Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Im All unterwegs, in Künzelsau zu Hause
Alexander Gersts Heimatort feiert Start seiner Raumfahrtmission mit Stadtfest
KÜNZELSAU (dpa) - Einen Wimpernschlag lang ist die Menschenmenge erstaunlich still, dann gehen die Rufe los. „Gute Reise“und „Komm gesund wieder“ist vor der Großleinwand im Zentrum von Künzelsau zu hören. Rund 5000 Menschen sind an diesem heißen Junitag gekommen, um die Livebilder vom Start ihres Ehrenbürgers Alexander Gerst ins All zu sehen. Stolz und Sorge schwingen mit, als im rund 4000 Kilometer entfernten Kasachstan die Rakete mit brüllenden Triebwerken abhebt.
„Für Stadt und Region ist das ein Riesending. Wir freuen uns, dass einer von uns die Ehre hat, zur Internationalen Raumstation zu fliegen und zeitweise das Kommando der ISS zu übernehmen“, sagt Bürgermeister Stefan Neumann. „Wir haben die halbe Innenstadt gesperrt, um gemeinsam die Daumen zu drücken.“Eine kleine Delegation der Stadt war auch beim Start in Kasachstan dabei.
Künzelsau im Hohenlohekreis: Hier wurde Gerst am 3. Mai 1976 geboren, hier wuchs er auf. Sein Abitur machte er 1995 in Öhringen östlich von Heilbronn, sein Geophysik-Studium absolvierte er in Karlsruhe. Dann verließ er den Kosmos BadenWürttemberg, ging nach Hamburg, Houston, Moskau. Seiner Heimat blieb er treu – ob mit dem Hohenloher Akzent in der Sprache oder dem Essen in der Schwerelosigkeit: Auf der ISS warten bereits Käsespätzle und Maultaschen. Der 42-Jährige hat sich die Regionalspezialitäten als Wunschessen bestellt – als Abwechslung zu den sonst eher freudlosen Mahlzeiten an Bord der ISS.
Sogar Klassenarbeiten verlegt
Für den Start hat die Kommune mit etwa 15 000 Einwohnern ein eigenes Stadtfest organisiert. Zu essen gibt es „UFO-Burger“, Freiwillige verteilen blaue Gratis-T-Shirts mit Gersts Konterfei. Das Foto des Astronauten ziert auch die Auslage eines Optikers. Als der Start näher rückt, zählen die Menschen die letzten Sekunden herunter. In die ausgelassene Stimmung mischen sich aber auch nachdenkliche Töne. „Deutschland gibt im Jahr rund 1,5 Milliarden Euro für die Raumfahrt aus, habe ich gelesen. Was bringt das eigentlich?“, fragt die 22 Jahre alte Verkäuferin Erika. Und der 63 Jahre alte Schreiner Gert meint: „Mir ist das zu viel Spektakel. Es wird völlig vergessen, dass eine solche Mission lebensgefährlich ist.“
Zwei Stunden vor dem Start der Sojus-Rakete beginnt das Programm auf der Bühne vor dem Alten Rathaus. Experten des Uniklinikums Tübingen sprechen über die Verknüpfung von Medizin und Weltraum. Dann folgen bei einer Live-Schalte zwischen Kasachstan, Künzelsau und dem Kontrollzentrum in Oberpfaffenhofen bei München viele Informationen über die „Horizons“Mission. „Teilweise wurden Klassenarbeiten verlegt, damit Schüler kommen können“, erzählt Neumann.
Gerst war bereits 2014 für ein halbes Jahr im Kosmos. Damals startete er in der Nacht und rund 500 Menschen verfolgten den Flug auf einer Leinwand in der Künzelsauer Stadthalle. Wie vor vier Jahren sind Gersts nächste Verwandte diesmal zum Start ins kasachische Baikonur gereist. Und wie bei der ersten Mission soll es auch diesmal ein Funkgespräch zwischen Gerst auf der ISS rund 400 Kilometer über der Erde und Künzelsau geben. „Wir planen dies für Juli“, sagt Neumann.
Im Oktober wollen dann örtliche Amateurfunker zusammen mit Schülern eine Verbindung zur Raumstation aufbauen. Auch Gersts Großvater war Amateurfunker – und richtete seinerzeit zusammen mit seinem Enkel eine Antenne in den Kosmos. Die Radiowellen seien damals zum Mond „gereist“und als Echo zurückgekommen, erzählt Alexander Gerst gerne. „Für mich als Sechsjährigen war ein Teil von mir auf dem Mond.“