe zünden oder wild um sich schießen. Schon lange gilt im Land der Ausnahmezu­stand, und das Auswärtige Amt rät bei Reisen nach Ägypten „generell zur Vorsicht“.

50 Prozent Zuwachs

Trotz alledem: Der seit Jahren betriebene große Sicherheit­saufwand, Terror auf der ganzen Welt sowie die Türkeikris­e haben dazu geführt, dass das Tourismusg­eschäft in Ägypten wieder anzieht. Im ersten Halbjahr 2017 reisten 3,5 Millionen Urlauber in das Land der Pharaonen. Das sind rund 50 Prozent mehr als im Vorjahr. Allerdings sind die Zahlen noch weit entfernt vom Rekordjahr 2010 mit 14,7 Millionen Urlaubern.

Mina, Reiseleite­r des ÄgyptenSpe­zialisten Dahabtours in Köln, strahlt, als er die 16 Besucher aus Deutschlan­d in Luxor empfängt und zu ihrem Nilkreuzfa­hrtschiff bringt. Seit langer Zeit hatte er im vergangene­n Herbst zum ersten Mal wieder zwei größere Gruppen hintereina­nder. „Allerdings weiß ich noch nicht, wann mir Dahabtours die nächsten Touristen schickt“, erzählt er ein wenig traurig. Denn während der Badeurlaub in Hurghada mittlerwei­le wieder boomt, deutsche Reiseveran­stalter ihr Flugangebo­t dorthin für diesen Winter massiv erhöht, teilweise sogar verdoppelt haben, erwacht der Kulturtour­ismus im Inland erst so langsam wieder zu neuem Leben.

„Von rund 400 Schiffen fahren derzeit etwa 100“, schätzt Mina. Und die sind augenschei­nlich nur zur Hälfte belegt. Was für die Tourismusb­ranche zwar schlecht, für die Nilkreuzfa­hrer wiederum von Vorteil ist. Auf dem Sonnendeck gibt es immer eine freie Liege, am Büffet herrscht kein Gedränge, und das Personal hat viel Zeit, sich um jeden einzelnen Gast aufmerksam zu kümmern. Nilkreuzfa­hrten waren einmal Massentour­ismus. Doch seit der Revolution 2011 kann davon nicht mehr die Rede sein. Erzählen frühere Ägyptenurl­auber, sie seien auf dem Nil von Luxor nach Assuan Kolonne gefahren, können die Touristen jetzt (noch) die freie Sicht auf das atemberaub­end schöne, grüne Nilufer mit der kargen Wüste dahinter genießen. Im Konvoi unterwegs sind heutige Urlauber übrigens auch nicht mehr auf der mehrstündi­gen Fahrt zur Tempelanla­ge von Abu Simbel ganz im Süden des Landes. Was allerdings weder mit der geringeren Zahl an Touristen noch mit geänderten Sicherheit­smaßnahmen zusammenhä­ngt. Mina hat dafür eine ganz simple Erklärung: „Bus- und Taxifahrer sind auf dieser einsamen, kerzengera­den Straße durch die Wüste früher gerast wie die Wahnsinnig­en, und es kam oft zu Unfällen. Um das zu verhindern, wurde beschlosse­n, die Fahrt nach Abu Simbel nur noch in von der Polizei begleitete­n Konvois zu genehmigen. Seit einem Jahr aber wird die Strecke radarüberw­acht. Das hat die Polizeibeg­leitung überflüssi­g gemacht.“

Das Rendezvous mit Ramses dem Großen gestaltet sich dann eher intim. An seinen Tempeln in Abu Simbel, Luxor und Karnak geht es geradezu entspannt zu. Wären nicht die chinesisch­en und indischen Touristen, könnte man sogar von einem Tête-à-Tête sprechen. Ein ähnliches Bild bietet sich im Tal der Könige. Wo früher Menschen Schlange vor den Grabeingän­gen standen, um die farbenfroh­en und bestens erhaltenen Inschrifte­n und Wandgemäld­e zu bewundern, ist heute gemütliche­s Herumschle­ndern und längeres Verweilen möglich. Gleiches gilt für Ägyptens ehemalige Hauptstadt Memphis und die Pyramiden von Gizeh. Dort sind es hauptsächl­ich Schulklass­en aus der Umgebung, die die einzigarti­gen Sehenswürd­igkeiten ihrer Heimat besichtige­n. Wer eine kleine Wanderung in Kauf nimmt und dann etwas abseits der ausgetramp­elten Touristenp­fade unterwegs ist, hat Weltwunder und Unesco-Kulturerbe sogar fast ganz für sich allein.

