Schwäbische Zeitung (Laupheim)
„Die Arbeit ist noch nicht zu Ende“
Feier im Landratsamt steht unter dem Motto „100 Jahre Frauenwahlrecht in Deutschland“
BIBERACH - Die Feier des Weltfrauentags hat im Biberacher Landratsamt unter dem Motto „100 Jahre Frauenwahlrecht in Deutschland“gestanden.
Kürnbacher Trachtenpuppen hinter Landrat Heiko Schmid und vor ihm Frauen aus der Region, dazu Bilder jener Frauen, die einstmals für Gleichberechtigung gekämpft hatten. Somit war er umringt von Geschichte und Geschichten. „Die Gleichberechtigung von Frau und Mann muss uns ein Herzensanliegen sein. Die Empathie und Argumentation von Frauen tut jeder Sitzung, jeder Gemeinde gut“, stellte er klar. Doch trotz Jubelstimmung wurde er rasch ernst. „Ich bin tief erschüttert darüber, was in einer ,Schattengesellschaft’ mitten unter uns passiert und dass trotz unserer deutschen Gesetze die Zwangsverheiratung Minderjähriger geschehen kann.“
1918 wurde das Frauenwahlrecht in die Weimarer Verfassung aufgenommen und die Ausstellung im Foyer des Landratsamts widmet sich diesem Aspekt der deutschen Historie. Sigrid Arnold, Gleichstellungsbeauftragte des Landkreises Biberach, stellte mit Stolz und Freude das Ergebnis einer intensiven Kooperation vor. „Es ist wichtig, dieses historische Ereignis in Erinnerung zu rufen, gerade auch für die jüngeren Frauen, denn denen ist oftmals nicht bewusst, dass das Wahlrecht den Frauen damals nicht geschenkt worden war.“
Den mit Stolpersteinen gepflasterten Weg zeigte die in Bad Schussenried lebende Kulturwissenschaftlerin Judith Seifert in ihrem Festvortrag auf. Dabei ging es über „Kinder, Küche, Kirche“hinaus und tief hinein in eine oft gefährliche Zeit. Es war die Rede von den „Salons gebildeter Frauen“und von der angeblich fehlenden natürlichen weiblichen Qualifikation. Was heute beinahe humoristisch klingt, war bitter erkämpft: „Die Frau wird frei geboren.“Dass eine Frau „Schafott und Rednertribüne“besteigen dürfe, war ein Etappenziel, bis schließlich klar war, dass „Wahlrecht ist Menschenrecht“zu gelten habe und eine „gerechte Teilhabe“versprochen wurde. Viele Namen schwirrten am langen Abend durch den Raum. Sie bezeugten, dass viele Vorkämpferinnen nötig waren. Dass „rote Emanzen“wegen ihrer freien Meinungsäußerung im Gefängnis saßen. Dass sie während des Ersten Weltkriegs ihren Kampf einstellen und sich der Heimatfront widmen sollten. Dass schließlich zwei Millionen mehr Frauen als Männer zur Urne gingen – und dass die erste Frauenquote von 9,7 Prozent im Parlament erst 1989 wieder erreicht worden ist.
Zur Feier im Landratsamt waren sieben Frauen geladen, die als gewählte Mitglieder eines Gremiums Reden hielten: die Bundestagsabgeordnete Hilde Mattheis (SPD), die Landtagsabgeordnete Petra
Krebs (Grüne), Kreisrätin Waltraud Riek, Anja Reinalter, Kreisrätin und Stadträtin in Laupheim, die Riedlinger Stadträtin Lea Sharon Fritz, die Ochsenhauser Stadträtin Renate Schlegel und Monika Brobeil, Bürgermeisterin in Attenweiler. Die angekündigte Podiumsdiskussion wollte unter der Moderation der Attenweiler Regisseurin Corinna Palm nicht gelingen. Stattdessen suchte sie in Interviewform die persönliche Meinung. Als Motivation der politischen Tätigkeit benannte Monika Brobeil den Wunsch, nicht nur die Entscheidungen anderer umzusetzen, sondern selbst entscheiden zu wollen. Hilde Mattheis riet Lea Sharon Fritz, sie solle nie locker lassen. „Es geht immer um Macht, Zeit und Geld. Das wollen wir teilen und nicht Almosen bekommen. Und wir müssen uns für ein Bollwerk der Demokratie einsetzen.“Fritz wiederum wertete es als kostbar, dass ihr Handzeichen im Rat genauso viel Wert ist wie das eines Mannes und Renate Schlegel stimmte ihr zu: „Es ist gut, in von Männern dominierten Gremien als Frau einen Input zu geben.“Petra Krebs sieht die sexuelle Selbstbestimmung der Frau als wichtige Errungenschaft der vergangenen 100 Jahre. Nach ihren Vorsätzen für die Zukunft befragt, legt Anja Reinalter bei Gegenwind Wert auf den Mut, etwas auszuhalten. „Ich kippe nicht um, ich denke meinen Gedanken fertig.“Gelächter und Beifall bekam Waltraud Riek. Sie hat sich für die Zukunft ein hohes Ziel gesetzt: „Ich will für die Kreistagswahl 100 Kandidatinnen suchen. Wir brauchen zehn, damit eine reinkommt.“
Das Resümee des inhaltsschweren Abends formulierte die Gleichstellungsbeauftragte Sigrid Arnold: Eine wohltuende Freude über das Erreichte – aber auch die schmerzliche Irritation darüber, dass die Arbeit noch nicht zu Ende sei, da bislang kein Land der Welt die Gleichstellung erreicht habe.
„Es geht immer um Macht, Zeit und Geld. Das wollen wir teilen und nicht Almosen bekommen.“Hilde Mattheis