Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Winnetou: wie gehabt und ganz neu
Regisseur Michael Müller erzählt, wie er sich seinen Winnetou vorstellt: als Friedensbotschafter, der von Rache getrieben wird
Festspiel-Regisseur Michael Müller über die neue Aufführung.
BURGRIEDEN - Gestern noch der „Clown“im Theaterteam, heute sein Regisseur: Michael Müller hat bei Burgriedens Festspielen wahrlich Karriere gemacht. Im Gespräch mit SZ-Redakteur Axel Pries erzählt der 33-Jährige seine Philosophie.
SZ: Was reizt den Regisseur, ein Textbuch für Winnetou zu schreiben?
Müller: Es reizt die Idee, das, was man aus Filmen und Büchern kennt, auf die Bühne zu bringen, das Wildwest-Spektakel auf einer großen Freilichtbühne mit vielen Darstellern und Statisten, Tieren und Pyrotechnik zu inszenieren.
Sie haben Karl May vor langer Zeit schon gelesen. Setzt der Regisseur Müller um, was der Junge Michael bei Karl Mays Geschichten im Kopf gehabt hat?
In vielen Bereichen ja, und es ist vor allem auch das, was der Junge Michael in den Filmen gesehen hat. Natürlich bringe ich auch etwas Eigenes mit ein.
Ist es eigentlich besonders schwierig, Winnetou zu inszenieren? Ich stelle mir vor, dass diese Rolle und das ganze Umfeld Winnetous seit den Filmen so fest in den Köpfen verwurzelt sind, dass man mit jeder Abwandlung oder Abänderung nur schlechter werden kann.
Ich glaube, dass man auf der einen Seite zeigen muss, was das Publikum in der Tat von einem Winnetou erwartet. Aber es bietet auch die Möglichkeit, die Geschichte modern und frisch zu halten und sie mit einer eigenen Handschrift auch einem jungen Publikum nahe zu bringen. Wir haben ja ein großes Publikum von ganz unterschiedlichem Alter hier. Es ist die Mischung: zu zeigen, was die Leute erwarten, und sie zu überraschen. Winnetou darf für mich nicht nur auf dem Pferd sitzen und Weisheiten von sich geben. Winnetou ist ein Mensch, und uns interessieren Menschen, die Charakter zeigen, auch Brüche, Konflikte, vielleicht sogar Abgründe. Jeder Mensch hat Dinge erlebt, auch Winnetou, etwa den Familienmord, der geschehen ist. Winnetou wird ja durchaus auch von Rache getrieben, wenn er den Mörder Santer jagt. Das ist ja auch ein Konflikt, wenn jemand auf Rache sinnt, der immer von Frieden spricht. Das interessiert mich an Winnetou. Letztlich wird er natürlich immer zusammen mit Old Shatterhand für den Frieden und Gerechtigkeit kämpfen.
Sind in Ihrer Inszenierung auch alle Elemente drin, die Winnetou bis heute zu einer Ikone gemacht haben? Von der Winnetou-Musik bis zur Begrüßung: „Mein Bruder!“
Ja! Also, es gibt die Blutsbrüder, es wird die Winnetou-Melodie geben, es wird die Wildwest-Romantik geben, die wir aus den Filmen kennen. Und das gepaart mit viel Action, mit Feuer, mit Kämpfen, mit Pferden, mit Schüssen.
Was für einen eigenen Winnetou hat der moderne Regisseur denn dabei umgesetzt?
Ich frage mich: Was ist das für ein Mensch? Das ist der Reibepunkt, den ich bei Winnetou finde. Er ist ein Mensch, der von Rache getrieben wird durch den Schmerz, den ihm der Familienmord einbrachte. Aber grundsätzlich steht er nur für den Frieden ein. Das Spannungsfeld ist die Sache, die mich interessiert, die mich an Winnetou reizt. Dazu der Blutsbruder, der aus einer völlig anderen Richtung kommt: Auch da kann es Reibung geben. Da kommen der Christ und der Indianer zusammen. Es ist ein Stück Völkerverständigung zwischen diesen beiden Personen. Davon leben die Figuren, das ist interessant zu schreiben.
Kann man heute noch etwas von Winnetou lernen? Von dem Mann, den wir alle kennen und schätzen und belächeln und dennoch nicht anders haben wollen, als er 1969 in den Kinos war?
Ich glaube: sehr viel! Die Werte, die Winnetou in den Romanen und in den Filmen vertritt – auch mit seinem Blutsbruder –, das sind Werte, die ganz, ganz wichtig sind. Der Konflikt zwischen Völkern, zwischen Rassen: Das sind brandaktuelle Themen. Wenn in dem Stück deutsche Einwanderer in einem fremden Land leben und zwischen die Fronten geraten… Sehr viel heutiger können wir ja gar nicht werden.