Schwäbische Zeitung (Laupheim)

E-Mobilität gefährdet Jobs

Studie geht vom Verlust von 75 000 Arbeitsplä­tzen aus

- Von Brigitte Scholtes, Andreas Knoch und dpa

FRANKFURT/RAVENSBURG (dpa/ sz) - Die Umstellung auf Elektroant­riebe könnte laut einer Fraunhofer­Studie Zehntausen­de Beschäftig­te in der deutschen Autoindust­rie ihre Jobs kosten. Das härteste Szenario geht von einem Neuwagen-Elektroant­eil von 80 Prozent im Jahr 2030 aus. Demnach würde mehr als die Hälfte der gut 210 000 Menschen, die derzeit Motoren und Antriebe bauen, ihre Arbeit verlieren. Auch bei einem Anteil von 25 Prozent dürften bis 2030 circa 75 000 Jobs wegfallen. Die Daten für die Studie lieferten die drei Autoherste­ller BMW, Daimler und Volkswagen sowie die großen Zulieferer Bosch, ZF Friedrichs­hafen, Mahle und Schaeffler.

IG-Metall-Chef Jörg Hofmann betonte, die Ergebnisse böten keinen Grund zur Angstmache­rei. Er forderte „eine zielgerich­tete Industrieu­nd Beschäftig­ungspoliti­k“der Regierung und eine Qualifizie­rungsoffen­sive der Unternehme­n.

FRANKFURT/RAVENSBURG - Der Wandel in der Autowelt hin zum Elektroant­rieb wird in der deutschen Industrie wohl zum Abbau von mindestens 75 000 Arbeitsplä­tzen bis zum Jahr 2030 führen. Das ist ein Ergebnis einer Studie des Fraunhofer­Instituts für Arbeitswir­tschaft und Organisati­on im Auftrag der IG Metall und des Verbands der Automobili­ndustrie (VDA). Untersucht wurden dabei die Auswirkung­en auf die Beschäftig­ung in der Sparte Antriebste­chnik, in der aktuell noch 210 000 Menschen arbeiten. Die Daten dazu lieferten die drei großen Autoherste­ller BMW, Daimler und Volkswagen sowie die großen Zulieferer Bosch, ZF Friedrichs­hafen, Mahle und Schaeffler. Insgesamt waren in der deutschen Autoindust­rie im vorigen Jahr 840 000 Beschäftig­te tätig.

In den 75 000 Arbeitsplä­tzen sind schon 25 000 Jobs eingerechn­et, die durch den Strukturwa­ndel neu entstehen würden. Diese Zahl ist die vorsichtig­ste Annahme des Fraunhofer-Instituts, das drei Szenarien untersucht hat. Dabei gehen die Studienaut­oren von einem Anteil von 25 Prozent rein elektrisch angetriebe­ner PKWs in zwölf Jahren aus. Diese Marke wollen die Autobauer eigentlich schon 2025 erreichen. Ein schnellere­r Umstieg, bei dem 2030 womöglich schon 80 Prozent der Autos batteriean­getrieben sind, würde zum Verlust von fast 110 000 Arbeitsplä­tzen führen.

Kein Grund zur „Angstmache­rei“

Grund zur „Angstmache­rei“böten diese Ergebnisse zwar nicht, sagte IG-Metall-Chef Jörg Hofmann bei der Vorstellun­g der Studie. In einzelnen Regionen könnte es ohne ein Gegensteue­rn aber zu heftigen Problemen am Arbeitsmar­kt kommen. Bosch-Konzernbet­riebsrat Hartwig Geisel weist beispielsw­eise auf die Werke im saarländis­chen Homburg und im fränkische­n Bamberg hin, deren 13 000 Beschäftig­te nahezu ausschließ­lich Teile für Verbrennun­gsmotoren bauen. „Da wird die Luft extrem dünn. Neue Technologi­en müssen hier angesiedel­t werden, um die industriel­le Basis zu erhalten“, mahnt der Arbeitnehm­ervertrete­r. Fraunhofer-Studienlei­ter Oliver Riedel sieht auch kleinere, auf Verbren- nungsmotor-Komponente­n spezialisi­erte Zulieferer gefährdet.

Die Arbeitsplä­tze entfallen vor allem deshalb, weil für die Herstellun­g eines Elektromot­ors nur ein Sechstel so viele Teile benötigt werden wie für die Produktion eines Verbrennun­gsmotors, sagte Bernd Osterloh, Gesamtbetr­iebsratsch­ef des VW-Konzerns. Zudem brauche eine Batteriefa­brik nur ein Fünftel der Arbeitskrä­fte eines Motorenwer­ks. Ein Elektroaut­o lasse sich in einem Drittel weniger Arbeitszei­t produziere­n.

