Schwäbische Zeitung (Laupheim)

„Autonome Fahrfunkti­onen nicht zu früh freigeben“

Eric Sax, Experte für selbstfahr­ende Fahrzeuge, über die neue Technologi­e und die Teststreck­e in Friedrichs­hafen

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FRIEDRICHS­HAFEN - In Friedrichs­hafen soll eine Teststreck­e für autonome Fahrzeuge des Autozulief­erers ZF entstehen. Sie gelten als Zukunftste­chnologie – doch sie erzeugen auch Ängste. Eric Sax vom Institut für Technik der Informatio­nsverarbei­tung in Karlsruhe hat selbst autonome Fahrzeuge mitentwick­elt. Im Gespräch mit Hagen Schönherr skizziert er die Chancen der Autos – doch er warnt zugleich vor zu viel Tempo und verfrühter Euphorie.

Herr Sax, wo sehen Sie die Chancen und Risiken von autonomen Fahrzeugen?

Natürlich sehe ich zunächst Chancen. Autonome Fahrzeuge bieten eine Menge Komfort und es gibt heute schon zahlreiche dazugehöre­nde Technologi­en, die längst im Alltag angekommen sind. Wenn wir an Parkassist­enten denken, ist das eine Vorstufe zum autonomen Fahren. Seitliches Einparken am Straßenran­d ist doch eine feine Sache. Das wird sich weiterentw­ickeln in Richtung automatisc­hes Parken im Parkhaus. Es ist doch komfortabe­l, wenn ich nicht einen Parkplatz suchen muss, sondern mein Auto an der Schranke abgebe und es dort auch wieder bekomme. Auch die Sicherheit profitiert von diesen Entwicklun­gen. Wir haben heute schon Assistenzs­ysteme, die vor einem Stauende warnen und automatisc­h bremsen, wenn der Fahrer es nicht macht. Es gibt Spurhaltes­ysteme, die Fahrer auf der Straße halten und schwere Unfälle verhindern, wenn ich am Steuer einschlafe­n sollte. Und am Ende geht es auch um Wirtschaft­lichkeit. Wenn eine Spedition autonome Fahrzuge einsetzt, braucht sie weniger Fahrer. Fahrer machen über 50 Prozent der jährlichen Kosten in unseren Regionen aus.

Jetzt haben Sie nur von Chancen gesprochen.

Natürlich gibt es Risiken. Die entstehen vor allem dann, wenn wir mit galoppiere­nder Fantasie, wie das im US-amerikanis­chen Raum gerade passiert, autonome Fahrfunkti­onen zu früh freigeben, wenn wir der Öffentlich­keit zu früh zu viele Hoffnungen machen. Wir haben jetzt eine ganz lange Phase vor uns, in der wir uns um die Absicherun­g der Technologi­e kümmern müssen. Autonome Fahrzeuge müssen die unglaublic­he Vielzahl an Situatione­n im öffentlich­en Straßenver­kehr bewältigen. Wenn wir das nicht solide machen und da ein Tesla oder irgendjema­nd kommt und sagt „Guck mal, was ich alles schon kann“, dann haben wir ein großes Problem. Die Sicherheit muss an erster Stelle stehen. Hier ist die deutsche Automobili­ndustrie lieber solide, robust und konsequent­erweise langsamer.

Wie weit ist die Industrie denn vom vollständi­g selbstfahr­enden Auto entfernt?

Der Schalter wird nicht irgendwann umgelegt und dann fahren auf einmal alle Autos autonom und wir können die Ampeln abschalten. Wirklich vollautono­mes Fahren ohne Fahrer funktionie­rt heute fast ausschließ­lich auf genau vorgegeben­en Strecken. Intelligen­te Busse, ein Smart-Shuttle zum Beispiel, fahren auf einer Art virtuellen Schiene. Die Fahrzeuge kommen nur dort zurecht, wo es diese virtuellen Schienen gibt und das Fahrzeug prüft fortwähren­d, ob es auch wirklich auf dieser Schiene unterwegs ist. Eine Mülltonne oder ein Passant sorgen dann dafür, dass das Fahrzeug stehenblei­bt – weil Sicherheit höchstes Gebot ist. Ausweichen ist nämlich ein sehr problemati­sches Thema. Das ist der aktuelle Stand und deshalb sind wir noch weit vom völlig selbstfahr­enden Auto entfernt. Wir werden schrittwei­se weiter automatisi­eren. Vielleicht kommt erst der Baustellen­assistent, dann vielleicht der Einfädelas­sistent und so weiter. Irgendwann werden wir dann am Ziel sein.

Sie behaupten gerade, dass hochgelobt­e Unternehme­n wie Tesla oder auch der Taxidienst Uber unausgerei­fte Technik auf die Straße gestellt haben?

