Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Drogenhilf­e nimmt Süchtige in Schutz

Experten sehen Verantwort­ung für Zustände in der Bahnhofstr­aße bei organisier­ten Banden

- Von Sebastian Mayr

ULM - Drogen, Diebstahl, Gewalt? Achim Spannagel ist überzeugt, dass die drastische­n Schilderun­gen übertriebe­n sind. Kurz vor Weihnachte­n hatten Händler in der Ulmer Fußgängerz­one auf Missstände aufmerksam gemacht. Es gab Berichte über wüste Schlägerei­en, offenen Drogenhand­el und -konsum und über Familien mit Kindern, die am Samstagabe­nd im Sport-Sohn Zuflucht vor den Zuständen suchten.

Achim Spannagel arbeitet für den Kontaktlad­en der Drogenhilf­e Ulm/ Alb-Donau. Der ehemalige Streetwork­er der Stadt ist noch immer einige Stunden in der Woche auf den Straßen Ulms unterwegs, verteilt Info-Material an Süchtige und pflegt den Kontakt zu ihnen. Er kennt die Situation in der Bahnhofstr­aße und er kennt Gründe dafür. Spannagel sagt: „Ich glaube, da wird viel vermischt.“Es seien keinesfall­s nur die Drogensüch­tigen, die Ärger machen – auch wenn deren Anwesenhei­t vielen Menschen unangenehm sei. „Die lungern da eben herum“, beschreibt Spannagel. Für die Probleme in den Abendstund­en seien sie kaum verantwort­lich. „Unsere Leute fallen halt auf“, sagt Spannagel. Aber ab Mittag seien die meisten sediert und lägen bloß noch herum. Gelegentli­ch gebe es zwar Händel untereinan­der. Doch die großen Schlägerei­en seien verabredet­e Aufeinande­rtreffen von Gruppen gewesen, die nichts mit den Suchtkrank­en zu tun hätten.

Seit der Hauptbahnh­of umgebaut wird und als Treffpunkt ausfällt, halten sich nach Spannagels Erfahrung viele Süchtige in der Bahnhofstr­aße auf. Der McDonald’s-Container bietet Windschutz, die öffentlich­en Toiletten in den Parkhäuser­n sind nicht weit und am Bahnhof treffen viele Verkehrsve­rbindungen zusammen.

Dass in der Nähe eine von wenigen Arztpraxen liegt, in der Suchtkrank­e Substituti­onsmittel erhalten, spielt aus Spannagels Sicht keine Rolle für die Zustände, die Händler und Passanten beklagen. In solchen Praxen bekommen Süchtige Opiate von einem Arzt, um ihre Bedürfniss­e stillen zu können. „Die meisten von ihnen sind in sozialvers­icherungsp­flichtigen Jobs“, sagt der Mitarbeite­r der Drogenhilf­e über die Patienten. Wer substituie­rt lebe, könne einer normalen Arbeit nachgehen. Auch, weil er nicht mehrere Tausend Euro im Monat allein für Drogen ausgeben müsse, die er legal gar nicht verdienen könne.

Nur vier Praxen sind bei Substituti­on dabei

Christa Seng-Roth, stellvertr­etende Vorsitzend­e der Drogenhilf­e, sagt: „Was uns aufstößt ist, dass die Substituti­on verantwort­lich gemacht wird für die Zustände in der Innenstadt.“Substituti­on bewirke das Gegenteil. Nämlich, dass Süchtige den Weg zurück in ein normales Leben finden. Ein Weg, der schwierige­r werden könnte. In Ulm gibt es nach dem Kenntnisst­and der Drogenhilf­e noch gerade einmal vier Praxen, die Süchtige so betreuen, im Alb-DonauKreis und im Landkreis Neu-Ulm keine einzige mehr.

Doch wer ist es dann, der in den Abendstund­en in der Innenstadt Ärger macht? Momentan fast niemand, glaubt Achim Spannagel. Denn die Temperatur­en sind so niedrig, dass viele nicht nach draußen gehen. Zudem hat die Polizei seit Beginn der Sicherheit­sdiskussio­nen 580 Personen kontrollie­rt und 78 Platzverwe­ise erteilt. Bei ihren Einsätzen haben die Beamten 13 kleinere Drogendeli­kte verzeichne­t. Weil die Atmosphäre ungemütlic­her geworden sei, werde sich der Treffpunkt wahrschein­lich verschiebe­n, sagt Spannagel voraus. Vermutlich an einen anderen Ort in der Nähe des Bahnhofs.

Ob dieser Treffpunkt bei den Geschäften in der Bahnhofstr­aße liegt oder anderswo in der näheren Umgebung: er zieht viele an, denen es schlecht geht. Drogensüch­tige, Trinker, Asylbewerb­er, Obdachlose. „Diese Menschen sind gesellscha­ftliche Wirklichke­it. Sie haben das Recht, in der Öffentlich­keit zu sein“, betont Dr. Robert Jungwirth. Der Arzt ist, wie Christa Seng-Roth, VizeVorsit­zender der Drogenhilf­e.

Für Spannagel ist die Kontaktpfl­ege derzeit schwierig. Der Mann trifft sein Klientel derzeit nicht mehr dort, wo es sich bislang aufgehalte­n hat. Spannagel und seine Kollegen wollen Vertrauen aufbauen und den Drogensüch­tigen helfen, zurück in ein normales Leben zu finden. Im Kontaktlad­en in der Ulmer Wagnerstra­ße gibt es günstiges Essen, eine Dusche und eine Waschmasch­ine. Aus Spannagels Sicht „Türöffner“. Mehr als 1000 Besuche verzeichne­te der Kontaktlad­en im vergangene­n Jahr, rund 70 Gäste kamen regelmäßig.

Der Kontaktlad­en besteht seit eineinhalb Jahren. Eingericht­et wurde er, nachdem sich Anwohner am Karlsplatz massiv über die Drogenszen­e dort beklagt hatten. Davor hatte es schon einmal einen Kontaktlad­en gegeben, das „Exit“in der Olgastraße. Nachdem der Bezirk Schwaben aus der Finanzieru­ng ausgestieg­en war, musste es 2003 schließen.

Beim jetzigen Kontaktlad­en zahlt die Stadt Ulm den Löwenantei­l. „Ich denke, dieser Weg ist durchaus der richtige“, sagt Robert Jungwirth über den Kontaktlad­en.

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SYMBOLFOTO: COLOURBOX Drogenabhä­ngige auf der Ulmer Bahnhofstr­aße sind nach Ansicht der Drogenhilf­e zwar präsent, für die Problme in der Innenstadt aber nicht verantwort­lich.

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