Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Als die APO nach Biberach kam
Museumsdirektor Frank Brunecker rekonstruiert in dem hervorragenden Begleitband zur Ausstellung, was 1968 an der Riss geschah
Ein gutes Beispiel für die Qualität einer Darstellung, die aus der Distanz des Historikers kommt, ist der Band „1968“des Museums Biberach. Das Begleitbuch zur Ausstellung zeigt einen wachen Sinn für die methodische Besonderheit dieses Themas. Denn schon die Verbindung von 1968 und Biberach hat etwas von einer Pointe. Sie steckt in den landläufigen Vorstellungen, die man von der Studentenbewegung hat. Schließlich ist Biberach keine Universitätsstadt. Franz Brunecker, Museumsdirektor und Autor des Buches, schreibt: „Es ist bis heute fast unbekannt und wissenschaftlich kaum aufgearbeitet, dass sich der Unmut der Jugend auch in der Provinz artikuliert“hat.
Auch dieses Buch arbeitet mit der Erinnerung der Zeitzeugen, gerade auch der Protagonisten der örtlichen Bewegung. Brunecker weist aber darauf hin, dass es im Band „keine mündliche Aussage gibt, die nicht doppelt belegt ist oder schriftlich bestätigt wird“. Zudem werden Erinnerungen, wo sie über reine Beschreibung von Ereignissen hinausgehen, bei der Bewertung der Bewegung recht beliebig. Denn die Einschätzung der Bedeutung der 68er fällt heute kontrovers aus. Einerseits aufgrund der unterschiedlichen politischen Instrumentalisierungen. Zum andern aufgrund ihrer Wirkung, worauf Brunecker in seinem Fazit hinweist: „Politisch sind die 68er gescheitert. In anderer Hinsicht hat das Jahr 1968 sehr viel verändert, jedenfalls war nach 1968 nichts mehr wie vorher. Veränderte Einstellungen und Haltungen der Menschen gewannen die Oberhand. Wir Nachgeborenen haben davon profitiert.“
Eine weitere Frage wäre, inwieweit die 68er Themen und Prozesse markiert und besetzt haben, die zuvor schon begonnen haben. Gerade die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus, ein Lieblingsthema auch von Biberacher Flugblättern dieser Zeit, ist schon zehn Jahre älter (1958 Ulmer Einsatzgruppenprozess). Die Gründung der Biberacher APO ist jedenfalls eine unmittelbare Reaktion auf eine Wahlkampfveranstaltung der NPD in der Turnhalle.
Dass der Funke einer internationalen Protestbewegungen, die in den USA und Paris ebenso anlief wie in Prag, auch in Biberach zündete, ist ein „Zusammentreffen einiger weniger biografischer Zufälle“, wie Brunecker detailliert aufschlüsselt. Träger der Bewegung sind zwar hauptsächlich die Schüler. Beeinflusst werden sie aber von zwei Künstlern, die, eine Generation älter, aus Biberach stammen, ein Studium hinter sich haben und nun wieder nach Biberach zurückgekehrt sind: Eckhardt Leupholz, der zudem Mitglied im SDS ist, und Martin Heilig sind die Initiatoren.
Der Ausstellungsband beginnt mit Impressionen aus dem Biberach der 1950er- und 1960er-Jahre und zeigt, auf welche sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Jugendprotest reagiert hat. Und wie unvorbereitet man darauf war. Veränderungen kündigten sich langsam an, etwa mit massenhaftem Entstehen von Beatbands. 1968 macht das alles einen Sprung: Nach dem Protest gegen die NPD im März folgt gleich im April die Demonstration gegen Kanzler Kiesinger als ehemaligem NSDAP-Mitglied, dessen Wahlkampfrede auf dem Marktplatz gestört wird.
Danach wird Leupholz gleich programmatisch, was die Kontroversen für die Stadtgesellschaft in den nächsten Jahre vorzeichnet: „Mein Ziel ist die Vernichtung dieser Gesellschaftsordnung, in deren Auswirkung man die Unmenschlichkeit erkennt.“Sein offenherziges Bekenntnis „ich bin ein Frauenfreund“scheint die Schülerinnen beeindruckt zu haben, wenn auch auf andere Weise als beabsichtigt. Eine gibt im Interview zu Protokoll, sie habe Leupholz für einen Gockel gehalten: „Auch nur ein Mann, der das Sagen haben will.“(man)