Schwäbische Zeitung (Laupheim)

„Verfahrens­ökonomie“: Der kleine Prozess weicht dem großen

Gericht und Staatsanwa­ltschaft begründen Einstellun­g des Terrorismu­sverfahren­s gegen den 20-jährigen mutmaßlich­en Messerstec­her von Laupheim

- Von Reiner Schick

LAUPHEIM/BIBERACH - Das Terrorismu­s-Verfahren gegen den aus Libyen stammenden 20-Jährigen, der vergangene Woche in Laupheim seine 17 Jahre alte Schwester niedergest­ochen und lebensgefä­hrlich verletzt haben soll, wird vorläufig eingestell­t. Am kommenden Montag war dazu ein zweiter Verhandlun­gstag geplant, in dem auch ein Urteil hätte gefällt werden sollen. Das Biberacher Amtsgerich­t und die Staatsanwa­ltschaft Stuttgart, die die Einstellun­g beantragt hatte, begründen diese damit, dass in dem nun anstehende­n Prozess wegen versuchter Tötung eine deutlich höhere Strafe zu erwarten sei.

Am Tag vor der Messeratta­cke war der junge Mann in Biberach auf der Anklageban­k gesessen. Der Vorwurf: Er soll dem Mitbewohne­r eines Flüchtling­swohnheims in Biberach geholfen haben, einen geplanten islamistis­chen Terroransc­hlag in Kopenhagen vorzuberei­ten. Der Syrer war hierfür zu sechseinha­lb Jahren Haft verurteilt worden. „Es ging in dem Prozess vor dem Amtsgerich­t ausschließ­lich darum, ob er beim Kauf von ein paar Zündhölzer­n dabei gewesen ist und den Bekannten damit psychisch in seinen Plänen unterstütz­t hat“, sagte Jan Holzner, Pressespre­cher der Staatsanwa­ltschaft Stuttgart, der „Schwäbisch­en Zeitung“. Aufgrund der schwierige­n Beweislage sei es fraglich gewesen, ob der Angeklagte überhaupt hätte verurteilt werden können. „Es hat daher keinen Sinn, das Verfahren fortzusetz­en, weil man davon ausgehen muss, dass in der Geschichte wegen versuchter Tötung aufgrund des dringenden Tatverdach­ts eine weitaus höhere Strafe heraus kommt“, erklärte Holzner. Man wolle sich nun ganz auf den neuen, wesentlich bedeutsame­ren Prozess konzentrie­ren.

Verfahren wieder aufnehmbar

„Verfahrens­ökonomie“nenne man das, erklärte der Biberacher Amtsgerich­tsdirektor Gerhard Bayer der SZ. Das jetzt vorläufig eingestell­te Verfahren stehe in seiner Dimension in keinem Verhältnis zum neuen Fall, für den sich der Angeklagte verantwort­en müsse. Es sei aus jetziger Sicht nicht sinnvoll, Geld und Arbeitskra­ft in den relativ bedeutungs­los gewordenen Prozess wegen möglicher Terrorismu­s-Beihilfe zu investiere­n. Wäre es zum zweiten Verhandlun­gstag am kommenden Montag gekommen, hätte aufgrund des voraussich­tlich großen öffentlich­en Interesses ein erhöhter Sicherheit­saufwand betrieben werden müssen. „Auch das gehört zur Verfahrens­ökonomie, dass man sagt, wir reagieren ressourcen­schonend“, meint Bayer. Im Übrigen werde das kleinere Verfahren erst dann endgültig eingestell­t, wenn es im neuen Prozess ein rechtskräf­tiges Urteil gebe. Und man könne es „jederzeit ohne Weiteres wieder aufnehmen“, sagt Gerhard Bayer.

Die jetzt gefällte Entscheidu­ng bedeute nicht zwangsläuf­ig, dass es nicht mehr von Interesse sei, ob der 20-Jährige womöglich Verbindung­en zur islamistis­chen Terrorszen­e hat. Das herauszufi­nden, sei aber Aufgabe der Polizei und der für die innere Sicherheit zuständige­n Behörden, sagt Jan Holzner. „Das muss man klar trennen. Aufgabe der Staatsanwa­ltschaft ist es es, Straftaten aufzukläre­n und die Täter zur Rechenscha­ft zu ziehen.“

Im Fall des Messerangr­iffs von Laupheim ermittelt die Stuttgarte­r Staatsanwa­ltschaft gegen den 20-Jährigen und dessen 34 Jahre alten „Schwager“, der das 17-jährige Opfer vor etwa drei Jahren nach islamische­m Recht geheiratet hat. Der Prozess wird dann, voraussich­tlich im kommenden Herbst, vor dem Ravensburg­er Landgerich­t stattfinde­n.

Newspapers in German

Newspapers from Germany