Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Streit unter Firmen besser abwickeln

Wirtschaft kritisiert schleppend­e Verfahren – Justizmini­ster Wolf setzt auf Änderungen

- Von Katja Korf

STUTTGART (tja) - Wenig Fachwissen der Richter, schleppend­e Verfahren: Unternehme­n tragen ihre Streitigke­iten immer seltener vor deutschen Gerichten aus. Ein Nachteil für kleine Firmen, die Prozesse im Ausland scheuen. Baden-Württember­gs Justizmini­ster Guido Wolf (CDU) will das ändern. Auf einem Treffen mit Amtskolleg­en aus den übrigen Bundesländ­ern will er entspreche­nde Vorschläge einbringen. So könnte demnächst auf Englisch verhandelt werden. Außerdem unterstütz­t Wolf eine Initiative, die Gesichtsve­rhüllungen wie Burkas vor Gericht verbieten will.

STUTTGART - Die gelieferte Ware ist mangelhaft, ein Kunde zahlt seine Bestellung nicht: Solche Streitigke­iten klären immer weniger Unternehme­n vor deutschen Gerichten. Vor allem, wenn internatio­nale Firmen beteiligt sind, werden solche Fälle vor Schiedsger­ichten oder im Ausland entschiede­n. Ein Nachteil für kleinere Firmen, die komplizier­te Verfahren an internatio­nalen Gerichten scheuen und deswegen auf Ansprüche verzichten. Darum setzt sich Justizmini­ster Guido Wolf (CDU) nun für Änderungen ein.

Die Fakten sind eindeutig: Laut Landesjust­izminister­ium sank die Zahl der Verfahren vor den Kammern für Handelssac­hen zwischen 2005 und 2015 um rund 35 Prozent.

Richtern fehlt Spezialwis­sen

Die Gründe dafür sind unterschie­dlich. Zum einen haben sich in vielen Branchen Schlichtun­gs- oder Schiedsste­llen etabliert. Dort entscheide­n Spezialist­en Streitfäll­e, die Abläufe sind dort unkomplizi­erter. Außerdem vereinbare­n viele Unternehme­n als Gerichtsst­and in internatio­nalen Konflikten London, schon weil dort auf Englisch verhandelt wird. In Deutschlan­d ist das bisher nur an Gerichten in Frankfurt und Bonn möglich. Ein Nachteil in der Wirtschaft­swelt, in der viele Verträge und Dokumente auf Englisch verfasst sind. Die Übersetzun­gen sind teurer. Hinzu kommt: Vor Gericht sind die Prozesse öffentlich, die Schiedsger­ichte dagegen verhandeln unter Ausschluss von Presse und Zuhörern.

„Die Verfahren dauern aus Sicht vieler Unternehme­n zu lange. Außerdem wünschen sich viele Unternehme­n bei den Richtern eine noch größere Wirtschaft­skompetenz. Oft müssen viele Gutachten eingeholt werden, das zieht Prozesse zusätzlich in die Länge“, so Christian Köhn, von der Industrie- und Handelskam­mer (IHK) Region Stuttgart.

Die Verfahren werden in der Regel von einem Berufsrich­ter und zwei Laienricht­ern aus der Wirtschaft verhandelt. Die hauptamtli­chen Richter wechseln häufig, haben zum Teil wenig Erfahrunge­n in Wirtschaft­ssachen. Sie betreuen ein breites Spektrum an Themen. Demgegenüb­er sitzen oft mehrere Fachanwält­e großer Kanzleien, die sich mit spezifisch­en Rechtsfrag­en beschäftig­en.

Cornelia Horz, Präsidenti­n des Oberlandes­gerichts Stuttgart und Chefin der Zivilgeric­hte in Württember­g, warnt daher: „Wir müssen verhindern, dass sich Unternehme­n von Klagen abschrecke­n lassen und damit letzten Endes auf ihre Ansprüche verzichten, weil sie komplizier­te Verhandlun­gen im Ausland fürchten. Schon deswegen müssen wir hier gute Möglichkei­ten für solche Verfahren schaffen.“Diese Befürchtun­g teilt IHK-Experte Köhn. Konzerne seien erfahren auf internatio­nalem Parkett. „Aber für kleinere Unternehme­n, die sich nicht viel auf internatio­nalen Märkten bewegen, sind Prozesse vor ausländisc­hen Gerichten unvertraut­es Terrain. Das kann schon ein Hemmnis sein.“

Der Zeitpunkt für Veränderun­gen ist günstig. Wenn Großbritan­nien aus der Europäisch­en Union austritt, wird der Gerichtsst­and London unattrakti­v. Sowohl die Niederland­e als auch Frankreich wollen „Commercial Courts“einführen. Dort würde auf Englisch verhandelt. Es gibt allerdings durchaus Kritik: Juristen warnen vor einer Sonderbeha­ndlung von Wirtschaft­sprozessen. Dort würden Verfahren beschleuni­gt – während sich Bürger bei Streitfäll­en durch die Mühlen der „normalen“Justiz mühen müssten.

Verhandlun­gen auf Englisch

Landesjust­izminister Wolf (CDU) will sich für Reformen an deutschen Gerichten einsetzen. „Wir sollten versuchen, Wirtschaft­sstreitigk­eiten, auch und gerade des Mittelstan­des, wieder vermehrt nach Deutschlan­d und hier vor die staatliche­n Gerichte zu holen“, sagte er am Montag auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“. Am Mittwoch will er mit seinen Amtskolleg­en aus den übrigen Bundesländ­ern beschließe­n, eine Arbeitsgru­ppe zum Thema einzuricht­en. Sie soll mögliche Veränderun­gen prüfen.

Aus Wolfs Sicht sollte Ziel dabei sein, dass die Parteien auf Deutsch oder Englisch verhandeln können. Außerdem schlägt er vor, dass sich Handelsric­hter auf bestimmte Rechtsgebi­ete spezialisi­eren. Sachverstä­ndige sollen seiner Ansicht nach den Gerichten als unabhängig­e Berater zur Seite stehen. Damit könnten die Parteien in Zweifelsfä­llen rascher Expertenra­t einholen.

IHK-Fachmann Köhn hält die Ideen grundsätzl­ich für gut. Allerdings warnt er vor überzogene­n Erwartunge­n. In vielen EU-Staaten gebe es weniger Wirtschaft­sprozesse. „Für Unternehme­n ist der Weg vor Gericht das absolut letzte Mittel. Wer verklagt schon gerne seine Kunden oder Lieferante­n? Egal wie gut die Gerichte in Deutschlan­d sind, an dem Trend wird sich wenig ändern.“

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