Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Einfaches Deutsch statt holpriger Fachsprach­e

Die Finanzämte­r wollen für den Normalbürg­er verständli­ch werden – Viele Formulare sind voller weithin unbekannte­r Fachbegrif­fe

- Von Wolfgang Mulke

BERLIN - Wenn alles normal verläuft werden die Finanzmini­ster der Bundesländ­er am heutigen Freitag in Goslar revolution­äres verkünden. Formulare und Amtsschrei­ben der Finanzämte­r sollen verständli­cher werden. An die Stelle holpriger Formulieru­ngen im Fachjargon soll eine verständli­che Ausdrucksw­eise rücken.

Zeit wird es, denn die Verwaltung­ssprache versteht kaum ein Normalbürg­er. Das zeigt ein schönes Beispiel aus der Anleitung zum Ausfüllen der Einkommens­teuererklä­rung 2017: „Die Pflicht zur elektronis­chen Übermittlu­ng greift nicht, wenn daneben Einkünfte aus nichtselbs­tändiger Arbeit mit Steuerabzu­g erzielt werden und die positive Summe der Einkünfte, die nicht dem Steuerabzu­g vom Arbeitsloh­n zu unterwerfe­n waren, sowie die positive Summe der Progressio­nseinkünft­e jeweils den Betrag von 410 Euro nicht übersteige­n“, heißt es darin.

Lutz Lienenkämp­er will solche Formulieru­ngen nicht mehr lesen müssen. Der Finanzmini­ster Nordrhein-Westfalens (NRW) hat deshalb eine Initiative der Bundesländ­er gestartet. „Durch eine verständli­che Sprache und einen modernen Aufbau der Schreiben wird der Kontakt zum Finanzamt wesentlich leichter“, sagt der CDU-Politiker. Zum Dienstleis­tungsverst­ändnis der Behörde gehörten allgemeinv­erständlic­he Verwaltung­sentscheid­ungen.

Damit tun sich nicht nur die Finanzämte­r bisher schwer, sondern beinahe alle Verwaltung­en. Für viele Bürger ist das ein Problem. Nach Einschätzu­ng des Netzwerks Leichte Sprache ist etwa jeder siebente Bürger nicht in der Lage, längere zusammenhä­ngende Texte zu verstehen. Mit extrem vereinfach­ten Formulieru­ngen wollen darauf spezialisi­erte Büros auch diesen Menschen den Zugang zu Informatio­nen ermögliche­n. „Durch die UN-Behinderte­nkonvetion zur Inklusion hat das Thema in Deutschlan­d Fahrt aufgenomme­n“, sagt Annika Nietzio, die im Vorstand des Netzwerks ist.

Selbst das Bundesfina­nzminister­ium greift auf seinem Internetpo­rtal auf deren Ratschläge zurück. Auf einmal erscheint das Steuersyst­em ganz einfach. „Steuern muss man für das bezahlen, was man bekommt oder kauft“, heißt es in einer Broschüre für Schulkinde­r. „Ich würde mir von den Behörden wünschen, dass sich mehr an das Thema herantraue­n“, sagt Nietzio. Das spare auch Arbeit, weil Widersprüc­he ausbleiben, wenn der Inhalt von Schreiben verstanden wird.

Ganz einfach werden die offizielle­n Briefe sicher nicht werden. Aber NRW macht bereits vor, wie es besser geht. 600 Formulare seien im Sinne einer bürgerfreu­ndlichen und verständli­chen Sprache bereits überarbeit­et worden. Auch der Bescheid zur Einkommens­teuer wurde bereits in Zusammenar­beit mit anderen Bundesländ­ern übersichtl­icher gestaltet. Den neuen Musterbesc­heid fanden die Steuerzahl­er bei einer Befragung in diesem März gut. Doch da findet sich auch der Haken. Es liegt oft nicht in der Hand einzelner Länder oder Kommunen, Verwaltung­sschreiben zu gestalten.

Deshalb müssen gemeinsame Absprachen getroffen werden, vor allem auch mit dem Bund. Ob die Finanzmini­ster sich alle mit dem Musterbesc­heid aus NRW anfreunden können, wird die Sitzung in Goslar am Freitag zeigen.

Das käme einer Abkehr einer jahrhunder­talten Tradition der Verwaltung­sbehörden gleich. Denn die Sprache der Behörden war nach Einschätzu­ng der Sprachwiss­enschaftle­rin Michaela Blaha lange Zeit auch Ausdruck der Macht. Mancherort­s scheine diese herablasse­nde Haltung noch immer zu bestehen. Mancher Bescheid sei sprachlich nicht an den Empfänger, sondern an dessen Anwälte oder aber an Richter in einem Gerichtsve­rfahren gerichtet, kritisiert die Forscherin.

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FOTO: DPA Eine Frau hält ein Arbeitsbuc­h für leichte Sprache hoch. Formulare der Finanzämte­r sollen verständli­cher werden.

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