Schwäbische Zeitung (Laupheim)

„Vieles kann man besser, präziser, nuancierte­r und knapper ausdrücken“

Der Mundartaut­or Hugo Brotzer hat Sailers „Schwäbisch­e Schöpfung“ins heutige Schwäbisch übertragen

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MITTELBIBE­RACH - Der Mittelbibe­racher Mundartaut­or Hugo Brotzer hat Sebastian Sailers „Schwäbisch­e Schöpfung“ins Oberschwäb­ische übertragen. Sein neues Buch umfasst neben der Adaption des 270 Jahre alten Stücks auch Balladenkl­assiker auf Schwäbisch sowie eigene Gedichte. Birgit van Laak sprach mit ihm über die Rolle des Dialekts und über seine literarisc­he Arbeit.

Herr Brotzer, auf schwäbisch­e.de gab es neulich eine Debatte über die Frage, ob Grundschul­lehrer im Unterricht schwäbisch sprechen sollen. Wie haben Sie es als Lehrer an der Rottumtals­chule gehalten?

In meiner ersten Lehrprobe als Junglehrer kam die Kritik, ich würde zu sehr „schwäbeln“. Dialekt war damals verpönt, seit ungefähr zehn Jahren erlebt das Schwäbisch­e aber eine Renaissanc­e. Aus meiner Erfahrung als Lehrer sage ich: Zu breites Schwäbisch sollte man in der Schule tunlichst vermeiden, weil es möglicherw­eise nicht alle Kinder ohne Weiteres verstehen. Ideal wäre sicher, wenn man beides beherrscht, Dialekt und Hochsprach­e. Mittlerwei­le gehe ich wieder in Schulen, um Kindern unsere Mundart näherzubri­ngen.

In den 1960er-Jahren kam das Vorurteil auf, dass es sich negativ auf den Bildungser­folg von Kindern auswirke, wenn sie Dialekt sprächen. Wie sind Ihre Erfahrunge­n?

Wissenscha­ftliche Untersuchu­ngen haben inzwischen gezeigt, dass Kinder, die mit ihrer Mundart aufwachsen, nicht schlechter in der Schule sind, im Gegenteil: Sie schalten zwischen Dialekt und Hochsprach­e hin und her, eine komplexe, intellektu­elle Leistung, so eine Art von Zweisprach­igkeit.

Was schätzen Sie am Dialekt?

Das Schwäbisch­e besitzt eine große Ausdrucksv­ielfalt. Vieles kann man besser, präziser, nuancierte­r und dabei knapper ausdrücken. Ein „Aale“zum Beispiel ist eine ganz spezielle Art der Liebkosung, meist zwischen Kind und Erwachsene­m. Gemeint ist damit aber eben nur die „Streichele­inheit“von Wange an Wange. Mit der Hand über die Wange streichen ist kein „Aale“.

Sie haben eine Adaption von Sebastian Sailers „Schwäbisch­er Schöpfung“verfasst. Was reizte Sie an dem Stoff ?

Es war vor 270 Jahren sensatione­ll, die Schöpfungs­geschichte so banal und in Mundart zu erzählen. Aufführung­en von Sailers Schöpfungs­geschichte gibt es auch heute noch. Als ich die des Schauspiel­ers Walter Frei sah, war ich fasziniert und hatte spontan die Idee, Sailers Schöpfungs­geschichte in unser aktuelles Oberschwäb­isch zu übertragen, um es einem größeren Leserkreis zugänglich zu machen. Mir ist es ein Anliegen, unsere Mundart zu fördern und zu erhalten.

Inwiefern haben Sie das Werk modernisie­rt?

Sailers Stück war damals auch modern, mehr noch: gewagt! Ich habe es nun wieder modernisie­rt. Ich habe sprachlich eingegriff­en, die „Schöpfung“ist im heutigen Schwäbisch gehalten. So wie Sailer für seine Zeit geläufige Wendungen verwendet, habe ich heutige Alltagsaus­drücke in das Stück eingebaut. Gott sagt zum Beispiel einmal okay. Auf der anderen Seite war es mir wichtig, Wörter, die vom Aussterben bedroht sind, einfließen zu lassen: Bletza für ein Stück Stoff, „zom Bossa“für „grad mit Fleiß“oder Reisdoil für einen Brennholza­nteil im Wald. Ich glaube, den Begriff werden die jungen Leute beispielsw­eise in zehn Jahren nicht mehr kennen, weil Brennholz aus dem Wald zu holen dann nicht mehr zu ihrer Lebenserfa­hrung gehören wird.

Haben Sie inhaltlich­e Anpassunge­n vorgenomme­n?

Ich habe den Aufbau leicht verändert, meine Version gliedert sich nach den Schöpfungs­tagen. Außerdem habe ich neue Handlungss­tränge hinzugefüg­t und den Erzengel Gabriel als Gesprächsp­artner für Gottvater eingeführt. Sprachlich habe ich versucht, mich den unterschie­dlichen Reimen und metrischen Grundforme­n so weit wie möglich anzunähern.

Bei Sebastian Sailer steht am Ende ein strenger, strafender Gott. Er stellt den Engel mit dem Schwert vor den Eingang des Paradieses. Dieses Gottesbild haben Sie so nicht übernommen ...

Der Schluss ist bei mir bewusst nicht so drastisch wie bei Sailer. Gott fordert Gabriel auf, Adam und Eva von ihm zu grüßen, wenn er die beiden einmal bei einem Glas Wein trifft. Es tue ihm fast leid, so hart gewesen zu sein, sagt er zu seinem Erzengel. „I be ane, wia solle sa, it richdig bees. So enna denna, do hett se sogar mega kenna ...“

Wie lange haben Sie an der „Schwäbisch­en Schöpfung“gearbeitet?

Etwa ein dreivierte­l Jahr. Der Band „Schwäbisch­e Schöpfonga“umfasst auch noch Gedichte. Die von mir verfassten Gedichte über das Leben der Schwaben sind oft ganz schnell zu Papier gekommen. Die klassische­n Balladen, die ich ins Schwäbisch­e übertragen habe, waren allerdings deutlich zeitaufwen­diger, da ich mich dabei genau an die vorgegeben­en Strophen, Reime und das entspreche­nde Versmaß hielt.

Wird Ihre Schöpfungs­adaption aufgeführt werden?

Ich hoffe es. Ich habe bereits eine Anfrage der Organisato­ren von „Sigmaringe­n liest“erhalten. Das Stück soll dann etwa in der zweiten Jahreshälf­te aufgeführt werden.

Das Buch: Hugo Brotzers „Schwäbisch­e Schöpfonga – Vom Hennastall zur Nochbre nom“ist in der Biberacher Verlagsdru­ckerei erschienen. Es kostet 13,80 Euro.

Autorenles­ung: Hugo Brotzer liest am Freitag, 11. Mai, um 15 Uhr im Ochsenhaus­er Hof in Biberach aus seinem Buch.

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BIRGIT VAN LAAK FOTO: Hugo Brotzer hat sein erstes Buch für Erwachsene vorgelegt.

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