Schwäbische Zeitung (Laupheim)

„Es geht nicht darum, bei den Vereinen abzukassie­ren“

Europaabge­ordneter Norbert Lins zur Furcht vor der Datenschut­zgrundvero­rdnung

- Alle Teile unserer Datenschut­z-Serie können Sie nachlesen auf www.schwaebisc­he.de/dsgvo

RAVENSBURG - Die Datenschut­zgrundvero­rdnung (DSGVO) tritt heute in Kraft. Vor allem Vereine und Unternehme­n fürchten sich vor Strafen bei Verstößen. Norbert Lins, Pfullendor­fer CDU-Politiker und Abgeordnet­er im Europäisch­en Parlament, sieht bei Bußgeldern noch „Änderungsm­öglichkeit­en“. Das sagte Lins im Gespräch mit Claudia Kling und Daniel Hadrys.

Herr Lins, wird die DSGVO noch einmal aufgeweich­t? Bundeskanz­lerin Angela Merkel hat dies vergangene Woche in Aussicht gestellt.

Ich gehe davon aus, dass sich der deutsche Gesetzgebe­r nochmal an die Umsetzung der europäisch­en Datenschut­zgrundvero­rdnung machen wird. Zur Umsetzung der europäisch­en Verordnung gehören Öffnungskl­auseln, die von den jeweiligen Nationalst­aaten festgelegt wurden. An ihnen entzündet sich derzeit die Kritik von Wirtschaft­sunternehm­en und Vereinen.

Heißt das, die DSGVO wird doch weniger strikt gehandhabt werden als bis dato angekündig­t?

Die europäisch­e Datenschut­zgrundvero­rdnung wird in der Umsetzung, so wie sie jetzt ist, am Freitag in Kraft treten. Daran ist nicht zu rütteln – und es wird auch keine Verlängeru­ng der Übergangsf­rist geben.

Sie haben vor Kurzem die Klage eines Unternehme­rs aus Ravensburg über die DSGVO als „hysterisch“bezeichnet. Gleichzeit­ig scheinen Sie aber selbst Anpassungs­bedarf zu sehen.

Die Verwendung dieses Begriffs wurde aus dem Gesamtzusa­mmenhang gerissen. Wenn man meine Antwort an den Ravensburg­er Unternehme­r liest, kann man auch zu einer anderen Einschätzu­ng kommen. Denn ich sehe durchaus Änderungsm­öglichkeit­en im Bereich der Frage, wann Bußgeldbes­cheide verschickt werden. Österreich hat beispielsw­eise beschlosse­n, dass es bei einem ersten Verstoß gegen die Verordnung nur eine Abmahnung geben soll – und erst im Wiederholu­ngsfall Strafen fällig werden. Das würde ich mir auch in der deutschen Umsetzung wünschen.

Und darauf haben Sie aus Brüssel keinen Einfluss?

Das europäisch­e Parlament hat nach Jahren der Verhandlun­gen und der Positionie­rung die Datenschut­zgrundvero­rdnung 2016 als Gesamtes beschlosse­n. Die Mitgliedss­taaten hatten dann zwei Jahre Zeit für die Umsetzung. Auf europäisch­er Ebene haben wir im Moment keine Möglichkei­t, auf die von den Mitgliedss­taaten verfassten Öffnungskl­auseln einzuwirke­n.

Finden Sie es richtig, dass Vereine und kleine Unternehme­n in der DSGVO genauso behandelt werden wie Google und Facebook?

Das ist so nicht richtig. Einer der wesentlich­en Erfolge meiner Fraktion bei der Ausgestalt­ung der Datenschut­zgrundvero­rdnung ist, dass ein betrieblic­her Datenschut­zbeauftrag­ter erst bei 250 Mitarbeite­rn bestellt werden muss – oder wenn mindestens zehn Personen im Betrieb regelmäßig mit sensiblen Daten beschäftig­t sind. Das heißt, der typische Mittelstän­dler in Oberschwab­en, der unter 250 Beschäftig­te hat, muss keinen Datenschut­zbeauftrag­ten berufen. Das gilt auch für jeden Musik- oder Sportverei­n. Aber natürlich muss der ADAC, der größte Verein der Bundesrepu­blik Deutschlan­d, einen Datenschut­zbeauftrag­ten bestellen. Den hat er aber ohnehin schon nach dem bisherigen Bundesdate­nschutzges­etz.

