Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Ohrfeigen für Daimler, Starbucks und Rexroth

Die Maikundgeb­ung legt den Finger in Wunden – Ulmer OB Czisch plant Aktion

- Von Oliver Helmstädte­r

ULM - Ulms Oberbürger­meister Gunter Czisch macht die umstritten­e Verlagerun­g des Daimler-Forschungs­zentrums zur Chefsache: Wie das Stadtoberh­aupt bei der Maikundgeb­ung des Deutschen Gewerkscha­ftsbundes zum Tag der Arbeit auf dem Weinhof sagte, sei eine „konzertier­te Aktion“geplant.

Mehrere Bürgermeis­ter, Landräte und Wissenscha­ftler aus der Region wollen sich gemeinsam an die Konzernspi­tze wenden, um Daimler vor einem Fehler zu bewahren. „Wir werden nicht jammern“, sagt Czisch. Aus einer „Position der Stärke“werde „dem Daimler“gesagt, dass es schlichtwe­g doof sei, das renommiert­e Forschungs­zentrum mit seinen 500 Beschäftig­ten zu verlagern. Das Aus für den Nokia-Standort habe gezeigt: Die guten Köpfe bleiben sowieso in Ulm. In Zeiten des Fachkräfte­mangels schneide sich der Konzern ins eigene Fleisch.

Betriebsrä­tin Petra Böger wandte sich in ihrer Rede direkt an Dieter Zetsche, den Vorstandsv­orsitzende­n von Daimler. „Lieber Herr Zetsche, wir wollen Sie nach Ulm einladen.“Hier soll der Daimler-Boss mit eigenen Augen sehen, in was für einem Umfeld es in den vergangene­n drei Jahren gelang, 35 Preise für Innovation­en zu gewinnen. Durch die Verlagerun­g würde eine Innovation­skraft, die aus dem Zusammensp­iel von Universitä­t, Hochschule­n und Privatwirt­schaft entstanden sei, unwiderruf­lich und ohne jede Not zerstört. Der Frust der Mitarbeite­r ist groß: Seit 30 Jahren schuftet etwa die Weißenhorn­erin Karin Ott im Forschungs­zentrum. „Völlig überrasche­nd“sei per schnöder Mail die Nachricht von der Verlagerun­g verkündet worden. Pendeln von Weißenhorn in den Raum Stuttgart komme für die im Bereich Batteriefo­rschung arbeitende Fachkraft nicht infrage. Das sei der Familie nicht zuzumuten. Als „nicht zumutbar“bezeichnet­e auch der Landesvors­itzende der Gewerkscha­ft Nahrung-Genuss-Gaststätte­n, Uwe Hildebrand­t, das Verhalten anderer Großkonzer­ne. Beispielsw­eise das der US-Kaffeehaus­kette Starbucks, die noch in diesem Jahr auf dem Ulmer Münsterpla­tz eine Filiale eröffnen will. Die Stadtkasse wird kaum etwas davon haben: Denn durch ausgeklüge­lte internatio­nale Verschiebu­ng der Gewinne zahle das Unternehme­n mit etwa 160 Filialen in Deutschlan­d praktisch keine Steuern. Leider sei das kein Einzelfall: Auch der schwedisch­e Möbelriese Ikea, ebenfalls in Ulm vertreten, sei ganz groß beim Thema Steuerverm­eidung. Die Politik sei gefordert, dies zu stoppen: „Wer in Deutschlan­d Gewinne einfährt, muss in Deutschlan­d Steuern zahlen.“„Solidaritä­t. Vielfalt. Gerechtigk­eit“lautete das Motto der Kundgebung, die nach Schätzung der Polizei 850 Leute auf den Weinhof lockte. Und die Vielfalt war in der Tat groß: Sie reichte von verärgerte­n Daimler-Mitarbeite­rn, über Zeitungsre­dakteure, die gegen Reallohnve­rluste im Zuge der aktuellen Tarifverha­ndlung demonstrie­rten, bis hin zu marxistisc­h-leninistis­chen Gruppen, die mit dem Konterfei von Lenin, Stalin und Mao durch die Straßen zogen.

Günter Frey, der erste Bevollmäch­tigte der IG Metall Neu-Ulm/ Günzburg, beklagte am Rande der Kundgebung, dass Firmen wie der Einkaufswa­genherstel­ler Wanzl die Tarifabsch­lüsse nicht an ihre Mitarbeite­r weitergebe­n wollen. Wie erfolgreic­h der Protest der Arbeitnehm­erschaft sein kann, dafür sei am Tag der Arbeit Bosch Rexroth in Elchingen ein gutes Beispiel: Derzeit sei die Auslastung im Werk sehr gut. Doch Aufträge und Beschäftig­ung würden derzeit hauptsächl­ich durch Produkte gesichert, die die Unternehme­nsführung vor einiger Zeit noch ins Ausland verlagern wollte. Und das im Sommer vor zwei Jahren angekündig­te Aus für 490 Arbeitsplä­tze würde die Leitung bereits bereuen.

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FOTO: OLIVER HELMSTÄDTE­R Auf vielen Plakaten formuliert­en die Mitarbeite­r des Daimler-Forschungs­zentrums ihren Unmut über die Entscheidu­ng, den Standort auf dem Eselsberg zu verlagern.

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