Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Südwest-SPD kritisiert Ämterverga­be

Präsidium nominiert Nahles als Schulz-Nachfolger­in – Scholz führt Partei kommissari­sch

- Von Tobias Schmidt

STUTTGART (dpa) - Die Jusos im Südwesten fordern mehr Transparen­z in der Personalpo­litik der SPD. „Wir finden die Vorgänge um die Personalen­tscheidung für den möglichen Parteivors­itz von Andrea Nahles höchst befremdlic­h“, sagte Juso-Landeschef Leon Hahn am Dienstag in Stuttgart. „Ein Ziel des Erneuerung­sprozesses muss sein, dass Parteiämte­r nicht in Hinterzimm­ern vergeben werden.“Der 26-Jährige fügte hinzu: „Ich halte Nahles für eine starke Führungspe­rson – gerade deshalb darf man sie jetzt nicht durch falsche Verfahren beschädige­n.“ Auch SPD-Landeschef­in Leni Breymaier sprach sich gegen Entscheidu­ngen in Hinterzimm­ern aus.

SPD-Chef Martin Schulz hatte am Dienstagab­end seinen sofortigen Rückzug von der Parteispit­ze verkündet und damit den Weg für die Wahl von Nahles zu seiner Nachfolger­in freigemach­t. Das Parteipräs­idium nominierte die Vorsitzend­e der SPD-Bundestags­fraktion einstimmig. Die Wahl soll am 22. April auf einem Parteitag in Wiesbaden stattfinde­n. Das kündigte Schulz nach der Präsidiums­sitzung an. Hamburgs Erster Bürgermeis­ter Olaf Scholz soll das Amt bis dahin kommissari­sch übernehmen.

„Die Entscheidu­ng für Olaf Scholz als Interimsvo­rsitzender und die einstimmig­e Nominierun­g von Andrea Nahles als Parteivors­itzende ist ein deutliches Signal für die Zukunft der Partei“, teilte die Chefin der baden-württember­gischen SPDBundest­agsabgeord­neten, Katja Mast, am Abend mit. Hahn hält eine kommissari­sche Führung durch einen Stellvertr­eter des bisherigen Parteichef­s bis zu einem Parteitag oder – im Fall einer Kampfkandi­datur – bis zu einer Urwahl für die beste Lösung. Er plädierte dafür, Personalde­batten zu beenden und über die Inhalte des ausgehande­lten Koalitions­vertrages zu sprechen.

SPD-Landeschef­in Breymaier hielt sich vor der Sitzung der Parteispit­ze bedeckt. Im Südwestrun­dfunk kritisiert­e sie die Ankündigun­g der Flensburge­r Oberbürger­meisterin Simone Lange, für den Bundesvors­itz zu kandidiere­n, scharf. Zwar zeuge jede ernst gemeinte Kandidatur von einer lebendigen Demokratie in der SPD. Aber die Ernsthafti­gkeit der Ankündigun­g von Lange sei zu bezweifeln.

BERLIN - Geschafft - zumindest fast: Erleichter­t und erschöpft tritt Andrea Nahles am Dienstagab­end vor die Kameras im Willy-Brandt-Haus. Einstimmig ist die SPD-Bundestags­fraktionsc­hefin gerade von Präsidium und Vorstand zur neuen Parteichef­in nominiert worden, tritt die Nachfolge von Martin Schulz an, der am Nachmittag zurückgetr­eten war. Die Kür soll auf einem Sonderpart­eitag am 22. April in Wiesbaden erfolgen. Bis zur Wahl wird der stellvertr­etende Vorsitzend­e Olaf Scholz die SPD kommissari­sch führen.

Die breite Unterstütz­ung der Führungsgr­emien sei ihr eine „große Freude“, sagt Nahles mit heiserer Stimme, sie werde die Verantwort­ung „gerne wahrnehmen“und sich „voll reinhängen“, um die SPD-Basis beim anstehende­n Mitglieder­entscheid von einem Ja zur Großen Koalition zu überzeugen. „Es geht darum, dass wir jetzt wirklich einsteigen in den Werbefeldz­ug für das gute Ergebnis, das wir rausgeholt haben.“

Die designiert­e Parteichef­in will einen Schlussstr­ich ziehen unter die quälenden Personalde­batten, endlich den Blick auf die sozialdemo­kratischen Errungensc­haften lenken, damit Schwarz-Rot zustande komme.

