Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Hoffen auf den zweiten Frühling
Während die Touristen trotz Terrorgefahr längst ans Rote Meer zurückgekehrt sind, herrscht auf dem Nil, an Tempeln und Pyramiden in Ägypten noch weitgehend Ruhe
Betonsperren, Straßenschwellen, bewaffnete Kontrollposten, Metalldetektoren und verstärkte Polizeipräsenz – in Ägypten gehören solche Sicherheitsmaßnahmen seit einigen Jahren zum täglichen Leben und prägen auch den Urlaub im Land der Pharaonen. Am Zugang zu Pyramiden und Tempeln werden Touristen und Taschen durchleuchtet; bewaffnete Polizisten in Schusswesten patroullieren vor dem Ägyptischen Museum in Kairo; Sprengstoffhunde werden um Busse und Autos geführt, die aufs Gelände der Hotelresorts fahren wollen; in regelmäßigen Abständen haben Sicherheitsleute am Strand des Roten Meeres Position bezogen. Wer in Ägypten ein Flugzeug besteigen will, muss mehrmals durch Sicherheitsschleusen, inklusive Schuhe ausziehen und Abtasten. All dies wird kaum verhindern können, dass wieder ein Verrückter aus dem Wasser steigt und willkürlich Badegäste absticht oder, wie jüngst, Terroristen in einer koptischen Kirche beziehungsweise einer Moschee eine Bombe zünden oder wild um sich schießen. Schon lange gilt im Land der Ausnahmezustand, und das Auswärtige Amt rät bei Reisen nach Ägypten „generell zur Vorsicht“.
50 Prozent Zuwachs
Trotz alledem: Der seit Jahren betriebene große Sicherheitsaufwand, Terror auf der ganzen Welt sowie die Türkeikrise haben dazu geführt, dass das Tourismusgeschäft in Ägypten wieder anzieht. Im ersten Halbjahr 2017 reisten 3,5 Millionen Urlauber in das Land der Pharaonen. Das sind rund 50 Prozent mehr als im Vorjahr. Allerdings sind die Zahlen noch weit entfernt vom Rekordjahr 2010 mit 14,7 Millionen Urlaubern.
Mina, Reiseleiter des ÄgyptenSpezialisten Dahabtours in Köln, strahlt, als er die 16 Besucher aus Deutschland in Luxor empfängt und zu ihrem Nilkreuzfahrtschiff bringt. Seit langer Zeit hatte er im vergangenen Herbst zum ersten Mal wieder zwei größere Gruppen hintereinander. „Allerdings weiß ich noch nicht, wann mir Dahabtours die nächsten Touristen schickt“, erzählt er ein wenig traurig. Denn während der Badeurlaub in Hurghada mittlerweile wieder boomt, deutsche Reiseveranstalter ihr Flugangebot dorthin für diesen Winter massiv erhöht, teilweise sogar verdoppelt haben, erwacht der Kulturtourismus im Inland erst so langsam wieder zu neuem Leben.
„Von rund 400 Schiffen fahren derzeit etwa 100“, schätzt Mina. Und die sind augenscheinlich nur zur Hälfte belegt. Was für die Tourismusbranche zwar schlecht, für die Nilkreuzfahrer wiederum von Vorteil ist. Auf dem Sonnendeck gibt es immer eine freie Liege, am Büffet herrscht kein Gedränge, und das Personal hat viel Zeit, sich um jeden einzelnen Gast aufmerksam zu kümmern. Nilkreuzfahrten waren einmal Massentourismus. Doch seit der Revolution 2011 kann davon nicht mehr die Rede sein. Erzählen frühere Ägyptenurlauber, sie seien auf dem Nil von Luxor nach Assuan Kolonne gefahren, können die Touristen jetzt (noch) die freie Sicht auf das atemberaubend schöne, grüne Nilufer mit der kargen Wüste dahinter genießen. Im Konvoi unterwegs sind heutige Urlauber übrigens auch nicht mehr auf der mehrstündigen Fahrt zur Tempelanlage von Abu Simbel ganz im Süden des Landes. Was allerdings weder mit der geringeren Zahl an Touristen noch mit geänderten Sicherheitsmaßnahmen zusammenhängt. Mina hat dafür eine ganz simple Erklärung: „Bus- und Taxifahrer sind auf dieser einsamen, kerzengeraden Straße durch die Wüste früher gerast wie die Wahnsinnigen, und es kam oft zu Unfällen. Um das zu verhindern, wurde beschlossen, die Fahrt nach Abu Simbel nur noch in von der Polizei begleiteten Konvois zu genehmigen. Seit einem Jahr aber wird die Strecke radarüberwacht. Das hat die Polizeibegleitung überflüssig gemacht.“
Das Rendezvous mit Ramses dem Großen gestaltet sich dann eher intim. An seinen Tempeln in Abu Simbel, Luxor und Karnak geht es geradezu entspannt zu. Wären nicht die chinesischen und indischen Touristen, könnte man sogar von einem Tête-à-Tête sprechen. Ein ähnliches Bild bietet sich im Tal der Könige. Wo früher Menschen Schlange vor den Grabeingängen standen, um die farbenfrohen und bestens erhaltenen Inschriften und Wandgemälde zu bewundern, ist heute gemütliches Herumschlendern und längeres Verweilen möglich. Gleiches gilt für Ägyptens ehemalige Hauptstadt Memphis und die Pyramiden von Gizeh. Dort sind es hauptsächlich Schulklassen aus der Umgebung, die die einzigartigen Sehenswürdigkeiten ihrer Heimat besichtigen. Wer eine kleine Wanderung in Kauf nimmt und dann etwas abseits der ausgetrampelten Touristenpfade unterwegs ist, hat Weltwunder und Unesco-Kulturerbe sogar fast ganz für sich allein.
