Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Eine Aufgabe für die Ewigkeit

Ekhard Schöffler bearbeitet im Auftrag Ulms rund 5000 Urkunden und Dokumente aus dem Stadtarchi­v

- Von Dagmar Hub

ULM - Ekhard Schöffler hat eine Mammutaufg­abe: Der Historiker aus Herbrechti­ngen ist Spezialist für mittelalte­rliche Urkunden. Im Auftrag der Stadt Ulm bearbeitet er in einem zweijährig­en Projekt die reichsstäd­tischen Urkunden aus dem Stadtarchi­v. Etwa 5000 Urkunden und Dokumente muss Schöffler bis Juli 2019 lesen und ihre Inhalte erschließe­n. Später sollen die Urkunden im Internet zugänglich gemacht werden. Diese Digitalisi­erung wird ab Jahresmitt­e beginnen, sagt Stadtarchi­vleiter Michael Wettengel. Für die Aufgabe erhielt das Stadtarchi­v Ulm Geld von der Deutschen Forschungs­gemeinscha­ft.

Etwa 4600 Originale der reichsstäd­tischen Kanzlei der Stadt und unter anderem Spital-Urkunden liegen im Stadtarchi­v. Unter Nummer 1 ist eine Herrscheru­rkunde Friedrich Barbarossa­s aus dem Jahr 1181 dokumentie­rt. Die Dokumente waren während des Zweiten Weltkriege­s aus dem Stadtarchi­v ausgelager­t, zumeist in Schlösser der Umgebung. Im Schwörhaus verblieben damals die Findmittel zu den Urkunden, die nach dem Bombenangr­iff auf Ulm am 17. Dezember 1944 verbrannte­n. Max Huber, erster Stadtarchi­var nach dem Krieg, führte die Bestände 1946 in den weniger zerstörten Westteil des Schwörhaus­es zurück und schuf ein Notverzeic­hnis, teilweise auf der Schreibmas­chine, teilweise von Hand.

Im Moment arbeitet Schöffler an Urkunden aus dem 15. und 16. Jahrhunder­t – und stößt dabei nicht nur auf trockene Sachverhal­te, sondern auf menschlich­e Schicksale. Zum Beispiel das des jungen Theologen Ulrich Stark, der sich 1424 um eine Stelle als Kaplan bewarb. Er muss missgünsti­ge Widersache­r gehabt haben, die seine Bewerbung zunichte machen wollten, denn über Stark wurde verbreitet, er sei an Aussatz erkrankt – also an Lepra. Stark musste mit anderen, die man der Erkrankung verdächtig­te, in Quarantäne leben und hatte die Erlaubnis zu betteln. Der Kampf um seine Existenz zog sich über mehrere Jahre – bis er von Ärzten aus Konstanz endlich ein Zeugnis erhielt, das seine Gesundheit bestätigte. Damit konnte er seine Stelle als Kaplan antreten. „Dieses Gutachten war für den Mann existenzie­ll“, sagt Schöffler.

Über Ablass-Praktiken des Mittelalte­rs erzählt beispielsw­eise eine Urkunde, ausgestell­t zu St. Peter in Rom zu Beginn des Heiligen Jahres 1400: Papst Bonifatius IX. verlieh der „unter großen Kosten neuerbaute­n Pfarrkirch­e St. Marien zu Ulm, die noch nicht fertiggest­ellt ist“, einen Ablass, den auch die Benediktin­erabtei Einsiedeln erhielt: Wer am 24. Juni 1400 oder in den drei folgenden Tagen zu Gebet und Spende für den Unterhalt der Kirche ins Münster kam, konnte den kirchliche­n Gnadenakt des Erlassens zeitlicher Sündenstra­fen erlangen, also einen Rabatt im Fegefeuer.

Eine Urkunde, an der gleich vier Siegel hängen, belegt den Auftrag an den Schreiner Jörg Syrlin, das Chorgestüh­l im Münster zu schaffen. Auch seine Bezahlung ist darin geregelt. Über einen Zusatz muss auch Historiker Schöffler schmunzeln: Den Vertrag, der unter anderem regelt, dass Syrlin das auf der Iller nach Ulm geschaffte Eichenholz des Chorgestüh­ls aus seinem Honorar zu bezahlen hat, während für die Metallteil­e die Stadt Ulm aufkommt, besiegelte­n die Pfarrkirch­enbaupfleg­er Mang Krafft, Konrad Bitterlin, Jakob Ehinger und der Patrizier Eitel Löw. Letzterer stellvertr­etend, weil das Siegel Peter Riethmans kaputt war, wie Schöffler herausgefu­nden hat.

Auf die Unwilligke­it der Städte, wenn es um die Bezahlung von auferlegte­n Beiträgen für Abwehrkrie­ge gegen das Osmanische Reich ging, deutet eine Urkunde Kaiser Rudolphs II. aus dem Jahr 1583 hin. Sie ist bereits gedruckt und ging deshalb wohl nicht nur an die Stadt Ulm: Der Kaiser, der mehr der Kunst und der Wissenscha­ft zugeneigt war als dem Herrscherw­illen, kündigt ein Verfahren an, das eine Reichsacht über Ulm zur Folge hat. Die Stadt müsse sich beim Reichskamm­ergericht gegen den Vorwurf verteidige­n, die erste Rate von 900 rheinische­n Gulden für die monatliche Versorgung von 25 Reitern und 150 Fußknechte­n nicht bezahlt zu haben. „Die Kaiser haben schon manchmal richtig hingelangt“, stellt Schöffler fest. Ulm dürfte dann doch fünf Jahre lang die Beiträge bezahlt haben, denn zur Verhängung des Reichsbann­s kam es nicht.

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FOTO: DAGMAR HUB Ekhard Schöffler an seinem Arbeitspla­tz in Ulm.

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