Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Erdogans Gegner schmieden Allianz
Fünf Parteien wollen die Macht der Regierungspartei AKP des türkischen Präsidenten am 24. Juni brechen
ISTANBUL - Die Parlaments- und Präsidentschaftswahl in der Türkei am 24. Juni könnte spannender werden als frühere Abstimmungen. Vier Oppositionsparteien haben sich für die Parlamentswahl verbündet, um die Macht der Regierungspartei AKP des Präsidenten Recep Tayyip Erdogan zu brechen. Auch bei der Präsidentenwahl könnte es für Erdogan schwieriger werden als erwartet. Eine kriselnde Wirtschaft und Erdogans autokratischer Kurs tragen zum Aufwind für die Opposition bei. Die AKP ist nervös und bereitet Wahlgeschenke in Milliardenhöhe vor.
In der Allianz finden sich Parteien zusammen, die ideologisch durch tiefe Gräben getrennt sind, durch ihre Gegnerschaft zu Erdogan jedoch geeint werden. Zugpferde sind die säkularistische Republikanische Volkspartei (CHP), die stärkste Oppositionskraft im Parlament, und die Iyi Parti (Gute Partei) der Nationalistin Meral Aksener. Diese beiden verabredeten eine Zusammenarbeit mit der islamistischen Glückseligkeits-Partei (SP) und der bürgerlich-konservativen Demokratischen Partei (DP). Das Bündnis soll der SP und der DP durch Listenverbindungen über die ZehnProzent-Hürde ins Parlament helfen; in einer Wahlallianz muss nur der ganze Block über zehn Prozent liegen, nicht jede einzelne Partei.
Erdogans Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) und die rechtsgerichtete Partei der Nationalen Bewegung (MHP) haben ein ähnliches Bündnis geschlossen, das der schwächelnden MHP das Überleben im Parlament sichern soll. In einer aktuellen Umfrage kommt das neue Oppositionsbündnis, das an diesem Donnerstag offiziell vorgestellt werden soll, auf mehr als 40 Prozent der Stimmen und liegt damit etwa gleichauf mit dem AKP-MHP-Block.
Als einzige große Oppositionspartei gehört die Demokratische Partei der Völker (HDP), die legale Kurdenpartei in der Türkei, nicht zum Bündnis der Erdogan-Gegner. Hier zeigt sich, dass die etablierten Parteien der Türkei nach wie vor die Zusammenarbeit mit der politischen Vertretung der Kurden scheuen – was die Opposition schwächen könnte. Nach aktuellen Umfragen kann die HDP ebenfalls mit einem Parlamentseinzug rechnen. Erdogan könnte am 24. Juni daher seine Parlamentsmehrheit verlieren. Gemeinsam ist dem Oppositionsbündnis und der HDP, dass sie den von Erdogan vorangetriebenen Umbau der Türkei in eine Präsidialrepublik ablehnen. Sie versprechen den Wählern, für einen Erhalt des parlamentarischen Systems zu kämpfen.
Aufhebung des Ausnahmezustands
Die Erdogangegner wollen den seit dem Putschversuch von 2016 geltenden Ausnahmezustand aufheben und die Meinungsfreiheit stärken: Meral Aksener zum Beispiel verspricht, dass die Türken ab dem 25. Juni wieder die seit einem Jahr gesperrte Online-Enzyklopädie Wikipedia nutzen können. Über die Ablehnung von Erdogans Politik hinaus verbindet die vier Parteien aber wenig. Sie werden es schwer haben, sich im Falle eines Wahlsieges in wichtigen Politikbereichen wie der Kurdenfrage auf ein Programm zu einigen.
Was die am 24. Juni ebenfalls anstehende Präsidentenwahl angeht, sind die Folgen des neuen Oppositionsbündnisses noch nicht genau abschätzbar. Erdogan liegt in den Umfragen weit vor den anderen Kandidaten. Dazu gehören Iyi-Parti-Chefin Aksener, der inhaftierte Ex-Vorsitzende der HDP, Selahattin Demirtas, und Temel Karamollaoglu von der islamistischen SP.
Nach dem Verzicht von Ex-Präsident Abdullah Gül auf eine Kandidatur richtet sich die Aufmerksamkeit nun auf den CHP-Kandidaten, der an diesem Freitag bekannt gegeben werden soll. Spekulationen zufolge könnte die säkularistische Partei den früheren Wirtschaftsminister Ali Babacan oder Ex-Vizepremier Abdüllatif Sener aufbieten: Beide früheren Erdogan-Minister haben sich vom Präsidenten distanziert. Ein starker CHP-Kandidat würde Erdogan einen Sieg in der ersten Runde der Präsidentenwahl erschweren, sagte der Meinungsforscher Murat Gezici in Istanbul. Insbesondere junge und urbane Wähler wenden sich demnach vom Präsidenten ab.
Die Erdogan-treue Zeitung „Akit“spekuliert schon jetzt, dass Erdogan nach einer Niederlage bei der Parlamentswahl rasch erneute Wahlen ansetzen wird. Dies hatte der Präsident bereits nach einer Wahlschlappe der AKP im Jahr 2015 mit Erfolg exerziert.
Dass überhaupt über eine Niederlage der AKP nachgedacht wird, zeigt den Ernst der Lage für die seit 16 Jahren regierende Partei.