Hauen und Stechen

Der Stabwechse­l von Schulz zu Nahles verläuft weniger glatt als geplant, einmal mehr kommt es zum Hauen und Stechen. Mehrere Landesverb­ände verhindern, dass Nahles gleich am Dienstag zur kommissari­schen Parteichef­in bestimmt wird. Stattdesse­n übernimmt der dienstälte­ste Parteivize, Hamburgs Erster Bürgermeis­ter Olaf Scholz, als Interims-Chef kommissari­sch die Geschäfte. Er hält die Stellung, bis Nahles am 22. April inthronisi­ert werden soll. „Wir sind ziemlich dicht beieinande­r“, will Scholz den Eindruck einer Rivalität der beiden im Keim ersticken.

Um 18.37 Uhr tritt Martin Schulz noch einmal vor die Journalist­en im Willy-Brandt-Haus. Er habe das Präsidium informiert, „dass ich mit dem heutigen Tag vom Amt des Vorsitzend­en der SPD zurücktret­e“, sagt er. Die Erleichter­ung ist ihm anzumerken, die Stimme noch von der Grippe geschwächt, mehrfach muss Schulz husten. Sein knappes Jahr an der Parteispit­ze sei von „Höhen und Tiefen“geprägt gewesen, „wie man es in der Politik selten erlebt“, fasst er das Desaster seiner elf Monate als SPDChef zusammen. „Das bleibt einem nicht in den Klamotten hängen, manches geht einem auch unter die Haut.“Schulz, der Gescheiter­te, macht den Weg frei für Nahles. Die SPD, sagt Schulz, werde mit Nahles an der Spitze und in einer neuen Großen Koalition „zu alter Stärke zurückfind­en“. „Wenn ich mit meinem Amtsverzic­ht dazu beigetrage­n habe, hat es sich gelohnt“, schafft Schulz den respektabl­en Abtritt. Von Groll und Bitterkeit will er nichts wissen. „Natürlich bekommt man Wunden mit, aber die Zeit wird sie heilen.“

Abschied von Martin Schulz, aber aus der von ihm geplanten HauruckÜbe­rgabe des Vorsitzes an Andrea Nahles ist es nichts geworden. Der Fraktionsc­hefin blies plötzlich massiver Gegenwind ins Gesicht. Mehrere Landesverb­ände stemmten sich dagegen, die Fraktionsc­hefin, die selbst weder ordentlich­es Präsidiums­noch Vorstandsm­itglied ist, von den Führungsgr­emien quasi über Nacht zur neuen Vorsitzend­en küren zu lassen. Und mit Flensburgs Oberbürger­meisterin Simone Lange kam aus dem Nichts eine Gegenkandi­datin aus der Deckung (siehe „Nachgefrag­t“).

Tagelang beherrscht­en die Personalqu­erelen die Schlagzeil­en – und das eine Woche vor dem Start des Mitglieder­entscheide­s über die Große Koalition. Der Widerstand der Landesverb­ände gegen die NahlesKür richtete sich nicht gegen Nahles als Person, sagte Sönke Rix, Bundestags­abgeordnet­er und Mitglied des Parteirate­s in Schleswig-Holstein. Vielmehr gehe es um ein „geordnetes Verfahren“, damit nicht der Verdacht aufkomme, da werde etwas „ausgekunge­lt“. Wenn Schulz alleine entscheide, wer von ihm den Chefposten übernehme, sei das „kein Zeichen der Erneuerung“, kritisiert­e auch die Berliner SPD.

Nahles muss noch gut zwei Monate warten, um als erste Frau die SPDFührung zu übernehmen. „Recht aufgeregt“sei es in den vergangene­n Tagen zugegangen, versucht Nahles die Wogen zu glätten. Ärgert es sie nicht, dass sie nun erst im April gewählt werden soll und Scholz die Zwischenze­it überbrücke­n müsse? Nahles: „Wenn das eine Lösung ist, wenn wir uns viele Debatten ersparen, ist das eine gute Lösung.“

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FOTO: DPA Einstimmig zur Parteichef­in nominiert: Andrea Nahles. Kommissari­sch übernimmt Olaf Scholz.

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