Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Indianer brauchen keine Handys
Im Ruhetal wird seit zehn Jahren das einfache Leben gepflegt - Häuptling Siggi Schlafke setzt auf uralte Weisheiten
ULM - Für Siggi Schlafke lief im Leben lange nicht alles gut. Dann sagte er sich „Schluss mit den Problemen“und begann nachzudenken. Eines Tages – es ist über zehn Jahre her – kam ihm die Idee, die sich zu einem wunderschönen Traum entwickelte und den er mit großer Willenskraft und unglaublicher Energie Wirklichkeit werden ließ. Der Vater zweier Söhne wollte für Kinder ein Indianerdorf schaffen, in dem diese Spaß haben und durchaus nach alten indianischen Weisheiten und Bräuchen die guten Werte des Lebens vermittelt bekommen, die in der Bevölkerung immer mehr verlustig gehen. Siggi Schlafke ist im Indianerdorf, das er und seine Partnerin Ute im Ulmer Ruhetal betreiben, der Häuptling „Fliegender Adler“, der als solcher für die Kinder schon einmal seinen Federschmuck anlegt. Er hat zunächst fast im Alleingang ein Paradies für Kinder geschaffen, in dem sich die Eltern genauso wohl fühlen. Vergangenen Samstag hat er dort mit Kindern, Eltern und Freunden das zehnjährige Bestehen des Indianerkinderdorfs „Samen“gefeiert. Wie beliebt dieses ist, zeigen die über 400 Gäste, die beim ersten kleinen Jubiläum im Laufe des Tages mit Eifer dabei waren.
Wer Siggi Schlafke vor zehn Jahren kennenlernte, konnte kaum für möglich halten, dass dieser seinen Traum wirklich werden lassen kann. Der hagere Mann mit den herunterhängenden Haaren und den Tätowierungen wirkte schon tatkräftig, aber die Aufgabe schien zu groß. Das Gelände, das er im Ruhetal gefunden hatte, liegt an einem Hang, war damals verwildert, das dort befindliche steinerne Häuschen ziemlich verwahrlost, sanitäre Einrichtungen nicht oder nur in primitiver Form vorhanden.
Aber Siggi Schlafke hatte einen Traum – und er konnte anpacken. Es dauerte kein Jahr, da hatte der große Häuptling schon ganz gut aufgeräumt, erste Wege angelegt und das erste Tipi errichtet. Die ersten Kinder kamen, dann immer mehr und Schlafke baute weiter. Ein paar Freunde halfen ihm gelegentlich, später dann mit viel Einsatz seine Partnerin, und ab und zu erhielt er ein wenig Unterstützung von Firmen, die an ihn glaubten.
Im Großen und Ganzen aber hat er selbst errichtet, was es heute zu bestaunen gibt: Ein Kinderdorf mit mehreren Tipis, Hütten und Jurten, sanitären Anlagen, einer Freiluftküche, einer weiteren in einer Hütte befindlichen Küche, Tischen und Bänken, Sitzgruppen, Spielecken, wobei die Baumschaukeln besonders beliebt sind, und auch indianischen „Kultstätten“wie dem Medizinrad, in dem die vier Elemente des Lebens, Luft, Wasser, Erde und Feuer, verewigt sind. „Mein Lebenstraum ist in Erfüllung gegangen“, sagt Schlafke voller Freude, „und ich bin stolz auf das, was hier entstanden ist.“
Der Erschaffer des Indianerkinderdorfs „Samen“berichtet, dass meist ganze Gruppen das Gelände bevölkern. Sie kommen aus Schulen oder Vereinen. Die Kinder essen im Dorf und schlafen dort. Platz genug ist längst vorhanden. Es gibt dort häufig Geburtstagsfeiern und sonstige Feste, „aber auch Events für Erwachsene“, wie Schlafke anmerkt. Inzwischen schicken auch „vermögende Leute“ihre Kinder ins Indianer-Paradies, „weil die“, so der Leiter, „auch ein anderes Leben kennenlernen“sollen.
Das „andere Leben“beschreibt Siggi Schlafke so: „Hier wird einfaches Leben gepflegt. Wir vermitteln den Kindern, dass sie die Liebe leben sollen. Die Aufnahme und der Erhalt der guten Werte ist ganz wichtig. Die Kinder sollen lernen, selbstbewusst zu sein und gleichzeitig Respekt vor den anderen zu haben. Die Kinder sollen in sich das Wertvolle finden, zu sich selbst sagen, Du bist einmalig’, sich aber auf keinen Fall als etwas Besseres darstellen. Jedes Kind ist für sich einmalig.“Schlafke weist darauf hin, dass Indianerkinder keine Sterne für gute Leistungen verteilen würden: „Jeder ist auf seine Weise gut und jeder kann etwas. Kinder sind wertvoller als alles Gold der Welt, insbesondere auf der von Materialismus geprägten Welt.“
Und der Dorfchef fügt an: „Wer zum Beispiel schlechte Ausdrücke gebraucht, ist schwach. Ich frage das entsprechende Kind dann: ,Was willst Du weitergeben? Schwäche oder Stärke? Stärke!“So kann es schon einmal sein, dass der Häuptling „Fliegender Adler“, der es prächtig versteht, mit Kindern, aber auch mit Erwachsenen umzugehen, ein Kind zur Räson ruft, wenn es sich entgegen der im Indianerdorf gültigen Regeln verhält. Kommen darf aber jeder, egal ob arm, ob reich, egal ob Junge oder Mädchen, egal welchen Glauben er hat.
Handys und Laptops bleiben draußen
Bis zu 50 Kinder können gleichzeitig beherbergt werden. Zu den klaren Regeln gehört aber, dass Handys, Laptops und ähnliche moderne Geräte im „Samen“nicht gestattet sind. Auch einen Fernseher sucht man vergebens. Dafür gibt es Trommeln und Musikinstrumente. Nur der Chef selbst, der ein Buch mit dem Titel „Das Kind, der Vater“geschrieben und den Verein „Freie Menschen Kinderindianerdorf Samen“gegründet hat und der mit seiner Partnerin ein halbes Jahr ganz im Dorf lebt und im Winter - auch dann gibt es Leben im „Samen“– meist in einer normalen Wohnung, kommt aus organisatorischen Gründen nicht ganz ohne Handy aus. Nach zehn Jahren ist er ein total glücklicher Mensch und sagt: „Das Dorf ist für mich mein Leben. Ich gehe voll und ganz in ihm auf.“