Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Wenn selbst das Geld für die Miete fehlt

Jährlich suchen Tausend wegen drückender Schulden Hilfe bei den städtische­n Beratern

- Von Sebastian Mayr

ULM - Manchmal braucht es nur einen unglücklic­hen Zufall, und die Schuldenfa­lle schnappt zu. Der Partner stirbt und plötzlich ist die Wohnung zu teuer. Oder eine schwere Krankheit tritt auf. Das Einkommen bricht weg, die Kosten bleiben.

Barbara Beyer ist als Fachkoordi­natorin der Stadt Ulm für die Schuldnerb­eratung zuständig. Um die Tausend Fälle bearbeiten die städtische­n Berater im Jahr. Deutschlan­dweit, das geht aus dem 2017 erschienen­en Armuts- und Reichtumsb­ericht der Bundesregi­erung hervor, sind mehr als vier Millionen Bürger überschuld­et.

Beyer kennt viele Fälle – auch die von verzweifel­ten Bürgern, die sich gar nicht mehr trauen, ihre Post zu öffnen. Schuldner bringen Plastiktüt­en zur Beratung mit, gefüllt mit gelben Briefumsch­lägen mit aufgedruck­ter Postzustel­lungsurkun­de – Mahn- oder Vollstreck­ungsbesche­ide befinden sich darin.

Die Stadt teilt sich die Hilfe für Menschen in Geldnot mit der Diakonisch­en Bezirksste­lle. Die Schuldnerb­eratung des evangelisc­hen Ver- bands betreut alle, die ein Einkommen von mehr als 1140 Euro haben. Dann darf der Gläubiger einen Teil des Einkommens einbehalte­n. Alle, deren Einkünfte unter unter dieser Grenze liegen, bekommen in der städtische­n Beratungss­telle Hilfe. Es sind Arbeitslos­e, Sozialhilf­eempfänger und Männer und Frauen mit einer niedrigen Rente.

Nicht immer ist es das Pech, das die Schuldenbe­rge wachsen lässt. Oft sind es auf Raten gekaufte Produkte, durch die das Geld fürs Leben nach und nach aufgebrauc­ht wird. Eine neue Waschmasch­ine zum Beispiel. Und bei jungen Leuten häufig sündteure Handys und Handyvertr­äge. Bleiben die Zahlungen an die Firmen aus, schnellen die Kosten durch Inkasso-Verfahren in die Höhe.

„Ein Hauptprobl­em, wenn das Geld nicht mehr reicht, weil diese Zahlungen drücken, sind die Mieten“, sagt Beyer. Wenn es so weit kommt, sind die Probleme gewaltig. Zahlungsrü­ckstände bei Miete und Energiever­sorgung nennen die Berater Primärschu­lden. Diese Kosten müssen immer bezahlt werden, das ist aus Sicht der Ulmer Beraterin entscheide­nd.

Denn wenn Schuldner die Mietzahlun­gen einstellen, landet die Kündigung der Wohnung im Briefkaste­n. „Wenn dieser Weg erst einmal eingeschla­gen ist, geht es Richtung Obdachlosi­gkeit“, sagt Beyer. Dann hilft oft nur noch der gute Draht, den die Schuldnerb­erater zum Jobcenter aufgebaut haben.

Vermieter kooperiere­n häufig

Die Einrichtun­g kann Empfängern von Sozialleis­tungen ein zinsloses Mietschuld­endarlehen gewähren, das nach und nach abgestotte­rt wird. Die folgenden Zahlungen überweist das Jobcenter direkt an den Vermieter, statt das Geld wie üblich auszuzahle­n. Das klappt aber nur, wenn der Vermieter mitspielt. Die meisten in Ulm, sagt Beyer, seien so tolerant und sozial eingestell­t, dass sie sich auf solche Vereinbaru­ngen einlassen. Außer, es gibt auch andere Probleme: Ständigen Lärm, Ärger mit der Hausgemein­schaft und ähnliches. Jedes Jahr verlieren Menschen in Ulm ihre Wohnung. Zahlen nennt Barbara Beyer nicht.

Die Berater setzen sich mit den Schuldnern zusammen und suchen nach Lösungen. Sie machen Aufstel- lungen, wie viel Geld durch feste Ausgaben verplant ist. „Manchmal bleiben zum Leben nur noch 150 bis 200 Euro, weil der Rest in Ratenzahlu­ngen steckt“, sagt Beyer. Die Berater prüfen auch, ob die Schuldner alle Leistungen erhalten, die ihnen zustehen. Haben sie Ansprüche auf Wohngeld oder andere Sozialleis­tung? Nutzen sie die Lobbycard, mit der beispielsw­eise Nahverkehr­stickets und Einkäufe in Tafelläden oder bei der Neuen Arbeit vergünstig­t sind?

Nicht immer lassen sich Schulden komplett abstreifen. Die Berater wollen den Menschen in Not deswegen auch darauf vorbereite­n, mit ihren Schulden zu leben. „Weg mit den Schulden“ist deshalb auch Motto eines bundesweit­en Aktionstag­s. Ein Motto, das bewusst mehrdeutig zu verstehen ist – als Weg und als weg.

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