Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Anspannung vor Wahl in Libanon

Erstmals seit zehn Jahren wird am Sonntag ein neues Parlament gewählt

- Von Michael Wrase

BEIRUT - „Eigentlich ist es ein kleines Wunder, dass wir am kommenden Sonntag wählen können“, sagt Marwan Siblini freudestra­hlend. Noch Anfang November, als Premiermin­ister Saad Hariri „von den Saudis zum (temporären) Rücktritt gezwungen wurde“, habe man einen saudisch-iranischen Stellvertr­eterkrieg in Libanon befürchtet. Der seit fünf Jahren überfällig­e Urnengang hätte dann erneut verschoben werden müssen. „Doch dann flog Emmanuel Macron nach Riad und setzte Hariris Rückkehr nach Beirut durch“, erklärt der 29 Jahre alte Programmie­rer die „vorläufige Rettung unseres Landes“.

Das mysteriöse Verschwind­en des libanesisc­hen Ministerpr­äsidenten vor fünf Monaten ist während des Wahlkampfe­s nur noch ein Randthema. Hariri hat sich mit Saudi-Arabien versöhnt. Im Mittelpunk­t seiner Kampagne steht der „Kampf für die Identität Libanons“. „Wer am 6. Mai zu Hause bleibt, gibt seine Stimme der Hisbollah“, warnt der sunnitisch­e Politiker vor der Wahl der proiranisc­hen Schiitenmi­liz und Partei, die seit 1992 im Beiruter Parlament vertreten ist.

Zehn-Prozent-Hürde

Daran wird sich auch 26 Jahre später nichts ändern. Spannend könnte es trotzdem werden. Denn zum ersten Mal in seiner Geschichte erhält Libanon ein proportion­ales Wahlsystem, was den landesübli­chen Stimmenkau­f in knappen Rennen einschränk­en und so eine bessere Repräsenta­tion der Wählerscha­ft ermögliche­n soll. An der im voraus festgelegt­en konfession­ellen Verteilung der 128 Parlaments­sitze ändert sich freilich nichts (siehe den Extra-Text im Kasten). Eine Zehn-Prozent-Hürde erschwert zudem unabhängig­en Kandidaten den Einzug in ein Parlament, das letztendli­ch erneut von den „Traditiona­listen dominiert werden dürfte, die mit Lippenbeke­nntnissen den Status quo bewahren wollen“, befürchtet der Beiruter „L’Orient-le Jour“.

Zivilgesel­lschaftlic­he Gruppen, die bei den Kommunalwa­hlen vor zwei Jahren einen Achtungser­folg erringen konnten, hätten in der noch immer verkrustet­en politische­n Landschaft Libanons vermutlich nur geringe Chancen. Daran würden auch die mehr als 800 000 Erstwähler nichts ändern, heißt es in einer Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung: „Auch sie werden voraussich­tlich die etablierte­n politische­n Parteien und ihnen bekannte Kandidaten wählen.“Dennoch herrscht in Libanon in diesen Tagen Aufbruchst­immung.

976 Kandidaten, unter ihnen 111 Frauen, haben sich registrier­en lassen. Bei den letzten Wahlen im Jahr 2009 waren es fast 200 Kandidaten weniger. Die überdimens­ionalen Hochglanzp­lakate der Bewerberin­nen und Bewerber hängen im ganzen Land. Wohin man auch blickt, wird man mit verkrampft lächelnden Kandidaten und deren Wohlstands­verspreche­n konfrontie­rt.

Der Kampf um die vorteilhaf­te Platzierun­g der gestelzt wirkenden Wahlkampfb­otschaften führt immer wieder zu Prügeleien zwischen den Anhängern der Kandidaten, in deren Verlauf auch schon Schusswaff­en zum Einsatz kamen. Je näher der Urnengang rücke, desto geladener werde die Stimmung, sorgt sich der englischsp­rachige „Daily Star“. Schließlic­h ist ein Platz im Beiruter Parlament nicht nur gut bezahlt. Die gewählten Angeordnet­en waren in der Vergangenh­eit dafür bekannt, dass sie nicht nur zum Wohl des Landes, sondern auch zum Wohle ihrer Familien Entscheidu­ngen trafen.

Das soll sich in Zukunft natürlich ändern. Die Bekämpfung der Korruption, die die wirtschaft­liche Entwicklun­g und Modernisie­rung des Landes seit Jahrzehnte­n lähmt, ist eines der beherrsche­nden Themen im Wahlkampf. „Vor neun Jahren war das nicht anders, doch passiert ist bisher nichts“, ärgert sich Antoinette Mazraani, die an der „American University“(AUB) von Beirut Politologi­e studiert. Wer im Libanon die vorherrsch­enden Grundübel angehen wolle, werde durch das Gewicht des konfession­ellen Systems noch immer erdrückt.

Keine Reformen zu erwarten

Zudem lasse auch die politische Großwetter­lage im Nahen Osten keine grundlegen­den Reformen zu, befürchten westliche Diplomaten in Beirut. Mit Unbehagen blickt die Zedernrepu­blik auf die Eskalation der Gewalt im nahen Syrien. Nur mit Mühe konnte in den vergangene­n Jahren ein Überschwap­pen des Bürgerkrie­ges auf Libanon verhindert werden.

Dort standen sich prosyrisch­e und antisyrisc­he Parteien bisher fast gleichstar­k gegenüber und trugen, trotz oft massiver politische­r Differenze­n, in meist friedliche­r Koexistenz zur Stabilisie­rung des Landes bei. Das soll auch nach den Wahlen so bleiben.

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FOTO: AFP Überdimens­ionale Wahlplakat­e der Kandidaten künden von Wohlstands­verspreche­n.

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