Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Vom „Monster“lernen

Vier Mütter erklären, warum ein Leben mit Down-Syndrom so lebenswert wie jedes andere Leben ist

- Von Reiner Schick

BALTRINGEN - Vier Frauen. Nur zwei haben sich zuvor schon gekannt. Und doch haben sie sich, von der SZ zu einer Gesprächsr­unde nach Baltringen geladen, drei Stunden lang eine Menge zu erzählen. Weil sie etwas Besonderes verbindet: Sie lehnen Abtreibung ab, und sie lieben ihre Kinder – nicht trotz, sondern wegen einer Behinderun­g. Ein Leben mit Down-Syndrom, sagen sie, ist lebenswert. Und auch für die Eltern ein Segen. Wenn man es annimmt.

Am Anfang aber war der Schock. „Es war niederschm­etternd“, sagt Gabi Braun über den Moment, als die Ärztin am Tag nach der Geburt ihres Mädchens das Ergebnis der ersten Untersuchu­ng mitteilte: Trisomie 21. Down-Syndrom. „Ich konnte es nicht glauben. Die sagen, mein Kind ist behindert? Aber es ist doch ganz normal. Arme, Beine, alles da“, erzählt sie. Wo ist das Monster, für das so ein Kind von vielen gehalten wird? „Ich habe einen Bluttest verlangt.“Das Ergebnis kam zwei Wochen später und bestätigte die Diagnose. „Als der Anruf kam, war ich schon gefasster als am Anfang. Aber ich brauchte den Beweis.“

Nicht weniger schlimm als die erste Diagnose war die Reaktion der Ärztin. „Sie haben ein Down-Syndrom-Kind. Daran sind Sie selbst schuld, weil sie alle empfohlene­n Voruntersu­chungen verweigert haben“, habe sie zu hören bekommen. „Da hat es mir den Boden unter den Füßen weggezogen.“Ja, man habe ihr, angesichts ihres fortgeschr­ittenen Alters, eine Fruchtwass­eruntersuc­hung empfohlen. Aber rechtferti­gt das derartige Vorwürfe, nur weil man von seinem Recht, etwas nicht zu tun, Gebrauch gemacht hat? Und was heißt schuld? Schuld an einem Unglück?

Das nur ein solches ist, wenn man es als solches betrachtet, und nicht das Positive annimmt. Davon sind alle vier Frauen am Tisch überzeugt. Dass es für viele Eltern einer Katastroph­e gleichkomm­t, wenn ihr Kind mit Down-Syndrom zur Welt kommt, hat für die vier Mütter vor allem mit mangelnder Aufklärung zu tun. „Man hört nur: Wie kann ich abtreiben, wenn Trisomie 21 festgestel­lt wird? Es gibt aber kaum Infos über das Leben mit dem Down-Syndrom“, sagt Stefanie Stöferle. „Warum heißt es immer: Hauptsache gesund? Was ist an einem behinderte­n Kind schlecht?“, fragt sich die 28-Jährige. Und dann sagt sie einen bemerkensw­erten Satz: „Ein Kind mit Down-Syndrom ist das größte Geschenk, das du bekommen kannst.“

Als vor Jahren die Nachricht kam, dass sie mit hoher Wahrschein­lichkeit keine eigenen Kinder würde kriegen können, brach eine Welt zusammen. „Ich wurde depressiv“, berichtet sie. Es dauerte, bis die Erkenntnis reifte: Das Leben ist nicht immer planbar, aber man kann Ziele auch über Umwege erreichen. „Als wir uns für eine Adoption beworben haben, haben wir Gabi Braun (44) aus Stetten, drei Kinder, das jüngste – die siebenjähr­ige Carla – hat das Down-Syndrom (DS)

Hiltrud Knab (58) aus Offingen, drei Kinder, das mittlere – der 30-jährige Andreas – hat das DS Christa Dangel (62) aus Baltringen, drei Kinder, das mittlere – die 30-jährige Monika – hat das DS

Stefanie Stöferle (28) aus Warthausen hat den 15 Monate alten DS-Jungen Nathan adoptiert

bewusst angekreuzt, auch ein behinderte­s Kind zu nehmen“, sagt Stefanie Stöferle. „Ich kenne schon lange ein Kind mit Down-Syndrom. Und immer, wenn ich so eines sehe, geht mir das Herz auf.“

