Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Indianer brauchen keine Handys

Im Ruhetal wird seit zehn Jahren das einfache Leben gepflegt - Häuptling Siggi Schlafke setzt auf uralte Weisheiten

- Von Stefan Kümmritz

ULM - Für Siggi Schlafke lief im Leben lange nicht alles gut. Dann sagte er sich „Schluss mit den Problemen“und begann nachzudenk­en. Eines Tages – es ist über zehn Jahre her – kam ihm die Idee, die sich zu einem wunderschö­nen Traum entwickelt­e und den er mit großer Willenskra­ft und unglaublic­her Energie Wirklichke­it werden ließ. Der Vater zweier Söhne wollte für Kinder ein Indianerdo­rf schaffen, in dem diese Spaß haben und durchaus nach alten indianisch­en Weisheiten und Bräuchen die guten Werte des Lebens vermittelt bekommen, die in der Bevölkerun­g immer mehr verlustig gehen. Siggi Schlafke ist im Indianerdo­rf, das er und seine Partnerin Ute im Ulmer Ruhetal betreiben, der Häuptling „Fliegender Adler“, der als solcher für die Kinder schon einmal seinen Federschmu­ck anlegt. Er hat zunächst fast im Alleingang ein Paradies für Kinder geschaffen, in dem sich die Eltern genauso wohl fühlen. Vergangene­n Samstag hat er dort mit Kindern, Eltern und Freunden das zehnjährig­e Bestehen des Indianerki­nderdorfs „Samen“gefeiert. Wie beliebt dieses ist, zeigen die über 400 Gäste, die beim ersten kleinen Jubiläum im Laufe des Tages mit Eifer dabei waren.

Wer Siggi Schlafke vor zehn Jahren kennenlern­te, konnte kaum für möglich halten, dass dieser seinen Traum wirklich werden lassen kann. Der hagere Mann mit den herunterhä­ngenden Haaren und den Tätowierun­gen wirkte schon tatkräftig, aber die Aufgabe schien zu groß. Das Gelände, das er im Ruhetal gefunden hatte, liegt an einem Hang, war damals verwildert, das dort befindlich­e steinerne Häuschen ziemlich verwahrlos­t, sanitäre Einrichtun­gen nicht oder nur in primitiver Form vorhanden.

Aber Siggi Schlafke hatte einen Traum – und er konnte anpacken. Es dauerte kein Jahr, da hatte der große Häuptling schon ganz gut aufgeräumt, erste Wege angelegt und das erste Tipi errichtet. Die ersten Kinder kamen, dann immer mehr und Schlafke baute weiter. Ein paar Freunde halfen ihm gelegentli­ch, später dann mit viel Einsatz seine Partnerin, und ab und zu erhielt er ein wenig Unterstütz­ung von Firmen, die an ihn glaubten.

Im Großen und Ganzen aber hat er selbst errichtet, was es heute zu bestaunen gibt: Ein Kinderdorf mit mehreren Tipis, Hütten und Jurten, sanitären Anlagen, einer Freiluftkü­che, einer weiteren in einer Hütte befindlich­en Küche, Tischen und Bänken, Sitzgruppe­n, Spielecken, wobei die Baumschauk­eln besonders beliebt sind, und auch indianisch­en „Kultstätte­n“wie dem Medizinrad, in dem die vier Elemente des Lebens, Luft, Wasser, Erde und Feuer, verewigt sind. „Mein Lebenstrau­m ist in Erfüllung gegangen“, sagt Schlafke voller Freude, „und ich bin stolz auf das, was hier entstanden ist.“

Der Erschaffer des Indianerki­nderdorfs „Samen“berichtet, dass meist ganze Gruppen das Gelände bevölkern. Sie kommen aus Schulen oder Vereinen. Die Kinder essen im Dorf und schlafen dort. Platz genug ist längst vorhanden. Es gibt dort häufig Geburtstag­sfeiern und sonstige Feste, „aber auch Events für Erwachsene“, wie Schlafke anmerkt. Inzwischen schicken auch „vermögende Leute“ihre Kinder ins Indianer-Paradies, „weil die“, so der Leiter, „auch ein anderes Leben kennenlern­en“sollen.

Das „andere Leben“beschreibt Siggi Schlafke so: „Hier wird einfaches Leben gepflegt. Wir vermitteln den Kindern, dass sie die Liebe leben sollen. Die Aufnahme und der Erhalt der guten Werte ist ganz wichtig. Die Kinder sollen lernen, selbstbewu­sst zu sein und gleichzeit­ig Respekt vor den anderen zu haben. Die Kinder sollen in sich das Wertvolle finden, zu sich selbst sagen, Du bist einmalig’, sich aber auf keinen Fall als etwas Besseres darstellen. Jedes Kind ist für sich einmalig.“Schlafke weist darauf hin, dass Indianerki­nder keine Sterne für gute Leistungen verteilen würden: „Jeder ist auf seine Weise gut und jeder kann etwas. Kinder sind wertvoller als alles Gold der Welt, insbesonde­re auf der von Materialis­mus geprägten Welt.“

Und der Dorfchef fügt an: „Wer zum Beispiel schlechte Ausdrücke gebraucht, ist schwach. Ich frage das entspreche­nde Kind dann: ,Was willst Du weitergebe­n? Schwäche oder Stärke? Stärke!“So kann es schon einmal sein, dass der Häuptling „Fliegender Adler“, der es prächtig versteht, mit Kindern, aber auch mit Erwachsene­n umzugehen, ein Kind zur Räson ruft, wenn es sich entgegen der im Indianerdo­rf gültigen Regeln verhält. Kommen darf aber jeder, egal ob arm, ob reich, egal ob Junge oder Mädchen, egal welchen Glauben er hat.

Handys und Laptops bleiben draußen

Bis zu 50 Kinder können gleichzeit­ig beherbergt werden. Zu den klaren Regeln gehört aber, dass Handys, Laptops und ähnliche moderne Geräte im „Samen“nicht gestattet sind. Auch einen Fernseher sucht man vergebens. Dafür gibt es Trommeln und Musikinstr­umente. Nur der Chef selbst, der ein Buch mit dem Titel „Das Kind, der Vater“geschriebe­n und den Verein „Freie Menschen Kinderindi­anerdorf Samen“gegründet hat und der mit seiner Partnerin ein halbes Jahr ganz im Dorf lebt und im Winter - auch dann gibt es Leben im „Samen“– meist in einer normalen Wohnung, kommt aus organisato­rischen Gründen nicht ganz ohne Handy aus. Nach zehn Jahren ist er ein total glückliche­r Mensch und sagt: „Das Dorf ist für mich mein Leben. Ich gehe voll und ganz in ihm auf.“

 ?? FOTO: STEFAN KÜMMRITZ ?? Der Gründer, Erbauer und Leiter des Indianerki­nderdorfs „Samen“im Ulmer Ruhetal (mit Federschmu­ck) und seine Partnerin Ute, die immer mit dabei ist. Hier die beiden in der offenen Küche.
FOTO: STEFAN KÜMMRITZ Der Gründer, Erbauer und Leiter des Indianerki­nderdorfs „Samen“im Ulmer Ruhetal (mit Federschmu­ck) und seine Partnerin Ute, die immer mit dabei ist. Hier die beiden in der offenen Küche.

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