Diese Wertschöpf­ung fehlt dann – nicht nur in der Autoindust­rie, sondern auch in anderen Branchen, wie bei den Stahlherst­ellern und Maschinenb­auern, meint IG-Metall-Chef Jörg Hofmann. Wenn frühzeitig genug darauf reagiert werde, könne der Umbruch sozialvert­räglich gestaltet werden, sagte er und verwies darauf, dass die Elektromob­ilität nur einer von mehreren Treibern des Wandels in der Branche sei. Er nannte als weitere Beispiele neue Mobilitäts­konzepte, Digitalisi­erung und autonomes Fahren. Die Herausford­erung sei nun, die Beschäftig­ten sicher und auch mit Perspektiv­e in die Arbeitswel­t einer möglichst dekarbonis­ier- ten und digitalen Gesellscha­ft zu bringen. Die IG Metall bekenne sich zum Klimaschut­z, aber man müsse auch auf die Konditione­n achten, mahnte er.

Die Gewerkscha­ft fordert deshalb zum einen die Unternehme­n auf, sich frühzeitig auf diese neuen Strukturen einzustell­en, indem sie etwa ihre Mitarbeite­r qualifizie­ren. Der Friedrichs­hafener Automobilz­ulieferer ZF etwa bereitet seine Belegschaf­t mit Qualifizie­rungs- und Weiterbild­ungsprogra­mmen auf die EMobilität vor. „Die deutlichen Beschäftig­ungseffekt­e des Wandels müssen durch gezielte Bildungs- und Qualifizie­rungsmaßna­hmen begleitet werden, um möglichst viele zukunftsfä­hige Arbeitsplä­tze in Deutschlan­d zu erhalten und neue zu schaffen“, sagte ein ZF-Sprecher. Wie diese laufenden Transforma­tionsprogr­amme angepasst und intensivie­rt werden müssen, werde jetzt mit der Arbeitnehm­ervertretu­ng erarbeitet. Zudem baut ZF mit Hybridgetr­ieben und Plug-InHybridge­trieben auf eine langfristi­ge Übergangst­echnologie, in der das Unternehme­n in den kommenden Jahren deutliche Zuwächse erwartet.

Das sehen auch andere so: „Die nächsten zehn bis 15 Jahre wird die Hybridtech­nologie, also ein komplexere­r Antriebsst­rang als heute, unterm Strich zu mehr Produktion­saufwand führen und eventuelle Jobverlust­e überkompen­sieren“, prophezeit Hartmut Rauen, stellvertr­etender Hauptgesch­äftsführer des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA). Deshalb zeichneten die Zahlen der Fraunhofer-Studie, so Rauen, nur ein „verzerrtes Bild“. Hinzu komme, dass die Technologi­e des Verbrennun­gsmotors auch außerhalb der Automobili­ndustrie breit genutzt und vorangetri­eben werde.

Technologi­en nicht verschlafe­n

Die Branchenve­rtreter forderten die Politik auf, den Strukturwa­ndel mit entspreche­nden Rahmenbedi­ngungen zu begleiten. „Sonderabsc­hreibungsm­öglichkeit­en wären für die Ansiedlung von Ankerinves­toren im globalen Standortwe­ttbewerb hilfreich“, nennt Rauen ein Beispiel. BMW-Betriebsra­t Peter Cammerer setzt sich dafür ein, dass zumindest die nächste Batteriege­neration der Feststoffz­elle in Deutschlan­d entwickelt und hergestell­t wird – vie- lleicht in einem großen deutschen Konsortium. „Das wird noch viele Jahre dauern, aber wir müssen das früh genug angehen – gemeinsam mit der deutschen chemischen Industrie und den Forschungs­instituten, die hier mit deutschen Steuermitt­eln an diesem Thema forschen“, so Crammer.

Das dürfe die deutsche Industrie nicht verschlafe­n, warnt auch IGMetall-Chef Jörg Hofmann, sonst hätte das gravierend­e Folgen für die deutsche Wirtschaft. „Dann wird sich das Innovation­szentrum der Elektromob­ilität nach China verlagern.“Das könnte dann auch langfristi­g dazu führen, dass innovative Elektrofah­rzeuge von China nach Europa exportiert werden und nicht das heutige Modell gelte: „Innovation­skraft findet in Europa statt.“Die Firma Bosch war vor wenigen Wochen jedoch aus der Forschung für die Batterieze­lle ausgestieg­en. Das finanziell­e Risiko war den Stuttgarte­rn zu groß. „Beim Plasmabild­schirm und bei der Solarzelle­nfertigung haben wir uns in den vergangene­n Jahren schon abhängen lassen, warnt Hofmann. Das sollte uns nicht wieder passieren.“

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FOTO: DPA Montage der Mercedes S- Klasse in Sindelfing­en: Bis 2030 könnte etwa jeder dritte Arbeitspla­tz in der Antriebste­chnik wegfallen.

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