Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Düstere Jahre und die Rückkehr des Frohsinns
Ludwig Zimmermann schildert seine Kindheit und Volksschulzeit in Baustetten
BAUSTETTEN - Ludwig Zimmermann, Jahrgang 1938, hat ein stark autobiografisches Erinnerungsbuch geschrieben. Darin schildert er seine Kindheit und Volksschulzeit in Baustetten.
BAUSTETTEN - Wer im Jahr 1938 geboren wurde, der kann aus eigenem Erleben von der Kriegs- und Nachkriegszeit, vom Leben und Wirtschaften in Zeiten der Kleinlandwirtschaft in einem oberschwäbischen Dorf erzählen. Wenn das zu Papier gebracht wird, ist es ein lebendiges Geschichtsbuch. Der in Baustetten geborene Ludwig Zimmermann hat das gemacht.
Band I seiner „Lebenserinnerungen“ist jetzt erschienen. Es geht in dieser über 200 Seiten starken Autobiografie um „Kindheit und Volksschulzeit in Baustetten“. Leitlinie für den Autor ist dabei eine Äußerung des ehemaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker: „Wer seine Augen vor der Vergangenheit verschließt, wird blind für die Gegenwart und unfähig für die Zukunft.“Weizsäcker hatte bei seiner Aussage die NS-Zeit vor Augen. Auch Ludwig Zimmermann bekennt in seinen Erinnerungen, ihn würden die „unglückseligen und schlimmen Vorgänge von 1933 bis 1945 in den Bann“ziehen.
Kein Bier für Synagogenanzünder
Eigentlich macht der strenggläubige Katholizismus immun gegen die Ideologie des Nationalsozialismus. Zimmermann zeigt dies am Beispiel seiner Mutter Viktoria, einer resoluten Wirtin, so scheint es. Der Sohn beschreibt ihre Haltung so: „Für unsere Mutter hatte bereits der Brand der Laupheimer Synagoge am 8. November 1938, in dem sie einen gottesfeindlichen Akt sah, zur endgültigen Ernüchterung geführt. Nicht ohne Stolz berichtete sie, wie sie sich an diesem Abend geweigert habe, SALeuten aus der Umgebung etwas einzuschenken. Da sie sich wegen des von den Uniformen ausgehenden Rauchgeruchs sicher war, dass es sich um Synagogenanzünder handle, habe sie sich nicht gescheut, eine Schimpfkanonade loszulassen, in der sie die Laupheimer Juden als zuverlässige Viehhändler und Geschäftsleute darstellte. Nachdem sie den SA-Spinnern mit der Aufforderung sich zu schämen ins Gewissen geredet hätte, habe sie die ganze Mannschaft aufgefordert, ihr Lokal zu verlassen.“Zimmermann berichtet auch von einem Gasthausbesuch von Gretel Bergmann: „Sie sei nicht nur einmal mit Klassenkameraden und August Schick und weiteren jungen Leuten ins ,Rössle’ gekommen.“
Die Familie ließ, so kann man aus den Ausführungen des pensionierten Lehrers schließen, an ihren Werten nicht rütteln. So schreibt er von den Zusammenstößen mit dem Ortsgruppenleiter, weil die Fremdarbeiter völlig gleichberechtigt am Tisch saßen. Sein Vater rechtfertigte diese Haltung. Er wird im Buch so zitiert: „Wenn wir miteinander schaffen, dann dürfen wir auch miteinander essen und wohnen!“Über die Reaktion seiner Mutter schreibt er: „Sie schenkte dem nicht immer ernst genommenen Ortsgruppenleiter sein übliches Freibier ein und wies ihn an, wieder normal zu werden, was dann offenbar spätestens nach der zweiten oder dritten Halben der Fall war.“
Der Pädagoge verschweigt in seinen Erinnerungen nicht eine spezifische Dramatik in der Familie: Die Belastung durch die tödliche Erbkrankheit Chorea. Erst jetzt seien ihm die Fakten rund um die Gesetzgebung zur „Verhütung erbkranken Nachwuchses“vom Juli 1933 bewusst geworden. Er schreibt es der „Verschworenheit“der „katholisch geprägten Baustetter Dorfgemeinschaft“zu, dass keine Anzeige erstattet wurde und er, sowie mehrere Geschwister, „das Licht der Welt erblicken“durften. Der nationalsozialistische Rassismus hinterließ dann doch seine Spuren. Die von der Krankheit betroffene „Tante Senze“verstarb ganz plötzlich. An die strenge Maßgabe, den Sarg nicht zu öffnen, hielt sich der Vater des Autors nicht. Dabei machte er eine schreckliche Entdeckung: Einstichstellen am Körper, die auf einen unnatürlichen Tod schließen ließen.
