Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Rosenland fordert wohlwollende EU-Kritik
Hauptredner des Biberacher DGB-Maifests wirbt für Europa
BIBERACH - „Solidarität, Vielfalt, Gerechtigkeit“lautete das Motto, mit dem der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) am 1. Mai zum Maifest auf den Gigelberg eingeladen hatte. Hauptredner Thomas Rosenland von der IG Metall Baden-Württemberg bekannte sich als überzeugter Europäer.
Nach den Grußworten des DGBKreisvorsitzenden Herbert Kasperek brachten Oberbürgermeister (OB) Norbert Zeidler und Diakon Damian Woloszcyk von der Biberacher Gesamtkirchengemeinde ihre Gedanken zum 1. Mai ein. Freie Gewerkschaften in einer freien Gesellschaft seien ein wesentlicher Teil der Demokratie, sagte OB Zeidler und lobte den Tarifabschluss der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi. „Alle Revolutionen haben bisher bewiesen“, dass sich vieles ändern lasse, „nur nicht die Menschen“, zitierte Diakon Woloszcyk Karl Marx. Und: Recht habe er, die Menschen fielen immer wieder auf einfache Lösungen herein. „Von den Mächtigen und Reichen gibt keiner was ab, weder die Macht noch den Mammon.“
„Allen Lebenschancen ermöglichen“
Soziale Spaltung trotz Rekordbeschäftigung, technologischer Wandel, Digitalisierung, neue Märkte und Europa waren die Themen von Hauptredner Thomas Rosenland von der IG Metall Baden-Württemberg. „Diese Themenblöcke schreien nach Taten und unserem Einsatz“, so der Redner. „Die einen sammeln teure Uhren und die anderen Pfandflaschen“, verglich Rosenland die Vermögensverteilung im Land. Trotz Rekordbeschäftigung sei die Gesellschaft sozial gespalten. Technologischer Wandel, Digitalisierung und neue Märkte und Geschäftsmodelle führten zu Umbrüchen am Arbeitsmarkt. Und: „Die Europäische Union liegt auf der Intensivstation“, sagte Rosenland in seiner 35-minütigen Rede, bei der er immer wieder von den rund 250 Besuchern Beifall erntete. Gute Schulen, sozialer Wohnungsbau und eine erstklassige Verkehrsinfrastruktur seien keine Kür, sondern Pflicht. „Sie sind die Grundlage für wirtschaftliche Leistungsfähigkeit“und Kernelement einer gerechten Gesellschaft, die Lebenschancen nicht für einige wenige vererbt, sondern für alle ermöglicht. Die britische Zeitung „The Economist“lege jedes Jahr einen Demokratieindex vor, so der Redner. Bei diesem Index gehe es unter anderem um freie Wahlen, Bürgerrechte und Pressefreiheit. Weltweit könnten demnach 19 Länder als vollwertige Demokratien gelten „und dort leben gerade mal 4,5 Prozent der Weltbevölkerung. 15 dieser 19 Länder seien europäische Staaten „und davon sind zwölf Länder Mitglied der Europäischen Union“. Es könne sein, dass man an Europa zeitweise verzweifeln könne, „aber die Welt um uns herum ist kein Ponyhof“, resümierte Rosenland. Europa brauche wohlwollende Kritiker, „aber keine Nationalisten, die die Uhr zurückdrehen wollen“.
„Die größte Herausforderung für die Gewerkschaften ist die Digitalisierung und damit die Internationalisierung“, sagte der Bundestagsabgeordnete Josef Rief (CDU) im Gespräch. Es sei wichtig, einen festen Tag und einen festen Ort zu haben, „wo man zusammenkommt und die aktuelle Lage analysiert und die Ungerechtigkeiten zur Sprache bringt“, bekannte der Bundestagsabgeordnete Martin Gerster (SPD).
Eine Schulklasse der DollingerRealschule bewirtete die Gäste in der Stadtbierhalle. Mit keltischem FolkRock sorgte die Band Cúl na Mara für stimmungsvolle Unterhaltung. Der Afghane Hazrat Waziri bereitete an einem Stand vegetarische Speisen zu. Er komme aus der Landwirtschaft und lebe seit fünf Jahren in Biberach. Vormittags gehe er in die Schule „und am Nachmittag zum Arbeiten“, verriet der Flüchtling.