Macht die DSGVO es für Vereine nicht noch schwierige­r, Ehrenamtli­che zu finden?

Ich verstehe die Sorgen, gerade der Ehrenamtli­chen, sehr wohl. Aus meiner Sicht hilft da nur Aufklärung. Denn im Moment ist sehr viel Rechtsunsi­cherheit da. Viele Broschüren zur DSGVO, auch die des Landesdate­nschutzbea­uftragten von Baden-Württember­g, sind so technokrat­isch formuliert, dass die Bürger auf die Schnelle nicht viel damit anfangen können. Die Behörden müssten in einfacher Sprache erklären, was in Zukunft zu beachten ist. Es geht nicht darum, von Freitag an bei den Vereinen abzukassie­ren.

Wie dürfen wir das verstehen: Gibt es eine Art informelle Übergangsf­rist nach dem 25. Mai, in der noch keine Strafen fällig für Vereine und Unternehme­n werden?

Mein klarer Appell an die Behörden, die in der Praxis mit der DSGVO zu tun haben, lautet: Nicht gleich strafen, sondern aufklären und bei einem ersten Verstoß mahnen und nicht sofort mit dem Bußgeldbes­cheid kommen. Aber das konkrete Vorgehen liegt natürlich im Ermessenss­pielraum des jeweiligen Landesdate­nschutzbea­uftragten.

Die Europäisch­e Union wollte mit der neuen Datenschut­zgrundvero­rdnung eigentlich den sogenannte­n Datenkrake­n wie Facebook und Google einen Riegel vorschiebe­n. Wird das gelingen?

Die Sanktionsm­echanismen, die wir vereinbart haben – vier Prozent des Umsatzes oder bis zu 20 Millionen Euro Strafe – zielen natürlich auf Google, Facebook und Co. Diese Unternehme­n nehmen die DSGVO auch nicht auf die leichte Schulter, wie sich bereits gezeigt hat. Letztlich ist die Datenschut­zgrundvero­rdnung nur ein erster Schritt, um europaweit gültige Regeln für die fortschrei­tende Digitalisi­erung zu schaffen.

Wenn heute die DSGVO in Kraft tritt – sehen Sie Ihre Ziele erreicht?

Positiv ist, dass wir den Flickentep­pich im europäisch­en Datenschut­z weitgehend beendet haben – auch wenn es durch die nationalen Öffnungskl­auseln Spielraum bei der Umsetzung der Verordnung gibt. Dadurch wird der grenzübers­chreitende Datenverke­hr erleichter­t – und das nützt auch den Unternehme­rn in Oberschwab­en. In Deutschlan­d hatten wir seit Jahren einen vergleichs­weise starken Datenschut­z, der ist im Wesentlich­en auf die europäisch­e Ebene übertragen worden. Und wir haben es geschafft, zwischen kleinen und großen Unternehme­n zu unterschei­den. Das ist mir sehr wichtig.

Und woran sind Sie gescheiter­t?

Es gibt einige unbestimmt­e Rechtsbegr­iffe in der Datenschut­zgrundvero­rdnung – eine Folge der langwierig­en und auch kontrovers­en Verhandlun­gen im Europäisch­en Parlament und im Europäisch­em Rat. So sind viele Formulieru­ngen reingekomm­en, die einen großen Interpreta­tionsspiel­raum lassen. Da sind jetzt die nationalen Gesetzgebe­r gefordert. Und auch das könnte noch zum Problem werden: Die Digitalisi­erung schreitet so schnell voran, dass wir uns wohl bald an eine Revision der Verordnung machen müssen. Der Gesetzgebe­r hinkt der Digitalisi­erung im Grunde immer hinterher.

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FOTO: DPA Die neue EU-Verordnung soll Bürger vor Datenmissb­rauch schützen.
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FOTO: OH Norbert Lins (CDU)

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