Das Dorf, die Welt und das „Rössle“
Das Dorf- und Weltgeschehen fokussierte sich, so geht aus den Aufzeichnungen hervor, in der „Rössle“-Gaststube. Der junge Ludwig war offenbar ein aufmerksamer Zuhörer. „Ergreifend empfand ich“, schreibt er, was Konrad Schaible aus der Nachbarschaft über sein Heimweh in den Weiten Russlands ausführte.
Einprägsam war für Zimmermann die Haltung zu Flüchtlingen und Vertriebenen: „Die abwertenden und abfälligen Bemerkungen an den Wirtshaustischen blieben lange bei mir haften. Statt sich über die Tragik der einzelnen Schicksale und die Gräuel vor oder während der Flucht auszutauschen, wurde über die Ankommenden gemutmaßt, arbeitsscheu oder kriminell zu sein.“Seine Mutter habe sich schließlich an den Pfarrer gewandt, der dann über „Demut und Barmherzigkeit predigte“. Da der Geistliche am Sonntagabend gerne den Stammtisch aufgesucht habe, habe man „auf diesem Weg einiges zurechtrücken können“.
Man bekommt bei der Lektüre von Zimmermanns „Lebenserinnerungen“mit, wie nach den düsteren Zeiten des Krieges wieder Frohsinn einkehrte im „Rössle“und im Dorf. „Mir kommt es heute vor“, schreibt er, „als ob mein Aufwachsen wesentlich vom Festen und Feiern geprägt worden sei.“Allein im Jahr 1949 seien im „Rössle“-Saal über ein Dutzend öffentliche Hochzeiten gefeiert worden. Der Autor beschreibt ausführlich den Ablauf einer Hochzeit Ende der 40er- und in den 50er-Jahren, eine nicht zu unterschätzende zeitgeschichtliche Quelle.
Das gilt auch für das Kapitel „Feste und Feiern in Familie und im Dorf“. Der Rang solcher Feste in der Vergangenheit gerät immer mehr in Vergessenheit. Als Beispiel soll das „Baustetter Fest“genannt sein. Zu diesem Anlass habe sich die Verwandtschaft um den Tisch versammelt und zum Abschluss des Tages „durften auch die Frauen zum Einkehren“.
Zimmermann war von Kindheit an gefordert, in Haus und Hof anzupacken. So sind ihm die Arbeiten in der Landwirtschaft sehr gut in Erinnerung geblieben, dazu zählt auch die Aufgabe als Hütejunge. Den noch vor wenigen Jahrzehnten zahlreichen Handwerkern in Baustetten hat er offenbar gern über die Schulter geschaut. Sie werden mit ihren individuellen Eigenarten charakterisiert.
Nicht nur für Ur-Baustetter
Ludwig Zimmermanns „Lebenserinnerungen“sind ein bedeutendes Zeitdokument für die Jahrzehnte in der Mitte des vorigen Jahrhunderts. Sie zeigen, wie die Politik des Nationalsozialismus in eine Familie und in eine Dorfgemeinschaft hineingewirkt hat. Das reich illustrierte Werk ist eine Bereicherung für das Wissen über Baustetten – nicht nur für die Ur-Baustetter. Die Autobiografie trägt deutlich die Handschrift des Autors, er geht über sehr persönliche, familiäre Angelegenheiten nicht hinweg. Das mag manchem an der einen oder anderen Stelle zu weit ausgedehnt sein, wenn beispielsweise der tragische Unfall des Großvaters beschrieben wird. Der Autor selber ermuntert dann, diese Seiten zu überblättern.
Floss in den Adern des Urgroßvaters des Autors Wittelsbacher Blut? Er geht im Kapitel über die „KönigLudwig-Legende“darauf ein, eine ziemlich skurrile Geschichte um König Ludwig und eine schöne Müllerstochter – sie könnte Anlass geben für weitere lokalhistorische Recherchen.