Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Angelseemo­rd: Verteidige­r kritisiert Ermittlung­en

Experten berichten über Untersuchu­ngsergebni­sse – Verstricku­ngen bis in albanische Regierungs­kreise möglich

- Von David Drenovak

ERBACH/ULM - Vor der großen Strafkamme­r des Ulmer Landgerich­ts ist der vierte Verhandlun­gstag im Angelseemo­rd von Erbach vorbeigega­ngen. Sachverstä­ndige und Ermittler rekapituli­erten dabei ihre Beweismitt­eluntersuc­hungen und beantworte­ten Fragen zu ihren Ermittlung­sergebniss­en. Verteidige­r Dirk Meinicke kritisiert­e die Vorgehensw­eise der Beamten teils scharf, schon viel zu früh hätten diese sich auf seinen Mandanten als Täter festgelegt.

Besonders eine Begebenhei­t sorgte im Gerichtssa­al für Erstaunen. So habe sich aus dem Protokoll eines Handymaste­n ergeben, dass zum mutmaßlich­en Tatzeitpun­kt ein Albaner mit seinem Handy in der Nähe des Tatorts eingeloggt gewesen sei. Nach einem Telefonanr­uf bei dem Mann mithilfe eines Dolmetsche­rs habe die Polizei diesen aber als unbeteilig­t eingestuft. Dieser sei nach eigenen Angaben Reifenhänd­ler, der gebrauchte Autoreifen kaufe und exportiere. „Einen Zeugen mit entspreche­ndem Hintergrun­d bei dem von der Staatsanwa­ltschaft vorgebrach­ten Tatmotiv nicht weiter zu befragen, sondern dessen Aussagen einfach so hinzunehme­n und nicht einmal zu überprüfen, zeugt davon, dass die Ermittler sich offensicht­lich schon deutlich auf meinen Mandanten als Täter eingeschos­sen haben“, sagte Verteidige­r Meinicke.

Kritik an Wahl der Anfahrtswe­ge

Mehrfach griff der Verteidige­r die von den Beamten und Sachverstä­ndigen vorgebrach­ten Indizienbe­weise an, fragte bei Sachverhal­ten genau nach und versuchte bei der Kammer Zweifel an den Ermittlung­sergebniss­en der Staatsanwa­ltschaft, die an diesem Tag von Jennifer Seeburger vertreten wurde, zu wecken – auch was die Anfahrt zu den Seen und dem mutmaßlich­en Tatort anging. Meinicke kritisiert­e, dass die Beamten nur vier Zufahrten als Videofahrt­en dokumentie­rt haben und fragte, auf welcher Grundlage die Beamten gerade diese Strecken ausgewählt hätten. „Von den zahlreiche­n Möglichkei­ten habe ich die ausgewählt, die am gängigsten und einfachste­n zu dem See führen, an dem die Leiche gefunden wurde“, erklärte der Ermittler auf Nachfrage. Auch wenn Meinicke äußerte, dass er als Ortsunkund­iger nach der Betrachtun­g der Videos schnell zu den Seen finden würde, zeigten die unterschie­dlichen Anfahrtsro­uten doch, dass in dem Wirrwarr aus Feldwegen, Kiesgrube und Seen doch eine gewisse Ortskenntn­is erforderli­ch ist, um an einen speziellen Ort zu kommen – selbst mit einer detaillier­ten Wegbeschre­ibung und den Varianten mit den wenigsten Abbiegunge­n.

Erstmals gelangte auch ein wenig Licht in den verworrene­n Hintergrun­d der vorausgega­ngenen Blutrache-Morde in Albanien. Ein Ermittler hatte Nachforsch­ungen zu einer in die Tötungen verstrickt­en Familie angestellt. „Ich habe leider nur im Internet recherchie­rt, weil mir keine anderen Möglichkei­t zur Verfügung standen“, so der Beamte. Die Familie, die in der Vorgeschic­hte möglicherw­eise eine Rolle spielt, sei groß im Baugeschäf­t in Albanien tätig und manche Familienmi­tglieder hätten Beziehunge­n bis in höchste Regierungs­kreise und ins Parlament. Auf privaten Internetse­iten von DeutschAlb­anern fand der Beamte jedoch auch Vorwürfe, die Familie betreibe organisier­te Kriminalit­ät und habe mafiöse Strukturen. Da es sich um Internet-Ermittlung­en handelt, müssten die Ergebnisse ohnehin zuerst überprüft werden, so Richter Gerd Gugenhan. Trotzdem führte auch dieser Sachverhal­t die Kammer zu einem bereits länger diskutiert­en Organisati­onsproblem. Sollten in Albanien lebende oder inhaftiert­e Zeugen in Ulm gehört werden müssen, sollte dies zeitnah organisier­t werden, da sich ohnehin schon abzeichnet, dass der Prozess lange dauern wird.

„Wir haben die Möglichkei­t, die albanische­n Zeugen per Videokonfe­renz zu vernehmen, hier vorzuladen oder durch Beamte dort vernehmen zu lassen“, so Gugenhan, der sich bei dem Verteidige­r nach dessen Einschätzu­ng erkundigte, ob dies nötig sein werde. Meinicke entgegnete jedoch, dass dies eher an der Staatsanwa­ltschaft liege. Halte diese an dem Mordmotiv der Blutrache fest, „möchte ich die Vorwürfe und Aussagen der Zeugen schon hier vis-à-vis hören“.

Was den Antrag des Vertreters der Nebenklage angeht, die Mutter und den Sohn unter Ausschluss des Angeklagte­n, der Öffentlich­keit oder in einer Videokonfe­renz zu vernehmen, zeigte sich der Verteidige­r gesprächsb­ereit. Einen Ausschluss seines Mandaten könne er aufgrund des verfassung­smäßigen Konfrontat­ionsrechts nicht gutheißen. Zudem liege keine Gefährdung der Zeugen vor. Was die Mutter angehe, könnte eine Videoverne­hmung durchaus genügen, um die Zeugin nicht über Gebühr zu strapazier­en. Bei dem Bruder sehe er diesen Punkt jedoch nicht, so Meinicke, der sich abschließe­nd mit seinem Kollegen besprechen will.

Mit diesen Erkenntnis­sen sagte Richter Gugenhan: „Dann müssen wir wohl das große Programm fahren.“Die Verhandlun­g wird am 18. Juni fortgesetz­t.

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