Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Einladung an die Natur
Während die Vielfalt in der Landschaft schrumpft, setzen Naturliebhaber auf Gärten, in denen die Vielfalt des Lebens aufblüht
LAUPHEIM - Blumen blühen, Insekten summen, Vögel zwitschern, alte Bäume spenden Schatten, in dem Kinder spielen: Dieses Bild von Natur ist für die meisten Menschen der Inbegriff von Idylle im eigenen Garten. So wie man sich auch die Natur selbst wünscht. Doch die Realität sieht heute häufig anders aus. Landwirtschaftliche Monokulturen, stark gedüngt, mit effektivem Pflanzenschutz, immer mehr Straßen und dichte Bebauung haben die Landschaft in einem Maße sterilisiert, dass Blumenvielfalt selten geworden ist und sogar die eigentlich allgegenwärtigen Insekten spürbar seltener geworden sind. Dass jeder noch sichtbare Schmetterling bejubelt wird. Korn- und Mohnblumen, selbst Löwenzahn machen sich rar. Es scheint: Mensch und Natur schließen sich aus.
Aber auch im Raum Laupheim gibt es Gegenbeispiele: Menschen, die die Natur zu sich einladen und die in diesen Frühlingstagen wieder mit lebendiger Vielfalt belohnt werden. Es sind Menschen, deren Augen leuchten, wenn sie von ihrem Gartenreich erzählen. Es sind meist Frauen, die beim Pflanzen, Gießen und Hüten – kurz: Gestalten – auf eigener Parzelle Erfüllung und Ausgleich finden. Die genießen, wenn es in allen Farben wächst und sprießt, wenn Bienen, Hummeln und auch die längst bedrohten Wespen umherschwirren. Damit leisten solche Gartenfreunde der schrumpfenden Artenvielfalt einen großen Dienst – und schwören, dass der Aufwand dafür viel geringer ist, als man meint. Denn eine Grundidee lautet: wachsen lassen!
Es summt und zwitschert
So wie Annette Rieger und Peter Fischer es auf ihrer kleinen Parzelle in der Kleinlaupheimer Siedlung halten. Tausend Quadratmeter Garten hinter ihrem Haus blühen in diesen Wochen wieder auf. Klassische Zierund auch viele Wildblumen sorgen seit Wochen für Farbtupfer im satten Grün des Rasens. Es summt und zwitschert bereits in allen Tonlagen – mehr als in den meisten Gärten im Hochsommer. Das ist gewünscht: „Ich wollte den Garten so anlegen, dass so viele Tiere wie möglich kommen“, erzählt Annette Rieger. Ihre Augen leuchten, wenn sie von dem Dauerprojekt erzählt, entspannt auf dem Gartenstuhl unter dem Apfelbäumchen. Die Geräuschkulisse über den Köpfen verrät: Es klappt! Mit einem ökologischen Grundgedanken hatte das Paar Haus und Grundstück gekauft, um vor zehn Jahren mit zwei Kindern dort einzuziehen: möglichst wenig fossile Energie verbrauchen, möglichst viel Natur einziehen zu lassen. Nebenbei zieht die Familie auch eigenes Gemüse auf der eigenen Parzelle.
Die Arbeitsteilung ist klassisch: Sie gestaltet den Garten, er macht Holz und mäht Rasen – dieser Tage muss Peter Fischer sich damit noch gedulden. Stichwort: wachsen lassen! Erst, wenn das Wiesenschaumkraut unter den Apfelbäumen verblüht ist, will der Lehrer das Gras mit dem ersten Schnitt stutzen. Solange dürfen die frühen Blüher sich auf der kleinen Wiese entfalten. Auch der Löwenzahn darf ein Stück wachsen und muss erst weichen, wenn er anfängt, sich zu verbreiten. Das Wiesenkraut, Gänseblümchen und Schlüsselblumen sorgen frühzeitig für Farbtupfer – und ziehen zusammen mit Zierpflanzen die Insekten magisch an. „Es blüht dauernd etwas“, erklärt Annette Rieger. Vögel folgen auf den Fuß. „Insektenhotels“, Hecken, Holzstapel bieten Lebensraum. Mit Erfolg: An manchen Tagen registrierten sie 13 Vogelarten in ihrem Garten, erzählt Annette Rieger, die beruflich am Empfang eines Unternehmens arbeitet. Noch etwas erfreut ihr Herz: „Wir haben viele Schmetterlinge hier und viele Wildbienen.“Oder anders: Die Familie schuf sich ein Stück Idylle, in dem sie sich der Natur nahe und wohl fühlt.
