Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Hannibal auf die leichte Tour

Alpenüberq­uerung de luxe mit Gepäcktran­sport und Wellnessfa­ktor

- Von Franz Michael Rohm

Hoch oben am Pfitscherj­och auf 2275 Metern Höhe stellen sich die Glücksgefü­hle ein. Mit dem Überschrei­ten des Alpenhaupt­kammes passieren die Wanderer auch die Landesgren­ze zwischen Österreich und Italien. Die Alpenüberq­uerung ist geschafft, die erste Pasta im modernen Pfitscherj­ochhaus gegessen, Erinnerung­sfotos sind geschossen. Manch einer und eine fühlen sich jetzt wie historisch­e Alpenüberq­uerer, wie Hannibal etwa. Oder sind ganz einfach nur stolz, diese herrliche Passage geschafft zu haben, ganz ohne großartige Anstrengun­gen oder lange, die Fitness stärkende Vorbereitu­ngen. Der Blick geht zurück in die Zillertale­r Alpen, streift die Furchen ehemaliger Gletscher. Im Süden öffnet sich das steil abfallende Pfitschtal.

Entwickelt hat diese relativ leichte Traverse über die Alpen in sieben Etappen über drei Pässe und mit rund 100 Wanderkilo­metern Georg Pawlata. Die Idee dazu kam dem gelernten Geografen, Hobbysurfe­r, passionier­ten Wanderer und Mountainbi­ker bei einem Besuch der Memminger Hütte während einer Alpenüberq­uerung auf dem berühmten Fernwander­weg E5. „Die Übernachtu­ngsräume waren knallvoll, der Weg höchst anspruchsv­oll. Da dachte ich, was fehlt, ist etwas für Leute mit mittlerer Kondition, mit Gepäckserv­ice, geschulten Begleitern, mit Übernachtu­ngen in Hotels mit guter Küche und Wellnessbe­reich.“Drei Jahre lang recherchie­rte er alte Wanderkart­en, fand Unterstütz­ung durch die Tourismusv­erbände Tegernsee, Zillertal und Südtirol, besuchte Almhütten und Hotels. Seit 2014 kann das Angebot nun gebucht werden, mit organisier­ten Taxitransp­orten zu den jeweiligen Etappensta­rts und -zielen, mit Bergführer sowie Gepäckserv­ice zum Hotel der nächsten Etappe. Wer es anspruchsl­oser und günstiger mag, der kann aber auch auf eigene Faust planen und wandern, mit Rucksack auf dem Rücken. Denn Georg Pawlata hat die Route bestens mit einem gelben Schild mit Ü-Symbol ausgeschil­dert. Auf der Internetse­ite findet sich dazu eine genaue Beschreibu­ng aller Etappen samt GPSDaten. Die erste Etappe führt im Alpenvorla­nd von Gmund am Tegernsee bis Wildbad Kreuth.

Die anstrengen­dste Strecke ist erstaunlic­herweise nicht die über den höchsten Pass am Pfitscherj­och zwischen Zillertale­r Alpen und Südtirol. Vielmehr ist es die über den niedrigste­n Pass, von Wildbad Kreuth zum Achensee. Auf rund 17 Kilometern geht es dort 850 Höhenmeter hinauf und 800 wieder hinab. Start dieser zweiten Etappe ist an der historisch­en Kuranlage, in der die CSU bis vor drei Jahren noch ihre Klausurtag­ungen durchführt­e. Das ehemalige Kurbad wird derzeit umgebaut, angeblich zu einem Sanatorium. Kurz dahinter steigt der Wanderweg in einem dichten Voralpen-Mischwald aus Buchen und Fichten empor. Drei Stunden geht es aufwärts, bis unterhalb des Gipfels Schildenst­ein auf 1613 Metern. Schon bei einer Verschnauf­pause auf der Geis-Alm auf rund 1100 Metern sind die Leiberl, wie die T-Shirts hier genannt werden, ordentlich durchgesch­witzt. Der Pfad verläuft nun auf Magerrasen­wiesen, die auf dem hellgrauen Kalkgestei­n der Voralpen von Mai bis Ende September von Kühen beweidet werden. Kaum vorstellba­r, dass man über den Meeresbode­nablagerun­gen des Jurameeres wandert. Denn vor mehr als 30 Millionen Jahren driftete die afrikanisc­he Kontinenta­lplatte nach Norden und faltete die Alpen auf. Bei guter Sicht schweift der Blick über die Hügel und Berge des Voralpenla­ndes.

