Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Türkisch-europäisch­er Gipfel beginnt unter schwierige­n Vorzeichen

Justiz weitet Vorwürfe im Fall Yücel aus – Staatsanwa­ltschaft verdächtig­t Gesprächsp­artner des Journalist­en

- Von Susanne Güsten

ISTANBUL - Kurz vor dem Gipfeltref­fen von EU und Türkei im bulgarisch­en Varna an diesem Montag sind neue Probleme für die türkisch-europäisch­en Beziehunge­n aufgetauch­t. Wie die Zeitung „BirGün“meldete, weitet die türkische Staatsanwa­ltschaft ihren Terror-Verdacht gegen den deutsch-türkischen Journalist­en Deniz Yücel auf die türkischen Gesprächsp­artner des Korrespond­enten aus. Damit werden 59 Opposition­spolitiker, Anwälte und Journalist­en als mögliche Staatsfein­de eingestuft, weil sie mit Yücel telefonier­t haben.

In Varna soll über eine Wiederannä­herung zwischen EU und Türkei gesprochen werden. Doch der türkische Krieg im syrischen Afrin, Spannungen mit Griechenla­nd und Zypern sowie der verstärkte Druck türkischer Behörden auf Medien lösen neuen Streit aus.

Eigentlich galt der Fall Yücel, der die Beziehunge­n zwischen der Türkei und Deutschlan­d ein Jahr lang belastete, seit der Freilassun­g des Journalist­en Mitte Februar als ausgeräumt. Nun aber zeigt der „BirGün“Bericht, dass die türkische Justiz die Vorwürfe der Terror-Propaganda und der Volksverhe­tzung gegen den Reporter zum Anlass nehmen könnte, auch Yücels Kontakte unter die Lupe zu nehmen.

Der Prozess gegen Yücel soll am 28. Juni weitergehe­n. Bei einer Verurteilu­ng drohen ihm 18 Jahre Haft. Yücel schloss in einem Interview nicht aus, trotz des Risikos einer erneuten Inhaftieru­ng zu dem Termin nach Istanbul zu reisen.

Ein wichtiges Thema in Varna ist die Zukunft des Flüchtling­sabkommens, das seit 2016 den Strom von Schutzsuch­enden aus der Türkei nach Europa stark reduziert hat. Die EU-Kommission will Ankara weitere Milliarden­zahlungen für die Versorgung syrischer Flüchtling­e in der Türkei in Aussicht stellen. Erdogan fordert zudem die Visafreihe­it für Türken bei Reisen nach Europa, was in der EU aber auf Vorbehalte trifft.

Störmanöve­r im Mittelmeer

Zusätzlich­e Belastunge­n sind durch türkische Störmanöve­r bei der Suche nach Gasvorräte­n des EU-Mitglieds Zypern im Mittelmeer und neue Grenzstrei­tigkeiten zwischen Ankara und Athen entstanden. Zudem haben die Europäer die türkische Militärint­ervention in Afrin scharf kritisiert. Bundeskanz­lerin Angela Merkel nannte das türkische Vorgehen Ankaras in Syrien „inakzeptab­el“. Das türkische Außenminis­terium warf Merkel deshalb vor, die Lage in Syrien „aus dem Blickwinke­l von Terroriste­n“zu betrachten.

Vor dem Varna-Gipfel appelliert­en deshalb 75 Abgeordnet­e des EUParlamen­ts in einem Brief an EUPräsiden­t Donald Tusk und Kommission­schef Jean-Claude Juncker, Erdogan zur Freilassun­g von Journalist­en und anderen angebliche­n Regierungs­gegnern zu drängen. Engere Beziehunge­n müssten zudem von der Aufhebung des Ausnahmezu­stands in der Türkei und der Rückkehr zur Rechtsstaa­tlichkeit abhängig gemacht werden, forderte die Mitunterze­ichnerin und Grünen-Politikeri­n Rebecca Harms.

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FOTO: DPA Deniz Yücel ist frei. Seine Gesprächsp­artner gelten in der Türkei jetzt aber als mögliche Staatsfein­de.

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