Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Ulmer Staatswanwalt steht vor einem Problem
Michael Bischofberger muss nachweisen, dass Geschichten von Asylbewerbern erfunden sind
ULM - Eine Geschichte hat Oberstaatsanwalt Michael Bischofberger schon drei Mal gehört, von drei verschiedenen Leuten: Die Männer behaupten unabhängig voneinander, sie hätten in ihrem Heimatort im westafrikanischen Gambia ein Mädchen missbraucht und seien dann durch den Dschungel geflohen. Jemand habe sie auf einem Motorroller mit zur Grenze genommen. Ihr Begleiter sei auf der Flucht ums Leben gekommen.
Die Geschichten sind sich so ähnlich und in Teilen so unglaubwürdig, dass Bischofberger überzeugt ist, dass sie erfunden sind. Und doch steht der Ulmer Staatsanwalt vor einem Problem. Er muss nachweisen können, dass die Geschichten nicht stimmen. Die Männer sind nach Deutschland geflohen, sie haben das Szenario in der Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) geschildert. In Deutschland gilt: Wer in seinem Heimatland hingerichtet werden könnte, der darf nicht abgeschoben werden. Die rechtliche Grundlage dafür ist Artikel 102 des Grundgesetzes: Die Todesstrafe ist abgeschafft. Auch, wenn einem Straftäter zuhause Lynchjustiz droht, darf er in Deutschland bleiben.
Schleuser sollen Tipps geben
Bischofberger geht davon aus, dass Schleuser den Geflüchteten den Tipp gegeben haben, deshalb ein schweres Verbrechen zu gestehen. Was tun mit ihnen? Christof Lehr, Leiter der Ulmer Staatsanwaltschaft, bringt das Problem auf den Punkt: „Wir wissen nicht: Ist der Mann brandgefährlich oder ist er ein Lügner?“Auch das Vortäuschen einer Straftat ist strafbar. Doch so lange das nicht nachweisbar ist, leben die Männer in Flüchtlingswohnheimen in Ulm und der Umgebung. Ihre Zimmer sind durchsucht worden, Handys und Datenträger sichergestellt. Die Staatsanwälte wollen herausfinden, ob die Geständnisse der Wahrheit entsprechen.
Bamf-Fälle nennen die Ulmer Strafverfolger diese Verfahren, benannt nach der Behörde, die ihren Sitz in Nürnberg hat. 16 dieser Fälle sind zwischen Februar 2017 und März 2018 bei der Ulmer Staatsanwaltschaft eingegangen. Zehn Männer haben Morde gestanden, sechs Männer Sexualstraftaten. Einer von ihnen hat sich bei den Vernehmungen derart in Widersprüche verwickelt, dass er schließlich seine Lüge gestand. Der Mann ist wegen Vortäuschens einer Straftat verurteilt worden.
Immer sind es Männer, um die es geht. Einer behauptet sogar, acht Taliban in Afghanistan getötet zu haben. Diese Verbrechen sind kaum nachweisbar. Das liegt zum einen daran, dass die Flüchtlinge die Taten zwar zunächst gestehen. Doch sobald sie bemerken, dass ihnen deswegen in Deutschland ein Verfahren und Haft drohen, schweigen sie und kooperieren nicht mehr. Zum anderen leisten die Behörden mancher Länder keine Rechtshilfe. Ein Beispiel ist Afghanistan. Gesteht also jemand, dort ein Verbrechen begangen zu haben, kann die Staatsanwaltschaft keine Erkundigungen anstellen, ob derjenige die Wahrheit sagt.
Ein dritter Grund: Die deutschen Behörden wollen vermeiden, dass die Angehörigen des vermeintlichen Straftäters durch eine Nachfrage in dessen Heimatland in Schwierigkeiten kommen. Die Staatsanwaltschaft steht auch vor anderen Schwierigkeiten. So zum Beispiel im Fall der angeblichen Vergewaltigungen in Gambia. Michael Bischofberger und seine Kollegen bei der Staatsanwaltschaft könnten wegen der kargen Angaben allenfalls sehr vage Nachfragen bei den gambischen Behörden stellen: Ist bekannt, dass in der jüngeren Vergangenheit in einer Region des Landes ein Mädchen vergewaltigt wurde? Die Erfolgsaussichten sind gering.
Handys sollen Hinweise geben
Die Staatsanwälte setzen also darauf, in den Handys und Datenträgern Hinweise zu finden. Darüber hinaus prüfen sie, wie wahrscheinlich die Angaben stimmen und ob es Widersprüche gibt. Da helfen Fragen nach Details. Wie genau ist das passiert? Was folgte in welcher Reihenfolge? Und: Kennt sich der Mann dort aus, wo er das Verbrechen begangen haben will? Wo ist die größte Kreuzung, was gibt es dort noch, wie heißt das Krankenhaus? Angaben, die sich auch von Deutschland aus überprüfen lassen.
Lässt sich ein Mord oder eine Vergewaltigung nachweisen, könnten die Schuldigen auch in Deutschland verurteilt werden – selbst wenn es eine im Ausland begangene Tat eines Ausländers an einem Ausländer ist. Darf ein Verbrecher nicht ausgeliefert werden, greift das Weltrechtsprinzip. „Dann würde hier ein Gericht urteilen, aber nach unseren Strafbestimmungen“, erklärt Staatsanwalt Bischofberger. Dazu ist es bei den Ulmer Bamf-Fällen bisher nicht gekommen. Abgesehen von dem einen Geständnis eines erfundenen Verbrechens laufen die Verfahren noch.