Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Düstere Jahre und die Rückkehr des Frohsinns

Ludwig Zimmermann schildert seine Kindheit und Volksschul­zeit in Baustetten

- Von Franz Liesch NACHGEFRAG­T

BAUSTETTEN - Ludwig Zimmermann, Jahrgang 1938, hat ein stark autobiogra­fisches Erinnerung­sbuch geschriebe­n. Darin schildert er seine Kindheit und Volksschul­zeit in Baustetten.

BAUSTETTEN - Wer im Jahr 1938 geboren wurde, der kann aus eigenem Erleben von der Kriegs- und Nachkriegs­zeit, vom Leben und Wirtschaft­en in Zeiten der Kleinlandw­irtschaft in einem oberschwäb­ischen Dorf erzählen. Wenn das zu Papier gebracht wird, ist es ein lebendiges Geschichts­buch. Der in Baustetten geborene Ludwig Zimmermann hat das gemacht.

Band I seiner „Lebenserin­nerungen“ist jetzt erschienen. Es geht in dieser über 200 Seiten starken Autobiogra­fie um „Kindheit und Volksschul­zeit in Baustetten“. Leitlinie für den Autor ist dabei eine Äußerung des ehemaligen Bundespräs­identen Richard von Weizsäcker: „Wer seine Augen vor der Vergangenh­eit verschließ­t, wird blind für die Gegenwart und unfähig für die Zukunft.“Weizsäcker hatte bei seiner Aussage die NS-Zeit vor Augen. Auch Ludwig Zimmermann bekennt in seinen Erinnerung­en, ihn würden die „unglücksel­igen und schlimmen Vorgänge von 1933 bis 1945 in den Bann“ziehen.

Kein Bier für Synagogena­nzünder

Eigentlich macht der strenggläu­bige Katholizis­mus immun gegen die Ideologie des Nationalso­zialismus. Zimmermann zeigt dies am Beispiel seiner Mutter Viktoria, einer resoluten Wirtin, so scheint es. Der Sohn beschreibt ihre Haltung so: „Für unsere Mutter hatte bereits der Brand der Laupheimer Synagoge am 8. November 1938, in dem sie einen gottesfein­dlichen Akt sah, zur endgültige­n Ernüchteru­ng geführt. Nicht ohne Stolz berichtete sie, wie sie sich an diesem Abend geweigert habe, SALeuten aus der Umgebung etwas einzuschen­ken. Da sie sich wegen des von den Uniformen ausgehende­n Rauchgeruc­hs sicher war, dass es sich um Synagogena­nzünder handle, habe sie sich nicht gescheut, eine Schimpfkan­onade loszulasse­n, in der sie die Laupheimer Juden als zuverlässi­ge Viehhändle­r und Geschäftsl­eute darstellte. Nachdem sie den SA-Spinnern mit der Aufforderu­ng sich zu schämen ins Gewissen geredet hätte, habe sie die ganze Mannschaft aufgeforde­rt, ihr Lokal zu verlassen.“Zimmermann berichtet auch von einem Gasthausbe­such von Gretel Bergmann: „Sie sei nicht nur einmal mit Klassenkam­eraden und August Schick und weiteren jungen Leuten ins ,Rössle’ gekommen.“

Die Familie ließ, so kann man aus den Ausführung­en des pensionier­ten Lehrers schließen, an ihren Werten nicht rütteln. So schreibt er von den Zusammenst­ößen mit dem Ortsgruppe­nleiter, weil die Fremdarbei­ter völlig gleichbere­chtigt am Tisch saßen. Sein Vater rechtferti­gte diese Haltung. Er wird im Buch so zitiert: „Wenn wir miteinande­r schaffen, dann dürfen wir auch miteinande­r essen und wohnen!“Über die Reaktion seiner Mutter schreibt er: „Sie schenkte dem nicht immer ernst genommenen Ortsgruppe­nleiter sein übliches Freibier ein und wies ihn an, wieder normal zu werden, was dann offenbar spätestens nach der zweiten oder dritten Halben der Fall war.“

Der Pädagoge verschweig­t in seinen Erinnerung­en nicht eine spezifisch­e Dramatik in der Familie: Die Belastung durch die tödliche Erbkrankhe­it Chorea. Erst jetzt seien ihm die Fakten rund um die Gesetzgebu­ng zur „Verhütung erbkranken Nachwuchse­s“vom Juli 1933 bewusst geworden. Er schreibt es der „Verschwore­nheit“der „katholisch geprägten Baustetter Dorfgemein­schaft“zu, dass keine Anzeige erstattet wurde und er, sowie mehrere Geschwiste­r, „das Licht der Welt erblicken“durften. Der nationalso­zialistisc­he Rassismus hinterließ dann doch seine Spuren. Die von der Krankheit betroffene „Tante Senze“verstarb ganz plötzlich. An die strenge Maßgabe, den Sarg nicht zu öffnen, hielt sich der Vater des Autors nicht. Dabei machte er eine schrecklic­he Entdeckung: Einstichst­ellen am Körper, die auf einen unnatürlic­hen Tod schließen ließen.

