Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Millionenstadt aus Zelten
Von einer Rückkehr der Rohingya nach Birma kann längst noch keine Rede sein
RAVENSBURG - Hunderttausende geflohene Rohingya sollen von Bangladesch nach Birma zurückgeführt werden. Darauf haben sich die Regierungen der beiden südasiatischen Länder geeinigt. Doch die Realität sieht anders aus, berichten humanitäre Helfer vor Ort: Weder wollen, noch können die Flüchtlinge derzeit zurückkehren. Im Gegenteil, noch immer fliehen Rohingya in die entgegengesetzte Richtung, nach Bangladesch.
Es sind vor allem Kinder und Frauen, die sich seit August 2017 vor birmanischen Soldaten in Sicherheit gebracht haben – viele ihrer Väter und Ehemänner sind tot. Die Welle der Gewalt in Birmas westlichem Bundesstaat Rakhine war entfesselt worden, nachdem muslimische Rohingya-Rebellen Polizeiposten angegriffen hatten. Die Armee des mehrheitlich buddhistischen Staates reagierte mit massiver Gewalt. Die Vereinten Nationen sprechen von ethnischen Säuberungen; UN-Sonderberichterstatterin Yanghee Lee sieht „Kennzeichen von Völkermord“. Unter dem Druck der Weltöffentlichkeit hatte sich die Regierung von Birma offiziell bereiterklärt, die Geflüchteten zurückzunehmen.
Unter den Rohingya ist von Rückkehrplänen aber nichts zu spüren, berichtet Benjamin Steinlechner. Der Österreicher arbeitet für das UNKinderhilfswerk Unicef in der bangladeschischen Stadt Cox’s Bazar – direkt an der Grenze zu Birma, wo in den vergangenen Monaten das größte Flüchtlingscamp der Welt entstanden ist. „Die Situation ist nicht so, dass eine Rückkehr möglich wäre“, sagt der 34-Jährige. Zwar wollten viele Rohingya prinzipiell zurück. Aber nur, wenn ihre Sicherheit gewährleistet ist und sie in Birma – anders als bisher – auch als Bürger anerkannt werden. „Unicef pocht darauf, dass eine Rückkehr freiwillig sein muss. Davon sind wir noch weit entfernt.“
Die meisten Geflohenen seien froh, erst einmal in Sicherheit zu sein. Aus Birma bringen sie Berichte mit, die sich nicht unabhängig überprüfen lassen – das birmanische Militär lässt weder humanitäre Helfer noch unabhängige Journalisten in die Krisenregion. Doch die Aussagen gleichen sich. Die Geschichte einer 19-jährigen dreifachen Mutter, von der Steinlechner berichtet, ist nach seinen Worten kein Einzelfall. Die Frau hatte geschildert, dass birmanische Militärs eines ihrer Kinder in die Luft geworfen und mit einem Säbel erstochen hätten, sie selbst sei von fünf Soldaten vergewaltigt worden. „Wie soll diese Frau zurückkehren?“, fragt Steinlechner. Tatsächlich kämen noch immer Tag für Tag 150 bis 200 Flüchtlinge nach Bangladesch.
In Birma erntet die Armeeführung, die erst vor wenigen Jahren die Verantwortung an eine zivile Regierung unter der Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi übergeben hat, wenig Kritik. Im Gegenteil: „Das Militär ist nie beliebter gewesen als jetzt“, sagt Birma-Experte Richard Roewer vom Giga-Institut für Asienwissenschaften in Hamburg. Das liege nicht nur daran, das die Birmanen ernüchtert seien von Suu Kyis Regierung. Hinzu komme, dass die Generäle sich nun in der birmanischen Öffentlichkeit als diejenigen darstellen könnten, die das Land vor Terrorakten der Rohingya bewahren. Dabei seien die Rohingya-Rebellen im Vergleich zu anderen bewaffneten Gruppen im Land eine eher schwache Truppe, so Roewer. Doch in einer Gesellschaft, in der schon seit der Kolonialzeit eine antimuslimische Stimmung tief verwurzelt sei, komme solche Härte gut an.
In Bangladesch stehen Wahlen an
Auch in Bangladesch wächst das Unbehagen über die Flüchtlingslager an der Grenze, schließlich gibt es im Land selbst viel Armut. Und im nächsten Jahr stehen Wahlen an, da will sich die Regierung in Dhaka keine Blöße geben. Im Herbst hatte sie geplant, sämtliche Camps der Rohingya zu einem großen Lager zusammenzufassen. Das hat sich inzwischen erledigt, wie Benjamin Steinlechner berichtet: Die Flüchtlingslager sind von ganz alleine zusammengewachsen. Das Camp Kutupalong/Balukhali ist jetzt die viertgrößte Stadt von Bangladesch. Zu 300 000 Rohingya-Flüchtlingen, die hier schon länger lebten, sind seit August noch einmal 700 000 dazu gekommen – eine Millionenmetropole aus Zeltplanen.
Es ist eine Stadt, in der unterernährte Kinder leben und Erwachsene, die offiziell nicht arbeiten dürfen. Eine Stadt, in der Schulen nicht Schulen heißen, sondern „Lernorte“, denn die Regierung von Bangladesch lehnt alles ab, was nach dauerhaften Strukturen aussieht. Immerhin aber haben bangladeschische Soldaten zusammen mit Unicef 40 000 Toiletten gebaut, die einem Monsunregen standhalten. Die bisherigen Plumpsklos werden abgepumpt oder versiegelt. Denn spätestens im Mai beginnt die Monsunsaison, die Zelte der Rohingya stehen bald im Matsch. Schon im Herbst hatte Unicef deswegen 900 000 Impfdosen gegen Cholera verteilt. Ob die Vorbeugung reicht, um unter den schwierigen hygienischen Verhältnissen den Ausbruch einer Seuche zu verhindern, wird sich in wenigen Wochen zeigen.