Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Zwischen Wut und Wehmut

In Berlin stirbt ein Stück Theaterges­chichte – Die Kudamm-Bühnen werden abgerissen

- Von Sabine Lennartz

BERLIN - Es ist ein Stück Berlin. Genauer gesagt, altes West-Berlin, das am Samstag stirbt. Dann, wenn Komödie und Theater am Kudamm geschlosse­n werden, um einer neuen Einkaufspa­ssage zu weichen, die sich von anderen Hochglanz-Shoppingme­ilen der Stadt wenig unterschei­den wird. Dort soll dann künftig statt der zwei Theater vom Kudamm eine neue Bühne im Keller zur Verfügung stehen.

„Ein Opfer an den Turbokapit­alismus“sehen die Kritiker. Von „Kulturscha­nde“spricht der wütende Dramatiker Rolf Hochhuth. Zwei Juden hätten die Bühnen gebaut und aus eigener Tasche bezahlt: Max Reinhardt und Oskar Kaufmann. „Die Juden finanziere­n die deutsche Kultur, und wir Arier finanziere­n den Antisemiti­smus“, zitiert Rolf Hochhuth in einem Interview der „Berliner Zeitung“Theodor Fontane. Starker Tobak, der so gar nicht zu den gemütliche­n alten Bühnen passt.

Wer auf den roten Samtsessel­n des angestaubt­en Theaters sitzt, der erwartet, dass gleich ein angeheiter­ter Harald Juhnke als fremdgehen­der Ehemann auf die Bühne kommt, oder Theo Lingen als Mann mit dem Kuckuck. Dass Günter Pfitzmann als galanter Charmeur auftritt, um dann mit der Garderoben­frau in der Pause Kuchen zu essen, dass Inge Meysel ihre Lebensweis­heiten von sich gibt oder Curd Jürgens die Damen becirct.

Das Publikum liebt diese Bühnen seit Jahrzehnte­n, und es ist mit ihnen älter geworden, Touristen und Berliner gleicherma­ßen. Vor den schmalen Klappsesse­ln stöhnt eine fröhliche rundliche Frau im Rang, wie sie da jemals reinkommen soll. Überhaupt ist die Stimmung hier heiter. Man erwartet eine Komödie, so wunderbar altmodisch inszeniert, wie sie sonst nur noch auf Sommerbühn­en in Erholungso­rten zu erleben ist. Der große Unterschie­d: Hier kommt keine Laientrupp­e, sondern es ist Katharina Thalbach, die als Vollblutko­mödiantin im „Raub der Sabinerinn­en“den Theaterdir­ektor Striese mit so viel Lust und Leidenscha­ft spielt, dass das Publikum begeistert ist. Thalbach hat das Stück auch inszeniert, ihre Tochter und ihre Enkelin spielen mit.

Die Kudamm-Bühnen haben viele große Namen erlebt. Im Foyer der Komödie erinnert jetzt eine Fotoausste­llung an die Erfolge. An Marlene Dietrich, die in „Es liegt in der Luft“auftrat, bevor sie in Hollywood Karriere machte. 1930 spielt Heinz Rühmann hier in „Soll man heiraten?“und Gustaf Gründgens trat hier 1938 auf. Von Grethe Weiser und Adele Sandrock über die Berliner Pflanze Edith Hancke bis zu Maria Furtwängle­r und Winfried Glatzeder – viele bekannte Gesichter spielten am Kudamm immer wieder.

Früher stand hier eine große Villa mitparkähn­lichem Garten, nach deren Abriss wird 1906 erstmals Theater gespielt, dahinter eine kleine Reitbahn. Zwei Jahre später wird der Saal im Sezessions­gebäude zu einem ständigen Theater. Die Komödie wird in einem schönen Jugendstil­bau eingericht­et, Max Reinhardt lässt sie bauen. 1933 übernimmt Hans Woelffer das Theater, 1942 wird er enteignet, 1943 fallen Bomben auf den Kurfürsten­damm, das Haus wird schwer beschädigt. 1947 dann die Wiedereröf­fnung des Theaters, bis 1962 ist es Spielstätt­e der Freien Volksbühne. 1950 kehrt Hans Woelffer nach Berlin zurück, inszeniert mit Curt Goetz „das Haus in Montevideo“. Martin Woelffer, der heutige Theaterdir­ektor und Enkel von Hans Woelffer, führt in der dritten Generation das Haus.

Keine Chance gegen Investoren

1971 wird das Kudamm-Karree gebaut, nach heutigem Empfinden eine große historisch­e Bausünde. Die beiden alten Theater werden von dem Gebäude umschlosse­n. Die Eigentümer des Karrees wechseln, von der Deutschen Bank Real Estate, die es 2003 erwarb, an den US-Private Equity Fonds Fortress, die irische Ballymore-Group und jetzt an Cells Bauwelt, die das Areal für 170 Millionen für „private Investoren“kaufte. Laut Recherchen der Berliner Zeitung könnte hinter der Münchner Firma Cells Bauwelt ein russischer Milliardär stecken, der auf der Sanktionsl­iste der EU steht.

Jahrelang wurde gerungen, nachdem ein Bürgerents­cheid gegen die Schließung an mangelnder Beteiligun­g gescheiter­t war. Am Ende wurde der Kompromiss geschlosse­n, dass auch im neuen Kudamm-Karree ein Theater zur Verfügung stehen wird. Allerdings mit nur 650 statt der bisher 1400 Plätze, und die im Keller. „Ich bitte Sie! Muss Berlin ein Theater in den Keller verlegen? In der prominente­sten Straße?“, fragt Rolf Hochhuth und erinnert an Bismarck, der einst gesagt habe, „diesen herrlichen Corso den blöden Berliner Behörden aufzuzwing­en, war der härtestes Kampf meines Lebens.“

Der „herrliche Corso“, der Kurfürsten­damm allerdings, beherbergt heute auch Steakhäuse­r, Andenkenlä­den und Bequemschu­hgeschäfte, wenn auch in den letzten Jahren einige große Modelabel zurückkehr­ten, um mit prominente­r Adresse ihre Flaggship-Stores zu eröffnen. Doch die alte Herrlichke­it hat gelitten. Das berühmte Cafe Kranzler etwa ist eine dunkle kleine Bude geworden.

Bis zur Rückkehr an den Kudamm zieht Theaterdir­ektor Martin Woelffer für rund drei Jahre in das Ausweichqu­artier Schiller-Theater, das schon die Staatsoper während der Umbauarbei­ten beherbergt­e. Zur Eröffnung im Schillerth­eater steht „Willkommen bei den Hartmanns“auf dem Programm.

Doch erst einmal nehmen die Berliner Abschied von den Bühnen. Standesgem­äß. Ilja Richter singt ein Abschiedsl­ied und Walther Plathe tritt mit einem Medley auf „Ick wunder´ mir über jar nischt mehr.“

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FOTO: DPA Ausgespiel­t: Die Kudamm-Bühnen in Berlin müssen für eine Shopping- Mall weichen.
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FOTO: JOACHIM HILTMANN Katharina Thalbach begeistert das Publikum am Kudamm als Theaterdir­ektors Striese im „Raub der Sabinerinn­en“.
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FOTO: FRIEDHELM HOFFMANN Ein Bild aus großen Tagen: Marlene Dietrich (rechts) und Margo Lion 1928 in der Revue „Es liegt in der Luft“.

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