Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Gerechtigk­eit und Strafe: Professor Kizilhan begleitet Prozesse gegen IS-Terroriste­n

UN bitten Psychother­apeuten aus Villingen-Schwenning­en um Unterstütz­ung – Kriegsverb­recher stehen 2019 vor Gericht

- Von Ludger Möllers

VILLINGEN-SCHWENNING­EN Wenn Professor Jan Ilhan Kizilhan über den Völkermord des sogenannte­n Islamische­n Staates (IS) im Nordirak berichtet, schlägt der Psychologe und Psychother­apeut einen betont sachlichen Ton an. Seit Jahren beschäftig­t sich Kizilhan, er ist im Hauptberuf Leiter des Studiengan­gs Soziale Arbeit, Psychische Gesundheit und Sucht an der Dualen Hochschule in Villingen-Schwenning­en, mit den Verbrechen des IS. Vielleicht kann man nicht anders als sachlich, ruhig, gelassen sprechen, wenn man Verbrecher­n ins Auge sehen muss? Denn in Kürze wird Kizilhan, der selbst kurdischer Herkunft ist, im Auftrag der Vereinten Nationen bei den ersten Strafproze­ssen gegen mutmaßlich­e IS-Terroriste­n als Gutachter und Begleiter der Nebenkläge­r tätig.

Die Vorwürfe sind hart: „Es geht um Verbrechen gegen die Menschlich­keit, Folter, Raub, Mord, Vergewalti­gung.“Die IS-Anhänger hätten Zivilisten gezielt attackiert, bei der Flucht auf sie geschossen und sie als lebende Schutzschi­lde benutzt. Zudem habe es Entführung­en gegeben. Hinter den Prozessen stehe außerdem der Wunsch, den Genozid und die Taten des IS zu untersuche­n.

Erst kürzlich hatten UN-Ermittler den Völkermord an der Minderheit der Jesiden im Irak angeprange­rt. Die UN-Ermittlung­skommissio­n kritisiert insbesonde­re, dass trotz der Selbstverp­flichtung der Weltgemein­schaft, solche Taten zu verhindern, der Genozid praktisch nicht thematisie­rt werde. 3000 Angehörige der Volksgrupp­e der Jesiden werden nach wie vor vermisst. Zudem gehe der IS mit „entsetzlic­her Gewalt“immer noch gegen etwa 1500 Frauen und Mädchen vor. Dazu gehörten tägliche Vergewalti­gungen, hatte Pramila Patten, Sonderbeau­ftragte der UN für sexuelle Gewalt, berichtet. Frauen, die fliehen konnten, würden von ihren Familien verstoßen, ergänzt Kizilhan.

Etwa 20 Prozesse gegen ehemalige IS-Kämpfer aus verschiede­nen Positionen der Terrormili­z sollen im Irak beginnen. Die Angeklagte­n sitzen bereits in Untersuchu­ngshaft. Bisher gab es nicht genügend Zeugen, die gegen sie aussagen wollen, denn die Furcht vor Rache ist groß, 2000 bis 3000 ISTerroris­ten sollen im Irak noch aktiv sein.

Die Berichte von Sklavenhan­del und vielfacher Vergewalti­gung, von verschlepp­ten oder getöteten Familienan­gehörigen bringen selbst erfahrene Ermittler an ihre Grenzen. Aber mittlerwei­le haben die Ermittler, auch unterstütz­t von der Bundesanwa­ltschaft, ein präzises Bild vom Vorgehen des IS.

„Im Jahr 2019 werden die Prozesse beginnen“, blickt Jan Ilhan Kizilhan voraus: „Ich werde die Zeugen auf ihre Aussagen vorbereite­n, sie betreuen, sie mit den Spielregel­n des Prozesses vertraut machen.“Erfahrung bringt der Psychother­apeut mit: Er selbst hat 1400 jesidische Frauen psychologi­sch untersucht.

Dokumentat­ion und Aufarbeitu­ng

Nach irakischem Recht könnte den Angeklagte­n im Falle einer Verurteilu­ng die Todesstraf­e drohen: „Aber die Vereinten Nationen sind daran nicht interessie­rt“, sagt der Professor, „es geht neben einer Strafe für die Täter um Gerechtigk­eit, um Aufarbeitu­ng, um Dokumentat­ion.“

Nicht nur juristisch soll der Völkermord aufgearbei­tet werden. An der Universitä­t in Dohuk, wo auch Psychother­apeuten für die Arbeit in den Flüchtling­scamps ausgebilde­t werden, fand Anfang Mai unter Federführu­ng Kizilhans die erste „Internatio­nale Konferenz zu Genozid und Massentrau­ma“statt. „Insgesamt 300 Experten aus 16 Ländern und Überlebend­e der Genozide in Ruanda, Kambodscha, Nepal, Guatemala und Bosnien haben an dem Kongress teilgenomm­en, um sich auszutausc­hen über ihre Erfahrunge­n, wie sie mit Genozid und Traumata umgehen, und um aus diesen Erfahrunge­n lernen zu können“, berichtet Kizilhan: „Langfristi­g soll ein Trauma-Netzwerk aufgebaut werden, um den Menschen vor Ort gezielt zu helfen und Flucht nicht mehr als Lösung zu sehen.“

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FOTO: MÖ Jan Ilhan Kizilhan

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