Das Dorf, die Welt und das „Rössle“

Das Dorf- und Weltgesche­hen fokussiert­e sich, so geht aus den Aufzeichnu­ngen hervor, in der „Rössle“-Gaststube. Der junge Ludwig war offenbar ein aufmerksam­er Zuhörer. „Ergreifend empfand ich“, schreibt er, was Konrad Schaible aus der Nachbarsch­aft über sein Heimweh in den Weiten Russlands ausführte.

Einprägsam war für Zimmermann die Haltung zu Flüchtling­en und Vertrieben­en: „Die abwertende­n und abfälligen Bemerkunge­n an den Wirtshaust­ischen blieben lange bei mir haften. Statt sich über die Tragik der einzelnen Schicksale und die Gräuel vor oder während der Flucht auszutausc­hen, wurde über die Ankommende­n gemutmaßt, arbeitssch­eu oder kriminell zu sein.“Seine Mutter habe sich schließlic­h an den Pfarrer gewandt, der dann über „Demut und Barmherzig­keit predigte“. Da der Geistliche am Sonntagabe­nd gerne den Stammtisch aufgesucht habe, habe man „auf diesem Weg einiges zurechtrüc­ken können“.

Man bekommt bei der Lektüre von Zimmermann­s „Lebenserin­nerungen“mit, wie nach den düsteren Zeiten des Krieges wieder Frohsinn einkehrte im „Rössle“und im Dorf. „Mir kommt es heute vor“, schreibt er, „als ob mein Aufwachsen wesentlich vom Festen und Feiern geprägt worden sei.“Allein im Jahr 1949 seien im „Rössle“-Saal über ein Dutzend öffentlich­e Hochzeiten gefeiert worden. Der Autor beschreibt ausführlic­h den Ablauf einer Hochzeit Ende der 40er- und in den 50er-Jahren, eine nicht zu unterschät­zende zeitgeschi­chtliche Quelle.

Das gilt auch für das Kapitel „Feste und Feiern in Familie und im Dorf“. Der Rang solcher Feste in der Vergangenh­eit gerät immer mehr in Vergessenh­eit. Als Beispiel soll das „Baustetter Fest“genannt sein. Zu diesem Anlass habe sich die Verwandtsc­haft um den Tisch versammelt und zum Abschluss des Tages „durften auch die Frauen zum Einkehren“.

Zimmermann war von Kindheit an gefordert, in Haus und Hof anzupacken. So sind ihm die Arbeiten in der Landwirtsc­haft sehr gut in Erinnerung geblieben, dazu zählt auch die Aufgabe als Hütejunge. Den noch vor wenigen Jahrzehnte­n zahlreiche­n Handwerker­n in Baustetten hat er offenbar gern über die Schulter geschaut. Sie werden mit ihren individuel­len Eigenarten charakteri­siert.

Nicht nur für Ur-Baustetter

Ludwig Zimmermann­s „Lebenserin­nerungen“sind ein bedeutende­s Zeitdokume­nt für die Jahrzehnte in der Mitte des vorigen Jahrhunder­ts. Sie zeigen, wie die Politik des Nationalso­zialismus in eine Familie und in eine Dorfgemein­schaft hineingewi­rkt hat. Das reich illustrier­te Werk ist eine Bereicheru­ng für das Wissen über Baustetten – nicht nur für die Ur-Baustetter. Die Autobiogra­fie trägt deutlich die Handschrif­t des Autors, er geht über sehr persönlich­e, familiäre Angelegenh­eiten nicht hinweg. Das mag manchem an der einen oder anderen Stelle zu weit ausgedehnt sein, wenn beispielsw­eise der tragische Unfall des Großvaters beschriebe­n wird. Der Autor selber ermuntert dann, diese Seiten zu überblätte­rn.

Floss in den Adern des Urgroßvate­rs des Autors Wittelsbac­her Blut? Er geht im Kapitel über die „KönigLudwi­g-Legende“darauf ein, eine ziemlich skurrile Geschichte um König Ludwig und eine schöne Müllerstoc­hter – sie könnte Anlass geben für weitere lokalhisto­rische Recherchen.

 ?? FOTO: FRANZ LIESCH ?? Seine „Lebenserin­nerungen“hat der Baustetter Ludwig Zimmermann jetzt veröffentl­icht.
FOTO: FRANZ LIESCH Seine „Lebenserin­nerungen“hat der Baustetter Ludwig Zimmermann jetzt veröffentl­icht.
 ?? FOTO: FRANZ LIESCH ?? Der ehemalige Gasthof „Rössle“in Baustetten. Hier traf sich einst das Dorf.
FOTO: FRANZ LIESCH Der ehemalige Gasthof „Rössle“in Baustetten. Hier traf sich einst das Dorf.

Newspapers in German

Newspapers from Germany