Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Drogenhilfe nimmt Süchtige in Schutz
Experten sehen Verantwortung für Zustände in der Bahnhofstraße bei organisierten Banden
ULM - Drogen, Diebstahl, Gewalt? Achim Spannagel ist überzeugt, dass die drastischen Schilderungen übertrieben sind. Kurz vor Weihnachten hatten Händler in der Ulmer Fußgängerzone auf Missstände aufmerksam gemacht. Es gab Berichte über wüste Schlägereien, offenen Drogenhandel und -konsum und über Familien mit Kindern, die am Samstagabend im Sport-Sohn Zuflucht vor den Zuständen suchten.
Achim Spannagel arbeitet für den Kontaktladen der Drogenhilfe Ulm/ Alb-Donau. Der ehemalige Streetworker der Stadt ist noch immer einige Stunden in der Woche auf den Straßen Ulms unterwegs, verteilt Info-Material an Süchtige und pflegt den Kontakt zu ihnen. Er kennt die Situation in der Bahnhofstraße und er kennt Gründe dafür. Spannagel sagt: „Ich glaube, da wird viel vermischt.“Es seien keinesfalls nur die Drogensüchtigen, die Ärger machen – auch wenn deren Anwesenheit vielen Menschen unangenehm sei. „Die lungern da eben herum“, beschreibt Spannagel. Für die Probleme in den Abendstunden seien sie kaum verantwortlich. „Unsere Leute fallen halt auf“, sagt Spannagel. Aber ab Mittag seien die meisten sediert und lägen bloß noch herum. Gelegentlich gebe es zwar Händel untereinander. Doch die großen Schlägereien seien verabredete Aufeinandertreffen von Gruppen gewesen, die nichts mit den Suchtkranken zu tun hätten.
Seit der Hauptbahnhof umgebaut wird und als Treffpunkt ausfällt, halten sich nach Spannagels Erfahrung viele Süchtige in der Bahnhofstraße auf. Der McDonald’s-Container bietet Windschutz, die öffentlichen Toiletten in den Parkhäusern sind nicht weit und am Bahnhof treffen viele Verkehrsverbindungen zusammen.
Dass in der Nähe eine von wenigen Arztpraxen liegt, in der Suchtkranke Substitutionsmittel erhalten, spielt aus Spannagels Sicht keine Rolle für die Zustände, die Händler und Passanten beklagen. In solchen Praxen bekommen Süchtige Opiate von einem Arzt, um ihre Bedürfnisse stillen zu können. „Die meisten von ihnen sind in sozialversicherungspflichtigen Jobs“, sagt der Mitarbeiter der Drogenhilfe über die Patienten. Wer substituiert lebe, könne einer normalen Arbeit nachgehen. Auch, weil er nicht mehrere Tausend Euro im Monat allein für Drogen ausgeben müsse, die er legal gar nicht verdienen könne.
Nur vier Praxen sind bei Substitution dabei
Christa Seng-Roth, stellvertretende Vorsitzende der Drogenhilfe, sagt: „Was uns aufstößt ist, dass die Substitution verantwortlich gemacht wird für die Zustände in der Innenstadt.“Substitution bewirke das Gegenteil. Nämlich, dass Süchtige den Weg zurück in ein normales Leben finden. Ein Weg, der schwieriger werden könnte. In Ulm gibt es nach dem Kenntnisstand der Drogenhilfe noch gerade einmal vier Praxen, die Süchtige so betreuen, im Alb-DonauKreis und im Landkreis Neu-Ulm keine einzige mehr.
Doch wer ist es dann, der in den Abendstunden in der Innenstadt Ärger macht? Momentan fast niemand, glaubt Achim Spannagel. Denn die Temperaturen sind so niedrig, dass viele nicht nach draußen gehen. Zudem hat die Polizei seit Beginn der Sicherheitsdiskussionen 580 Personen kontrolliert und 78 Platzverweise erteilt. Bei ihren Einsätzen haben die Beamten 13 kleinere Drogendelikte verzeichnet. Weil die Atmosphäre ungemütlicher geworden sei, werde sich der Treffpunkt wahrscheinlich verschieben, sagt Spannagel voraus. Vermutlich an einen anderen Ort in der Nähe des Bahnhofs.
Ob dieser Treffpunkt bei den Geschäften in der Bahnhofstraße liegt oder anderswo in der näheren Umgebung: er zieht viele an, denen es schlecht geht. Drogensüchtige, Trinker, Asylbewerber, Obdachlose. „Diese Menschen sind gesellschaftliche Wirklichkeit. Sie haben das Recht, in der Öffentlichkeit zu sein“, betont Dr. Robert Jungwirth. Der Arzt ist, wie Christa Seng-Roth, VizeVorsitzender der Drogenhilfe.
Für Spannagel ist die Kontaktpflege derzeit schwierig. Der Mann trifft sein Klientel derzeit nicht mehr dort, wo es sich bislang aufgehalten hat. Spannagel und seine Kollegen wollen Vertrauen aufbauen und den Drogensüchtigen helfen, zurück in ein normales Leben zu finden. Im Kontaktladen in der Ulmer Wagnerstraße gibt es günstiges Essen, eine Dusche und eine Waschmaschine. Aus Spannagels Sicht „Türöffner“. Mehr als 1000 Besuche verzeichnete der Kontaktladen im vergangenen Jahr, rund 70 Gäste kamen regelmäßig.
Der Kontaktladen besteht seit eineinhalb Jahren. Eingerichtet wurde er, nachdem sich Anwohner am Karlsplatz massiv über die Drogenszene dort beklagt hatten. Davor hatte es schon einmal einen Kontaktladen gegeben, das „Exit“in der Olgastraße. Nachdem der Bezirk Schwaben aus der Finanzierung ausgestiegen war, musste es 2003 schließen.
Beim jetzigen Kontaktladen zahlt die Stadt Ulm den Löwenanteil. „Ich denke, dieser Weg ist durchaus der richtige“, sagt Robert Jungwirth über den Kontaktladen.