Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Große Knöpfe statt Touchscreens
Alexander Gerst fliegt mit einer russischen Rakete ins All – Sojus ist einziger Weg in den Weltraum
MOSKAU (dpa) - Alexander Gerst wird am 6. Juni mit der russischen Trägerrakete vom Typ Sojus-FG ins All starten. Auf der Internationalen Raumstation ISS soll er Experimente für Forschungsinstitute in aller Welt ausführen. Abflugsort wird der Weltraumbahnhof Baikonur in Kasachstan sein. Der 42-jährige Geophysiker aus dem baden-württembergischen Künzelsau wird dann an der Spitze des rund 50 Meter hohen Geschosses in seinem Raumschiff „Sojus MS-09“sitzen.
Das Taxi ins All für den deutschen Astronauten ist eng. Zahlen und Tabellen flimmern auf ein paar Monitoren. Grobe, daumengroße Knöpfe spicken das graue Armaturenbrett. Alles in allem wirkt die Sojus ein wenig aus der Zeit gefallen. Gerst vertraut sein Leben einer Technik an, deren Vorläufer in den 1960er-Jahren entwickelt wurden. Bis heute bildet die Sojus-Familie das Rückgrat der russischen Raumfahrt.
Nicht aus Science-Fiction-Filmen
„Wir machen oft den Fehler, dass wir das mit Science-Fiction-Filmen vergleichen. Ein Raumschiff muss nicht schön luftschnittig sein, es muss funktionieren. Und das tut es“, sagt er über die Sojus. Zweieinhalb Jahre hat er trainiert für seinen Flug zur Internationalen Raumstation (ISS). Schon 2014 war er ein halbes Jahr im All.
Die Technik sei „überhaupt nicht veraltet“, betont Gerst. „Das ist die beste Technik, die wir haben. Jedes Raumschiff wird neu gebaut.“An jeder Version werde etwas modernisiert und verbessert.
Daher sei es ein Missverständnis, wenn man sich die Knöpfe in der Kapsel anschaue und denke, ein modernes Touchscreen wäre viel besser, sagt der Astronaut der Europäischen Raumfahrtagentur Esa. „Da würde ich vorschlagen: Wenn Sie das nächste Mal auf einer Schotterstraße unterwegs sind, versuchen Sie mal ihr iPhone zu bedienen und genau den richtigen Knopf zu drücken.“
Die großen Knöpfe der Sojus mit den Metallfassungen seien praktisch, weil der Finger nicht abrutsche. Die erste Sojus flog bereits 1967. Seither gab es mehrere Typen der Kapsel, die Menschen ins All und wieder zurückbringen kann. Da die USA 2011 ihr Shuttle-Programm beendet haben, ist die Sojus derzeit der einzige für Menschen verbliebene Transporter zur ISS.
Auch die dazugehörige Trägerrakete hat eine lange Geschichte. Es war der sowjetische Ingenieur Sergej Koroljow (1907-1966), der nach dem Zweiten Weltkrieg auf der Basis der deutschen V2-Rakete die weltweit erste Interkontinentalrakete R-7 entwarf (Erstflug 1957). Sie bildete die Grundlage für die bis heute gebräuchlichen Sojus-Trägerraketen, auf die nun auch Gerst angewiesen ist.
Ähnlich wie Gerst verbürgen sich die Hersteller der Sojus beim Raketenbauer Energija für ihre Raumschiffe. Äußerlich gebe es noch Ähnlichkeiten zu früheren Versionen, sagte Vize-Chefkonstrukteur Wladimir Solowjow. „Aber was den Inhalt angeht, ist die Gemeinsamkeit der letzten 50 Jahre nur der Name Sojus. Der Rest ist etwas völlig Neues.“Dies gelte für die Raketen wie für die Raumschiffe. „Die Sojus MS ist ein komplett digitales Schiff.“Sie habe eine viel höhere Präzision als frühere Versionen.
Kampfansage von Elon Musk
Dennoch befeuern nicht nur bunte Fantasien von Filmemachern in Hollywood Fragen, ob die Sojus noch zeitgemäß ist. Denn seit einigen Jahren mischt in den USA der Unternehmer Elon Musk mit seinem Konzern SpaceX die Branche mächtig auf. Seine teilweise wiederverwertbaren Raketen sind eine Kampfansage an etablierte Raketenbauer. Auch Russlands wichtigster Raumfahrtkonzern Energija verfolge Musks Tätigkeit aufmerksam, sagt Solowjow.
Wenn SpaceX in einigen Jahren ein eigenes bemanntes Raumschiff auf den Markt bringe, sei das eine direkte Konkurrenz. „Dann werden wir zwangsläufig weniger SojusSchiffe bauen“, meint er. Der Ausweg: „Um zu bestehen, müssen wir neue Apparate bauen, billigere Apparate.“
Der Weg dahin ist schwierig. Um mit der Konkurrenz Schritt zu halten, setzt Russland auf die Sojus. Pläne gibt es reichlich: Eine neue Schwerlastrakete ist angedacht, die Sojus-5. Bis 2022 soll eine verbesserte Sojus-Kapsel Fracht zur Erde zurückbringen können. Auch eine Mondumrundung ist mit einer Sojus geplant. Energija schätzt die technischen Kosten allein dafür auf 500 Millionen US-Dollar (430 Millionen Euro).
Recycelte Rakete
Staatliche Konzerne sollen zudem Pläne prüfen, mit Sojus-Technik eine eigene wiederverwertbare Rakete zu entwickeln, um den Trend nicht zu verpassen. Experten begrüßen das. Allein ein Triebwerk zu retten, könne bis zu 20 Prozent Kosten sparen, schätzt Iwan Moissejew vom Institut für Weltraumpolitik. Gäbe es eine russische Alternative zu den Raketen von SpaceX, könne sich Moskau Marktanteile sichern. Auch das durch diverse Pannen angekratzte Image würde profitieren, meint er. Denn in den vergangenen Jahren hatten Abstürze und Defekte hohe Verluste beschert. Bemannte Raketen waren allerdings nicht betroffen.
Auf die Sicherheit der Sojus schwört auch Gerst. „Der letzte Unfall ist vor 40 Jahren passiert“, sagt er. Die einzigen Todesfälle gab es zu Anfang der Ära der Sojus-Kapseln. 1967 und 1971 starben insgesamt vier Kosmonauten bei Landungen. In der Sojus habe er sein Schicksal letztlich selbst in der Hand, sagt Gerst. „Es gibt zwar alle möglichen automatischen Modi. Wenn die aber ausfallen, haben wir immer noch beste Überlebenschancen. Das finde ich faszinierend.“
„Ein Raumschiff muss nicht schön luftschnittig sein, es muss funktionieren.“Alexander Gerst, deutscher Astronaut