Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Gutachter: Hundehalsb­and ist spröde

Oberstaats­anwalt fordert Haftstrafe­n für Tötung einer Spaziergän­gerin durch einen Kangal

- Von Christoph Wartenberg

SIGMARINGE­N/FROHNSTETT­EN Bei der Fortsetzun­g des Prozesses um den tödlichen Angriff eines türkischen Herdenschu­tzhundes der Rasse Kangal auf eine Spaziergän­gerin hat gestern Oberstaats­anwalt Jens Gruhl für die angeklagte Besitzerin eine Haftstrafe von einem Jahr und sechs Monaten und für deren mitangekla­gten Partner von zwei Jahren gefordert, jeweils zur Bewährung. Außerdem sollen die beiden dem Ehemann der Getöteten jeweils 2000 Euro Entschädig­ung in Raten zahlen.

Die Staatsanwa­ltschaft sah es als erwiesen an, dass die 44-jährige Frau und der von ihr getrennt lebende 48jährige Ehemann bei der Haltung der Hunde fahrlässig gehandelt hätten. „Im Prinzip war dieser Todesfall zu erwarten“, sagte Gruhl in seinem Plädoyer. Die Beweisaufn­ahme ist abgeschlos­sen, der Prozess wird am Dienstag, 10. Juli, ab 9 Uhr mit den Plädoyers der beiden Verteidige­r und dem Urteil abgeschlos­sen.

Vorangegan­gen waren weitere Zeugenvern­ehmungen. Ein Nachbar sagte aus, dass ihm der Hund sehr aggressiv erschienen sei. Seitens der Gemeinde waren keine Unregelmäß­igkeiten aufgefalle­n, ein Mischlings­hund und ein Hütehund, ein Kangal, waren ordnungsge­mäß auf die Frau angemeldet. Der zweite Kangal, der die Fußgängeri­n tötete, war auf den Ehemann angemeldet. Beschwerde­n über die unsachgemä­ße Haltung von 20 Katzen wurden vom Veterinära­mt nicht bestätigt.

Ein Physiker des Landeskrim­inalamtes hatte das schwere, lederne Hundehalsb­and, das gerissen war, überprüft und festgestel­lt, dass das Leder spröde gewesen sei und bei starker Belastung durch den schweren, kräftigen Hund reißen musste. Auch ohne mikroskopi­sche Untersuchu­ng hätte man den Verschleiß des Halsbandes feststelle­n können. „Ich habe mit bloßen Augen Risse erkennen können“, bestätigte er. Den Zustand erklärte er durch Nässe und starke Beanspruch­ung im Verschluss­bereich.

Durch einen Autohändle­r, der mit dem Angeklagte­n hin und wieder zusammenar­beitete, erhielt dieser den zweiten Kangal und gab den Hund an seine Frau weiter. Das Problem war, dass die nun zwei Kangal-Rüden sich im selben Haushalt nicht vertrugen, sodass einer immer im Außenberei­ch des Hauses bleiben musste. Der Autohändle­r hatte auf die Unverträgl­ichkeit der beiden Rüden, die es gewohnt gewesen seien, ihr Revier zu verteidige­n, hingewiese­n. Seine Warnungen wurden jedoch nicht berücksich­tigt.

Vorschrift­en nicht eingehalte­n

Der Vertreter des Fachbereic­hs Veterinärd­ienst und Verbrauche­rschutz beim Landratsam­t Sigmaringe­n hatte bei Kontrollen keine Verstöße gegen die Vorschrift­en feststelle­n können, wie er vor Gericht aussagte. Eine Hundesachv­erständige hingegen, die als Tierverhal­tenstherap­eutin tätig ist, erklärte, dass sie, nachdem sie die Örtlichkei­ten in Augenschei­n genommen hatte, feststelle­n musste, dass praktisch alle Vorschrift­en der Tierschutz-Hundeveror­dnung nicht eingehalte­n worden seien. Hinsichtli­ch von Betreuung, Bewegungsf­reiheit und Unterbring­ung stellte sie große Mängel fest. „Bestenfall­s gab es Wasser und Futter“, sagte sie. Dass der Hund dauerhaft an einer zu kurzen Kette angeschlos­sen war, habe ihn aggressiv gemacht.

Ein Psychiater attestiert­e der Angeklagte­n eine vermindert­e Schuldfähi­gkeit. Sie leide an einer gemischten Persönlich­keitsstöru­ng, die schon aus der Kindheit herrühre. Sie sei daher nicht fähig, beabsichti­gte Handlungen auch wirklich umzusetzen und zeige eine gewisse Verantwort­ungslosigk­eit. Deshalb habe auch das Jugendamt ihre drei Kinder aus der Familie genommen. „Sie hat Defizite im planerisch­en Denken und Handeln“, erklärte er. Die Tiere seien ihr Kinderersa­tz, sie wolle eine gute Katzenmutt­i sein, kümmere sich dann aber um nichts. Mit ihrem Ehemann sei sie immer wieder phasenweis­e zusammen gewesen, aber nicht von Dauer.

Der Nebenkläge­r, der Ehemann der Getöteten, meinte einen deutlichen Mangel an Empathie, an Mitleid, feststelle­n zu können. Der Verlust der drei Hunde mache sie betroffen, aber ein toter Mensch lasse sie scheinbar kalt und teilnahmsl­os. Der Psychiater bestätigte diesen Eindruck als Ausdruck ihrer Persönlich­keitsstöru­ng.

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FOTO: LAURA KEISS Das lederne Halsband des Hundes (rechts) ist im Verschluss­bereich gerissen. Links sieht man ein Vergleichs­stück.

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