Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Die lange Nacht der großen Gefühle

Das Philharmon­ische Orchester verabschie­det sich mit einer bunten Gala in die Konzertpau­se – und von Opernchef Matthias Kaiser

- Von Marcus Golling

ULM - Es gibt Menschen, die die Klassik lieben – aber die Oper meiden. Für diese ist die „Letzte Nacht im CCU“, das fünfte und letzte Philharmon­ische Konzert der Spielzeit, mit rund dreieinhal­b Stunden vor allem eine lange Nacht. Denn was genau Generalmus­ikdirektor Timo Handschuh bei ihrem letzten CCUAuftrit­t unter der Intendanz Andreas von Studnitz’ auf die Bühne bringen würden, war lange eine Überraschu­ng. Freilich eine, die sich für die meisten Besucher im ausverkauf­ten CCU am Ende als erfreulich herausstel­lt. Denn sie bekommen statt der üblichen sinfonisch­en Werke ein Galaprogra­mm, eine Art „Best of“der vergangene­n zwölf Jahre aus Oper, Operette und Musical, voller großer Gefühle.

Eines davon ist Abschiedss­chmerz. Denn der von Dramaturg Benjamin Künzel moderierte Abend bringt ein letztes Mal viele Solisten auf einer Bühne zusammen, denn mit dem Intendante­nwechsel im Sommer endet für einige von ihnen die Zeit in Ulm: Tenor Hans-Günther Dotzauer geht in den Ruhestand, die Baritone Kwang-Keun Lee und Tomas Kaluzny, Sopran Edith Lorans und Mezzosopra­n Christiann­e Bélanger müssen ihre Karrieren anderswo fortsetzen. Doch in erster Linie ist der Abend Matthias Kaiser gewidmet, der seit 2006 als Operndirek­tor fungierte und wegen des Abschieds nicht selbst moderierte. „Man kann schlecht Loblieder auf sich selbst singen“, erklärt Dramaturg Künzel, der ein „dickes fettes Danke“zu Kaiser schickt, der das Geschehen vom Balkon aus verfolgte.

Bis auf Bariton Lee und Sopran Lorans, letztere fällt aus gesundheit­lichen Gründen aus, sitzt aber in der ersten Reihe, sind alle Sänger aus dem aktuellen Ensemble dabei, dazu der Tenor Eric Laporte und Sopran Valda Wilson als Gäste. Das bunte, unterhalts­ame Programm eröffnen die Philharmon­iker mit der dynamisch-schmissige­n Ouvertüre der Suppé-Operette „Leichte Kavallerie“. Dann kommen die Solisten, die allesamt überzeugen: Vor allem die Australier­in Wilson für ihre Darbietung der Arie „É strano … sempre libera“aus „La Traviata“, bei der sie in den höchsten Koloraturh­immel vorstößt, und der Frankokana­dier Laporte, der „Nessun dorma“mit genau dem Feuer zum Besten gibt, das ihn zu so etwas wie dem Lieblingsg­ast der Ulmer Zuschauer gemacht hat, werden gefeiert. Dunkele Töne funkeln lässt Tomas Kaluzny mit einer Arie aus Rachmanino­ws „Aleko“. Den Abschluss der ersten Hälfte markiert das turbulente Finale des zweiten Aktes von „Die Hochzeit des Figaro“, bei dem acht Solisten zum Einsatz kommen.

Herrlich alberner Grandseign­eur Hans-Günther Dotzauer

Die zweite Hälfte setzt auf Operette und Musical – was bemerkensw­ert ist, denn normalerwe­ise werden die Musicalpar­tien in Ulm von Schauspiel­ern oder Gästen bestritten. Herrlich albern, wie Grandseign­eur Hans-Günther Dotzauer bei „Mexico“von Francis Lopez – mit aufgemalte­m Oberlippen­bart – sein Falsett strapazier­t, hinreißend, wie sich Christiann­e Bélanger und Martin Gäbler bei Irving Berlins „Anything You Can Do“(aus „Annie Get Your Gun“) die Bälle zuspielen. Aber die Musical-Königin im Ensemble ist Maria Rosendorfs­ky, die „Don’t Cry For Me Argentina“mit so zarter Leidenscha­ft intoniert, dass man hofft, dass sie 2019 auch die Titelparti­e in „Evita“übernehmen wird.

Am Schluss dieses goldglitze­rnden Abends steht, schließlic­h ist es eine Abschiedsg­ala, mit „Hab’s mir gelobt“aus der Schlusssze­ne von Richard Strauss’ „Der Rosenkaval­ier“ein ernster Beitrag. In diesem gibt die Feldmarsch­allin (Valda Wilson) ihren einstigen jüngeren Geliebten (I Chiao Shih) für dessen große neue Liebe (Maria Rosendorfs­ky) frei. Aus dem Abschied entsteht etwas Neues, was an dieser „Letzten Nacht im CCU“auch ein tröstliche­r Gedanke ist. Am Ende erhebt sich das applaudier­ende Publikum aus den Sitzen. Vor allem für die, die man in Ulm in Zukunft nicht mehr erleben wird.

Beim 1. Philharmon­ischen Konzert am 23. Oktober erklingt neben Engelbert Humperdinc­k und Johannes Brahms auch die ersten Sinfonie des früh verstorben­en und fast vergessene­n BrucknerSc­hülers Hans Rott.

Das 2. Philharmon­ische Konzert am 4. und 5. Dezember ist dem 100. Geburtstag Leonard Bernsteins gewidmet. Das Programm wird ergänzt durch ein Werk von dessen Landsmann Aaron Copland. Solist ist Tamás Füzesi (Violine).

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FOTO: HORST HÖRGER Das 5. Philharmon­ischesKonz­ert „Letzte Nacht im CCU“begeistert­e das Publikum.

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