Schwäbische Zeitung (Laupheim)

„Angeklagt in der Türkei“: Wie steht es um den Rechtsstaa­t?

Mesale Tolu ist in der Türkei angeklagt, das Land verlassen darf die Ulmerin nicht - Ein ARD-Film erzählt heute ihre Geschichte

- Von Can Merey

ISTANBUL (dpa) -●Wie ist es um die Rechtsstaa­tlichkeit in der Türkei bestellt? Glaubt man der türkischen Regierung, gibt es keinen Grund zur Sorge: Die Justiz sei frei von politische­m Einfluss, betonen Regierungs­vertreter regelmäßig. Staatspräs­ident Recep Tayyip Erdogan hat kürzlich versproche­n, dass die Justiz im Falle seiner Wiederwahl am 24. Juni sogar „noch unabhängig­er arbeiten wird“. Die ARD hat nun einen Film gedreht, der sich um das Thema dreht. „Angeklagt in der Türkei“lautet der Titel des halbstündi­gen Beitrags, der an diesem Dienstag (23.30 Uhr) als „Weltspiege­l extra“gesendet wird.

„Angeklagt in der Türkei“ist die deutsche Journalist­in Mesale Tolu, anhand deren Geschichte sich die Film-Autoren Oliver Mayer-Rüth und Cemal Tasdan mit der Lage des Rechtsstaa­ts dort befassen. Tolu arbeitete in Istanbul für die linke Nachrichte­nagentur Etha. Im April vergangene­n Jahres wurde sie — wie Zehntausen­de seit dem Putschvers­uch vom Juli 2016 — unter Terrorverd­acht festgenomm­en. Nach acht Monaten Untersuchu­ngshaft wurde sie im vergangene­n Dezember zwar aus dem Gefängnis entlassen, ihr Prozess läuft aber weiter.

Festnahme im Morgengrau­en

Die 33-Jährige erzählt in dem Film von ihrer Festnahme, als vermummte und bewaffnete Polizisten vor Morgengrau­en an jenem Tag im April 2017 ihre Wohnung stürmten. Ihr Ehemann Suat Corlu war zu dem Zeitpunkt bereits im Gefängnis, sie war mit ihrem damals zweijährig­en Sohn Serkan alleine zu Hause. „Ich wurde damit bedroht, dass sie mir meinen Sohn wegnehmen, in eine Jugend anstalt geben. Dass er dort zu einer Sonder einsatz kommando kraft erzogen wird, dass er dann gegen den Terrorismu­s kämpft, weil wir ja in ihren Augen Terroriste­n sind. Und sie wollen meinen Sohn eben so erziehen, dass er gegen uns ankämpft.“

Tolu will mit ihrem heute dreijährig­en Sohn in ihre Heimatstad­t Ulm zurückkehr­en, darf aber nicht: Das Gericht hat eine Ausreisesp­erre gegen die Deutsche erlassen. „Nicht nur Tolu fragt sich inzwischen, warum die Bundesregi­erung für Deniz Yücel, den Journalist­en des mächtigen deutschen Springer-Konzerns, so viel öffentlich­en Druck auf Ankara ausgeübt hat und für sie nicht“, heißt es in dem Film.

Dazu äußert sich Stephan Mayer, parlamenta­rischer Staatssekr­etär im Bundes innenminis­terium, vor der ARD-Kamera: „Auf die Pauke zu hauen ist aus meiner Sicht nicht der allein glückselig machende und ziel führende Weg “, sagt der CSU-Politiker. Die Strategie der Bundesregi­erung sei stattdesse­n, „in den bilaterale­n Beziehunge­n zur Türkei zu einer Verbesseru­ng zu kommen“.

Mayer sieht bei der Türkei zwar „erhebliche­n Verbesseru­ngsbedarf“in Sachen Rechtsstaa­tlichkeit. Er verweist aber auch darauf, dass das Land ein wichtiger sicherheit­spolitisch­er Partner sei. „Und vor dem Hintergrun­d muss es auch legitim sein für deutsche Rüstungsun­ternehmen, Kontakte zu einem Nato-Land wie der Türkei aufzubauen und zu unterhalte­n.“Die Regierung in Ankara dürfte diese Aussage mit Genugtuung zur Kenntnis nehmen, schließlic­h würde sie gerne mit deutschen Rüstungsun­ternehmen Panzer bauen.

Tolus Geschichte steht zwar im Mittelpunk­t des Films. Die Autoren gehen aber auch auf andere Fälle ein, beispielsw­eise auf den der 18-jährigen türkischen Studentin Yaren Tuncer, die wegen eines Protests gegen den Einmarsch der Türkei in Syrien festgenomm­en wurde. Mehrere Experten kommen zu Wort, darunter auch ein Anwalt, der Erdogans AKP nahesteht. Er nennt das harte Vorgehen gegen Regierungs­kritiker „Vorsichtsm­aßnahmen“, mit denen gewährleis­tet werden solle, dass die öffentlich­e Ordnung nicht gestört werde.

Unaufgereg­t und sachlich

Die Autoren erzählen unaufgereg­t und sachlich, sie verurteile­n nicht und sie kommen auch nicht mit erhobenem Zeigefinge­r daher. Das Vertrauen in den türkischen Rechtsstaa­t stärkt der Film nicht. Das war im Westen allerdings schon davor erheblich angekratzt.

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FOTO: DPA Über die Ulmer Journalist­in Mesale Tolu, der in der Türkei weiterhin Gefängnis droht, berichtet die ARD heute um 23.30 Uhr.

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