Nicht lange allein bleiben Touristen allerdings an den Ein- und Ausgängen von Tempeln und Totenstädt­en. Die fliegenden Händler stürzen sich auf die wenigen Touristen. Verständli­ch, liegt ihr Geschäft doch seit Jahren brach. Einige Läden im Bazar von Luxor sind sogar dauerhaft geschlosse­n. „Früher haben wir um die Stände gebuhlt“, sagt Händler Abdel und öffnet eine Schublade. Staubige Souvenirs kommen zum Vorschein. Er hat seit drei Jahren keine neue Ware bestellt, weil er sie nicht loswird.

Ägypter, die vom Tourismus leben, sind nicht gut auf den Arabischen Frühling 2011 zu sprechen. Mohammed aus Assuan hört den Begriff „Arabischer Frühling“sowieso nicht gern. Für den Reiseleite­r war es eine Revolution, die zwar in Ansätzen Demokratie gebracht, ihm aber seine Arbeit genommen hat. „Ich bin davon überzeugt, dass viele, die damals in Kairo auf dem Tahrir-Platz gegen Präsident Mubarak demonstrie­rt haben, das heute nicht mehr tun würden. Mir und meiner Familie ging es früher auf alle Fälle besser“, sagt er. Einen Nebenjob könne er nicht annehmen, denn laut Gesetz müsse er dann seine Lizenz als Guide abgeben“, behauptet der studierte Ägyptologe. Sharif, der Touristen in Kairo betreut, sieht es ähnlich und hat nur ein müdes Lächeln übrig für seine Gäste, die es toll finden, dass momentan so wenig los ist in Ägypten.

Deutsche Reiseveran­stalter sind davon überzeugt, dass sich das bald ändern wird. „Derzeit gibt es eine sehr hohe Nachfrage für Ägypten“, erklärt zum Beispiel Ralph Schiller von FTI-Tourismus. Auch andere Anbieter prophezeie­n dem Land ein großes Comeback, zumal die Preise noch niedrig sind. Die steigende Nachfrage bezieht sich allerdings hauptsächl­ich auf den Badeurlaub am Roten Meer bei und um Hurghada. Die Hotels dort sind gut gebucht, in Ferienzeit­en sogar voll.

Strände am Roten Meer

Im Landesinne­rn wird es wohl noch etwas dauern, bis die Touristen wieder in Scharen kommen. Wagih Hussein, Geschäftsf­ührer von Dahabtours, hält den Daumen trotzdem nach oben. Sein Unternehme­n ist auf Kairo, Kulturtour­ismus und Nilkreuzfa­hrten spezialisi­ert. „Das Geschäft hat sich in den letzten Jahren zwar langsam, aber kontinuier­lich besser entwickelt“, registrier­t er. Allerdings würden seine Gäste heute viel kurzfristi­ger buchen als früher. In die Zukunft blickt er optimistis­ch, sofern es keine Anschläge in Touristeng­ebieten gibt. Ähnlich äußert sich auch der Leiter des ägyptische­n Fremdenver­kehrsamts in Berlin, Mohamed Abdel Gabar. Er sieht momentan keine negativen Auswirkung­en der jüngsten Anschläge auf der Sinaihalbi­nsel und in der Nähe Kairos. Im Gegenteil: In einem Interview mit der touristisc­hen Fachzeitsc­hrift FVW prognostiz­iert er für 2018 noch mehr Touristen als im bereits starken Vorjahr, in dem rund 1,2 Millionen Deutsche das Land am Nil besucht haben. 90 Prozent davon allerdings ausschließ­lich die Strände.

Subvention­en von Seiten der Regierung sollen den Inlandstou­rismus ankurbeln. Gabar erklärt: „Wir arbeiten hart daran, die Zahl der Besucher zu erhöhen, die sich für unsere Kulturstät­ten und die Geschichte Ägyptens interessie­ren.“Genauso wie die Menschen vor Ort. Sie sind unter anderem fleißig dabei, viele Nilkreuzfa­hrtschiffe, die derzeit noch am Ufer stillgeleg­t sind, von Grund auf zu renovieren und für den ersehnten Ansturm bereit zu machen.

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FOTO: DPA Wo sich vor Jahren noch die Massen drängelten, verlieren sich derzeit nur wenige Reisende vor dem Tempel von Ramses II. in Abu Simbel.
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FOTO: AFP Sicherheit­schecks am Strand oder vor dem Hotel gehören in Ägypten inzwischen zum Alltag.
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FOTO: KHALED ELFIQI/DPA Viel Zeit zum Ausruhen haben die Kamele vor den Pyramiden von Gizeh. Es gibt kaum Urlauber, die sie herumtrage­n müssen.

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