„Mein kleines Paradies“
Nicht anders beschreibt Helga Büchele ihr Gefühl, wenn sie im Garten werkelt. Der ist viel kleiner und ums Haus in Kleinlaupheim verteilt, aber sie nennt ihn „mein kleines Paradies“. In der Tat verblüfft, was die gelernte Schneiderin da alles wachsen lässt: verschiedenen Sorten Tulpen, Rosenbüsche, Schilfgras, Gänseblümchen, Seerosen im Teich, Löwenzahn für Gelee und Salat, Salbei, Knoblauch, Himbeeren, Zwetschen, Holunder. Die Waldrebe Clematis ist noch unscheinbar. Aber später: „Wenn die blüht, ist das ein Traum.“Es ist ihr Traum, sagt Helga Büchele und lacht: „Die Gartenpflanzen, das sind meine Herztropfen.“
Beide Frauen machen es genau richtig, weiß Michael Schick. Der Bronner Gärtner ist bekannt für sein ökologisches Engagement, für seine naturnahe Gartengestaltung – und Aktionen wie den exotischen Tomatenmarkt im Sommer. Er lädt immer wieder zu Führungen in seinen Garten – ebenfalls eine Naturoase, die jetzt hör- und sichtbar zum Leben erwacht. Als der gebürtige Bronner dort 1991 einzog, gab es hinter dem Haus nur eine Wiese, heute regiert auf gut 1600 Quadratmetern die große Vielfalt. Eine fette Hummel begrüßt den Besucher, über den Köpfen summt es emsig, und das ist kein Zufall: Der Gärtner half der Vielfalt an Insekten und Vögeln
mit einer Vielfalt an Pflanzen, wie sie auch in der Natur vorkommen. In den meisten Gärten, so beklagt der 55-Jährige, wächst nicht mehr viel, das Insekten und Vögeln hilft – und der Trend zu Schotterabdeckungen oder gleich leblosen Steingärten sei geradezu verheerend. Leiden Insekten und Vögel schon unter dem Schrumpfen der Natur, so hungere dieser Trend sie noch zusätzlich aus. Ein Garten, der mehr ist als ein bisschen Auslauf am Haus, sieht anders aus – und so hat der leidenschaftliche Öko-Gärtner seinen von Anfang an angelegt.
Er pflanzte Obstbäume, setzte Hecken, legte Beete und Wege im Stil alter Bauerngärten an – und ließ vor allem eine Menge Gewächs zu, das anderswo schnell dem Messer zum Opfer fallen würde. Eigentlich, so sinniert Michael Schick am gemütlichen Tisch unter dem alten, von Bienen summenden Apfelbaum, mache ein einfacher, naturnaher Garten deshalb auch weniger Arbeit als einer, der permanent dem akkuraten Schnitt unterliegt. Man muss, im Gegenteil, „nur wenig eingreifen, da wo die Gestaltung es braucht.“Noch ein Tipp pro Natur kommt eigentlich dem faulen Gärtner sogar entgegen: Im Herbst sollte der Garten nicht komplett aufgeräumt und von Bewuchsresten befreit werden. Wichtig sei, „immer einen Reisighaufen liegen zu lassen“.
Die Natur freut sich. In den Hohlräumen der toten Pflanzen überwintern Käfer, in Reisighaufen überleben Igel die kalte Jahreszeit. Ein gutes Beispiel ist die Wilde Karde, eine Distelart, die nicht die berüchtigten langen Wurzeln der Disteln austreibt und deshalb bei Bedarf leichter beseitigt werden kann. Bei Michael Schick darf sie ihre zwei Jahre wachsen und dabei ihre langen Blütenstengel austreiben, deren Blütendolden nicht nur hübsch aussehen, sondern Insekten wie Vögeln nützen. Er führt zu rostigen Kannen voller brauner Stengel: abgestorbene, hohle Stengel der Karde, die Menschen als Gartendeko dienen – und Käfern als winterliche Behausung. Begehrt bei Tieren sind auch die Benjeshecken oder Totholzhecken, die das Grundstück zusammen mit Büschen und Obstbäumen umgeben. In den Hecken leben Zauneidechsen, Ringelnattern und Frösche. Ließe man ihn: Michael Schick könnte stundenlang durch sein summendes, zwitscherndes Reich führen und erzählen.
Eine Botschaft wiederholt sich: Vielfalt kommt ein Stück weit von allein, wenn man sie zulässt. Weil er den Rasen im Frühjahr wachsen lässt, hat sich bei ihm eine Wiese entwickelt, auf der Primeln aller Art, Krokusse, Blaustern, Löwenzahn und Schneeglöckchen sich mit dem Blühen abwechseln – beginnend beim Winterling, dessen gelbe Blüten die Insekten quasi zum Winterausgang begrüßen. Diese Vielfalt gibt es auch in manchen Gemarkungen, die als Baugebiete ausgewiesen werden – und da schlagen Freunden von Naturgärten manchmal zu, holen diese Pflanzen von den Flächen, die bald keine mehr sind, „damit sie nicht wegkommen, damit man sie rettet“.