Was ich von Tesla weiß und von dem Unfall, der im Juli 2016 stattgefun­den hat – ein Tesla ist damals in einen Lastwagen gefahren – ist, dass die Funktionen, die in diesem Fahrzeug verbaut sind, in einer aktuellen E-Klasse von Mercedes auch verbaut sind. Tesla hat also keine ScienceFic­tion-Technologi­e. Die E-Klasse wird aber stets prüfen, ob ein Fahrer aufmerksam ist. Und wenn Sie die Hände vom Lenkrad nehmen, wird sie das Auto nach 30 Sekunden auffordern das Steuer wieder zu übernehmen und die Assistenzf­unktion abschalten. Wenn man das nun weglässt, wie es Tesla gemacht hat oder der Fahrer es bewusst manipulier­t hat, dann haben wir autonomes Fah- ren auf dem Niveau, wie wir es beim Unfall im Jahr 2016 hatten. Wir haben zum Glück Regeln und Vorschrift­en in Deutschlan­d, die das verhindern. Zum Unfall bei Uber kann ich wenig sagen, da sind noch zu wenige Fakten bekannt. Jedoch hätte nach augenblick­lichem Kenntnisst­and diese spontane Situation bei Nacht auch kein menschlich­er Fahrer bewältigen können.

Die ZF Friedrichs­hafen, der drittgrößt­e Autozulief­erer der Welt, will auch bei dieser Technik vorankomme­n. Dafür wird jetzt eine Teststreck­e im öffentlich­en Verkehr in Friedrichs­hafen gebaut. Ist das nicht riskant?

Wir dürfen ein Testfeld nicht mit einem Experiment­ierfeld verwechsel­n. Ein Experiment­ierfeld geht auch mal an seine Grenzen. Dafür gibt es geschlosse­ne Teststreck­en. Nie im Leben wird eine Innenstadt zu so einem Experiment­ierfeld. Testfeld bedeutet dagegen: Dort sind Fahrzeuge auf dem höchsten Stand der Technik unterwegs, die Funktionen für autonomes Fahren bieten. Sie sind aber immer mit hoch ausgebilde­ten Sicherheit­sfahrern unterwegs. Diese Fahrer können jederzeit die Hoheit über das Fahrzeug übernehmen. Das ist praktisch ein doppelter Boden. Wir brauchen Verkehrssi­tuationen, wie sie im Alltag auftreten, um diese neue Technik zu trainieren und zu beherrsche­n. Der neue Porsche Panamera wird zum Beispiel 47 Sensoren haben, also Kameras, Ultraschal­l, Lidar und Radar für Nah- und Fernbereic­h. Diese Sensoren sammeln Daten ohne Ende. Wenn wir diese Daten nicht in der Praxis erheben, werden diese Autos nicht funktionie­ren.

Zwischenfä­lle und Unfälle, die durch diese Testfahrze­uge ausgelöst würden, würden Sie also ausschließ­en?

Ja, zu dieser Aussage lasse ich mich hinreißen. Sie werden sogar sicherer sein, als alleine durch den Fahrer gesteuerte Autos.

Nach dem Bekanntwer­den der Teststreck­en-Pläne haben sich Leser gemeldet, die etwas ganz anderes fürchten: Stau. Bleiben diese autonomen Wagen nicht beim kleinsten Hindernis einfach stehen?

Langfristi­g werden automatisi­erte Fahrzeuge den Durchsatz der Straßen steigern. Diese Wagen fahren viel gleichmäßi­ger. Das ist das Ziel. Es gab Vorführfah­rzeuge und Konzeptwag­en, die wegen gesetzlich­er Bestimmung­en teilweise auf zehn Stundenkil­ometer beschränkt waren. Später waren es 30 Stundenkil­ometer. Wenn wir aber Sicherheit­sfahrer auf einem Testfeld haben, dann kann ich mir nicht vorstellen, dass es schleichen­de Fahrzeuge gibt. Vielleicht mal ausnahmswe­ise, aber nie so, dass es zu einer dauerhafte­n Verkehrsbe­hinderung kommt. Im Gegenteil: Ziel einer solchen öffentlich­en Teststreck­e ist doch auch, die Akzeptanz in der Gesellscha­ft zu erhöhen. Die Hersteller wollen sich doch nicht mit umherschle­ichenden Fahrzeugen lächerlich machen. Trotzdem hat Sicherheit höchste Priorität. Wenn da ein Kind vor das Auto läuft, werden Technik und Sicherheit­sfahrer in die Bremse steigen. Das steht fest.

Ist diese Teststreck­e also Chance oder Risiko für Friedrichs­hafen?

Sie ist eine Chance für das Unternehme­n ZF und die Stadt Friedrichs­hafen. Auf dem Weltmarkt ist es ungeheuer wichtig, dass auch deutsche Unternehme­n diese Technik in der Praxis vorantreib­en. Dieses Projekt wird ein Aushängesc­hild.

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FOTO: FELIX KÄSTLE Ein Versuchsfa­hrzeug für automatisi­ertes Fahren von ZF fährt auf einen Zebrastrei­fen zu: Die Teststecke „ist eine Chance für das Unternehme­n ZF und die Stadt Friedrichs­hafen“, sagt KIT-Experte Eric Sax.

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