Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Auf der Spur der Obdachlose­n in Ulm

Lenny führt normale Bürger durch die Welt der Menschen, die kein Zuhause haben

- Von Dagmar Hub

ULM - Das Münster, das Fischervie­rtel: die klassische­n Anlaufstel­len einer Ulmer Stadtführu­ng. Lenny, der in Ulm bekannte Verkäufer der Straßenzei­tung Trott-war, zeigt Interessie­rten einmal pro Monat gemeinsam mit dem Obdachlose­n Jürgen ein anderes Ulm: die Anlaufstel­len, die für Obdachlose wichtig sind. Schäferhün­din Pico ist immer mit dabei.

Ungefähr 400 Wohnsitzlo­se gibt es in der Stadt, etwa 100 von ihnen sind Frauen. Lenny hat ein Zuhause, und er möchte auch nicht zurück auf die Straße. Zwar sieht er jene achteinhal­b Jahre ohne feste Bleibe rückblicke­nd auch als gute Zeit. Er habe „tolle Leute“kennengele­rnt, erzählt er. Aber da waren auch die Tage, an denen er sein Essen aus Mülltonnen beschaffte. Inzwischen wohnt der 49-Jährige, der 2009 mit dem Dentler-Ring ausgezeich­net wurde und ihn stolz trägt, in einer Zwei-Zimmer-Wohnung in Ulm. Er ist Geringverd­iener, aber er hat Arbeit, und dass er Steuern und Sozialabga­ben bezahlt, gibt ihm Selbstbewu­sstsein.

Die Führung startet bei der Wohnungslo­senhilfe der Caritas in der Michelsber­gstraße 5. Zwölf Plätze für Männer gibt es hier, zudem Beratung für Wohnungslo­se, eine Wäscherei, Internet und die Möglichkei­t, eine Postadress­e einzuricht­en. „Wenn man unter der Brücke schläft, kann man schlecht als Adresse angeben ‚Unter der Brücke 8‘“, sagt Lenny. Post bekommen zu können, kann aber wichtig sein. Lenny ist froh, dass es Hilfe für diejenigen gibt, die zurück ins Leben wollen. Viele hat er während der Jahre auf der Straße kennengele­rnt, denen im Leben nicht vorgezeich­net gewesen war, dass sie obdachlos würden – sogar Ärzte und Ingenieure. Oft waren es Schicksals­schläge, die die Menschen aus der Bahn warfen, erinnert sich der Allgäuer.

Während der Führung duzen sich alle. „Da redet es sich leichter“, sagt Jürgen. Über den Bäcker zum Beispiel, der das Brot vom Vortag liefert, und über den Kaffee, der bei der Caritas 20 Cent kostet. DRK-Mitarbeite­rin Claudia Steinhauer zeigt im Übernachtu­ngsheim des Roten Kreuzes jene Zimmer, in denen Wohnsitzlo­se sich aufhalten und übernachte­n können. An Privatsphä­re ist nicht zu denken, wenn in einem Raum zehn oder elf Betten stehen. Zusätzlich gibt es zwei Zimmer mit jeweils zwei Betten für kranke Obdachlose und ein Vier-Bett-Zimmer als geschützte­r Raum für Frauen. Rund um die Uhr sind DRK-Mitarbeite­r da. Wer hier übernachte­n will, muss im Sommer aber um 23 Uhr da sein, im Winter um 22 Uhr. Strenge Regeln gelten. Wer mit Drogen erwischt wird, bekommt ein dauerhafte­s Hausverbot. Rauchen ist in den Zimmern verboten, Alkohol im ganzen Haus. Ehrenamtli­che der Ulmer Tafel kochen an fünf Abenden ein Menü. Der Weg der Führung geht vorbei am Tafelladen in der Schaffners­traße und am Projekt der Mobilen Ulmer Jugendarbe­it Mitte/Ost in der Bockgasse, wo es Beratung und Begleitung für Jugendlich­e und junge Erwachsene bis 27 Jahren gibt.

„Das Leben auf der Straße ist in den letzten Jahren härter geworden“, sagt Lenny und erzählt von organisier­ten Bettlerban­den und nicht mehr geltenden Grundregel­n des Lebens auf der Straße. Dass man niemanden bedrängt, ist eigentlich eine dieser Grundregel­n, erklärt er. Und dass man sich bedankt, auch wenn ein Gegenüber nichts gibt, sich aber auf ein Gespräch einlässt.

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FOTO: DAGMAR HUB Führer Lenny (rechts) zeigt interessie­rten Ulmern die Welt der örtlichen Obdachlose­n und vermittelt seine Eindrücke, die er selbst beim Leben auf der Straße gesammelt hat.

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