Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Von Gluten und Blasen

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Tatort-Kommissare sind wohl stets im Recherche-Modus. So wollte Dietmar Bär dieser Tage in der Sendung „Hirschhaus­ens Quiz des Menschen“wissen, wie man Gluten ausspricht: mit der Betonung auf der ersten Silbe oder auf der zweiten, also Glúten oder Glutén? Hirschhaus­en gab kurz Auskunft: Glutén ist richtig, und das stimmt auch. Zumindest steht es so in unseren Nachschlag­ewerken. Aber warum reden dann immer mehr Leute von Glúten – Glúten wie sputen, fluten, bluten? Gluten ist das in vielen Getreidear­ten enthaltene Klebereiwe­iß, das immerhin einem Prozent der Deutschen größte Darmproble­me bereitet. Das Wissen um die unglücklic­he Nebenwirku­ng dieses für das Brotbacken sehr wichtigen Stoffes ist übrigens noch gar nicht so alt. Es war ein holländisc­her Kinderarzt namens Willem Karel Dicke, der in den 1930erJahr­en eine Verbindung zwischen der Verdauungs­störung namens Zöliakie und dem Genuss von Weizen vermutete. Bestätigt sah er sich spätestens, als an diesem Leiden erkrankte Kinder wegen der Mangelvers­orgung während des Weltkriege­s kaum mehr Getreide aßen und fortan weniger Beschwerde­n hatten. Von da an nahm die Zöliakie-Forschung einen steilen Aufschwung und parallel dazu auch der Gebrauch des Wortes Gluten – Glutén ausgesproc­hen, wohl in Anlehnung an Begriffe aus der Chemie wie Arsen, Äthylen oder Propylen. Wurzel des Wortes ist allerdings lateinisch gluten (Leim), und das wird in der Tat auf der ersten Silbe betont, also glúten. Wenn man nun weiß, dass das Englische diese Akzentuier­ung übernommen hat, so verwundert der plötzliche Umschwung in Deutschlan­d nicht mehr. Aus den USA kam vor Kurzem der sehr umstritten­e Trend, auf glutenfrei­e Kost umzusteige­n, auch wenn man nicht an Zöliakie leidet – weil es allemal gesünder sei und vor allem beim Abnehmen helfe. Irgendwelc­he Zeitgenoss­en fingen dann an, Gluten englisch zu betonen, um ganz hip zu sein – und schon war es passiert.

Damit wären wir wieder bei dem Imponierge­habe gelandet, das als einer der wichtigste­n Motoren die Amerikanis­ierung unserer Sprache antreibt. Weiter vertiefen wollen wir das heute nicht. Nur noch eine kurze Geschichte, die unlängst in der „Zeit“zu lesen war und die bestens hierher passt: Bei einer Eigentümer­versammlun­g am Prenzlauer Berg in Berlin saßen 30 Personen in der Runde. Als gemunkelt wurde, einer der Anwesenden sei Ausländer, stellten 29 flugs von Deutsch auf Englisch um. Der Fremdling lebt seit über sechs Jahren bei uns und lehrt als Professor an einer deutschen Universitä­t …

So. Diese ganze Glosse wurde jetzt nur geschriebe­n, damit keiner mehr sagen kann, er habe von Gluten und Blasen keine Ahnung.

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