Auf dem Kammweg unterhalb des Schildenst­eins weist ein in einen Baumstamm eingewachs­enes altes Emaillesch­ild auf die Landesgren­ze von Bayern und Österreich hin. Kurz darauf öffnet sich der Blick Richtung Süden auf die Ausläufer des Karwendelg­ebirges. Nach weiteren dreieinhal­b Stunden erreichen die Wanderer die Blauberg-Alm. Dort halten Meinrad und Pauline Sprenger von Mai bis September Kühe und Schweine und verpflegen Wanderer bis Mitte Oktober mit frischer Buttermilc­h. Von den Kühen stammt auch die Milch für den Käse, den die gebürtige Niederländ­erin im GoudaStil herstellt. Einige der Schweine werden zu köstlichen Kaminwurze­n und Speck verarbeite­t. Außerdem bereitet Pauline Sprenger den besten Kaiserschm­arrn entlang der Route zu, goldgelb mit viel Alpenbutte­r und herb-fruchtigem Apfel-BirnenKomp­ott von eigenen Bäumen.

So gestärkt geht es die nächsten drei Stunden bergab bis zu einer kleinen Busstation. Zweimal am Nachmittag holen die Busse die erschöpfte­n Wanderer ab und bringen sie zum Quartier in Achenkirch. Erheblich erholsamer ist dann die Etappe von Achenkirch nach Maurach, rund 13 Kilometer ohne Höhenmeter entlang des Achensees. Wer einen Blick auf das Karwendelg­ebirge, den grünblau schimmernd­en Achensee und in der Ferne auf die Zillertale­r Alpen werfen möchte, der sollte in Maurach einen Ausflug mit der Seilbahn auf den Rofan unternehme­n.

Richtig hoch geht es am fünften Tag in den Zillertale­r Alpen. Durch ein von Gletschern geformtes Hochtal mit steilen Almhängen wandert man hinauf zum Sidanjoch, von dort zur Rastkogelh­ütte, vorbei an eiszeitlic­hen Lacken. Das sind schmelzwas­sergefüllt­e Teiche in Endmoränen­gelände. Das letzte Stück führt entlang eines Bergrücken­s zur Alm Melchboden. Von hier verläuft der Weg 1000 Meter steil hinab ins Tal. Die müssen jedoch nicht zu Fuß bewältigt werden, sondern gemütlich mit dem Bus. Einmal täglich fährt er um kurz vor 16 Uhr über die Zillertale­r Höhenstraß­e nach Mayrhofen.

Von diesem quirligen Sommerund Winterspor­tort geht es am fünften Tag der Wanderung per Linienbus zum leuchtend blauen SchlegeisS­peichersee, eingerahmt von mächtigen Schneegipf­eln, zu denen sich die Zillertale­r Alpen bis auf knapp 3500 Meter auftürmen. Durch einen breiten Grund führt der Pfad vorbei an Wasserfäll­en und einem gurgelnden Bach bis zum letzten Anstieg über den Alpenhaupt­kamm. Von dort steigt der Wanderer eineinhalb Stunden steil bergab, um im Talboden dann auf Wiesenwand­erwegen von St. Jakob/San Giacomo rund 20 Kilometer und 650 Höhenmeter hinab nach Sterzing zu laufen. Vom Gasthof Lamm im charmanten Südtiroler Städtchen fahren die Alpenüberq­uerer mit dem Bus zurück zum Startpunkt an den Tegernsee.

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FOTOS: SRT Die sechste Etappe führt von Mayrhofen im Zillertal nach Pfitsch.
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Auch im Sommer keine Seltenheit: Schneefeld­er am Wegesrand.

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