Nicht lange allein bleiben Touristen allerdings an den Ein- und Ausgängen von Tempeln und Totenstädten. Die fliegenden Händler stürzen sich auf die wenigen Touristen. Verständlich, liegt ihr Geschäft doch seit Jahren brach. Einige Läden im Bazar von Luxor sind sogar dauerhaft geschlossen. „Früher haben wir um die Stände gebuhlt“, sagt Händler Abdel und öffnet eine Schublade. Staubige Souvenirs kommen zum Vorschein. Er hat seit drei Jahren keine neue Ware bestellt, weil er sie nicht loswird.
Ägypter, die vom Tourismus leben, sind nicht gut auf den Arabischen Frühling 2011 zu sprechen. Mohammed aus Assuan hört den Begriff „Arabischer Frühling“sowieso nicht gern. Für den Reiseleiter war es eine Revolution, die zwar in Ansätzen Demokratie gebracht, ihm aber seine Arbeit genommen hat. „Ich bin davon überzeugt, dass viele, die damals in Kairo auf dem Tahrir-Platz gegen Präsident Mubarak demonstriert haben, das heute nicht mehr tun würden. Mir und meiner Familie ging es früher auf alle Fälle besser“, sagt er. Einen Nebenjob könne er nicht annehmen, denn laut Gesetz müsse er dann seine Lizenz als Guide abgeben“, behauptet der studierte Ägyptologe. Sharif, der Touristen in Kairo betreut, sieht es ähnlich und hat nur ein müdes Lächeln übrig für seine Gäste, die es toll finden, dass momentan so wenig los ist in Ägypten.
Deutsche Reiseveranstalter sind davon überzeugt, dass sich das bald ändern wird. „Derzeit gibt es eine sehr hohe Nachfrage für Ägypten“, erklärt zum Beispiel Ralph Schiller von FTI-Tourismus. Auch andere Anbieter prophezeien dem Land ein großes Comeback, zumal die Preise noch niedrig sind. Die steigende Nachfrage bezieht sich allerdings hauptsächlich auf den Badeurlaub am Roten Meer bei und um Hurghada. Die Hotels dort sind gut gebucht, in Ferienzeiten sogar voll.
Strände am Roten Meer
Im Landesinnern wird es wohl noch etwas dauern, bis die Touristen wieder in Scharen kommen. Wagih Hussein, Geschäftsführer von Dahabtours, hält den Daumen trotzdem nach oben. Sein Unternehmen ist auf Kairo, Kulturtourismus und Nilkreuzfahrten spezialisiert. „Das Geschäft hat sich in den letzten Jahren zwar langsam, aber kontinuierlich besser entwickelt“, registriert er. Allerdings würden seine Gäste heute viel kurzfristiger buchen als früher. In die Zukunft blickt er optimistisch, sofern es keine Anschläge in Touristengebieten gibt. Ähnlich äußert sich auch der Leiter des ägyptischen Fremdenverkehrsamts in Berlin, Mohamed Abdel Gabar. Er sieht momentan keine negativen Auswirkungen der jüngsten Anschläge auf der Sinaihalbinsel und in der Nähe Kairos. Im Gegenteil: In einem Interview mit der touristischen Fachzeitschrift FVW prognostiziert er für 2018 noch mehr Touristen als im bereits starken Vorjahr, in dem rund 1,2 Millionen Deutsche das Land am Nil besucht haben. 90 Prozent davon allerdings ausschließlich die Strände.
Subventionen von Seiten der Regierung sollen den Inlandstourismus ankurbeln. Gabar erklärt: „Wir arbeiten hart daran, die Zahl der Besucher zu erhöhen, die sich für unsere Kulturstätten und die Geschichte Ägyptens interessieren.“Genauso wie die Menschen vor Ort. Sie sind unter anderem fleißig dabei, viele Nilkreuzfahrtschiffe, die derzeit noch am Ufer stillgelegt sind, von Grund auf zu renovieren und für den ersehnten Ansturm bereit zu machen.