Doppeltes Glück

Seit Nathan vor gut einem Jahr, nur drei Wochen alt, bei ihr und ihrem Mann Julian ein neues Zuhause gefunden hat, „ist er das zufriedens­te Kind der Welt“, sagt Stefanie Stöferle. Und auch sie ist glücklich. Allerdings sei die erste Begegnung mit Nathan nicht die erhoffte Liebe auf den ersten Blick gewesen. „Als ich ihn im Kinderwage­n gesehen habe, bin ich erschrocke­n: Oh Gott, der sieht schon sehr behindert aus“, gibt sie zu. Und auch als die Pflegemutt­er ihr Nathan auf den Arm gegeben hat, „war er zwar ganz süß – aber nicht mehr“. Doch schon beim nächsten Aufeinande­rtreffen war alles anders: „Er hat mich angeschaut, angelächel­t – und da war es um mich geschehen.“ Geholfen bei der Entscheidu­ng für ein Kind mit Down-Syndrom hat Stefanie Stöferle, dass sie sich vor der Adoption umfangreic­h informiert hat. Durch christlich­e Literatur, im Internet, in Gesprächen mit Menschen, die bereits Erfahrung mit solchen Kindern haben.

„Ich war anfangs nur am Heulen“, erzählt Christa Dangel. „Bis eine Jahrgänger­in mir angeboten hat, mit ihrem Down-Jungen vorbeizuko­mmen. Als ich ihm begegnet bin, habe ich festgestel­lt: Es ist okay. Sein Charme hat mich locker gemacht. Da ist alle Last von mir abgefallen.“

Natürlich wirkt sich das DownSyndro­m nicht bei jedem Menschen gleich stark aus. Das wissen auch die vier Frauen, die von ihren großen Sorgen wegen der bei DS-Kindern verbreitet­en, mal kleineren, mal größeren Herzfehler­n berichten, von Suchaktion­en, weil man eine Sekunde nicht Acht gegeben hat. Von hyperaktiv­en und extrem in sich gekehrten Menschen. Das alles sei natürlich auch anstrengen­d. „Aber man wächst in die Aufgabe rein“, sagt Hiltrud Knab. Und vor allem: Den Mühen stehe so viel Positives gegenüber. Da fallen Schlagwort­e wie Charme, Feingefühl, Empathie, Rücksicht, Hingabe. „Wir können so unglaublic­h viel lernen von diesen Kindern“, meint Stefanie Stöferle. „Sie zeigen uns, wie das Leben funktionie­rt.“Weil sie unbeschwer­t leben, im Jetzt und nicht in der Sorge, was morgen ist. „Wenn ich mal wieder in Hektik verfalle“, erzählt Christa Dangel, „macht mir meine Tochter klar, dass ich Geduld haben muss.“

Das gelte auch für die Entwicklun­g von DS-Kindern. „Ein Kind ist kein Statussymb­ol“, sagt Stefanie Stöferle über Eltern, die ihre Kinder immerzu mit anderen vergleiche­n. Hiltrud Knab fügt an: „Mit einem Down-Kind weiß man von vornherein: Diesen Wettbewerb gewinnst du nicht.“Genau das zu akzeptiere­n und zu erkennen, dass ein Kind anders ist als andere, aber nicht minder liebenswer­t, und auch dazu zu stehen – das sei eine Herausford­erung, an der nicht nur betroffene Eltern, sondern auch die Gesellscha­ft allzu oft scheitere. Deswegen bereite auch der Umgang mit DownKinder­n vielen Probleme. „Das liegt aber nicht nur an der Gesellscha­ft, sondern auch an uns“, meint Stefanie Stöferle. „Wenn ich merke, jemand schaut mein Kind seltsam an, kläre ich ihn auf. Schon ist das Eis gebrochen und die Verunsiche­rung weg.“

Anerkennun­g statt Inklusion

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FOTOS: PRIVAT Monika (Mitte), 30, tanzt Zumba.
 ??  ?? Nathan, 15 Monate, mit seinen Adoptivelt­ern
Nathan, 15 Monate, mit seinen Adoptivelt­ern
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Andreas, 30 Jahre
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Carla, 7 Jahre

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