Schwäbische Zeitung (Laupheim)
„Wir waren noch Straßenfußballer“
Fußball: Schalke-Legende Klaus Fischer zu Besuch bei den Donauknappen Oberschwaben
ENNETACH - Klaus Fischer, Vizeweltmeister von 1982, der insgesamt 535 Spiele für den TSV 1860 München, den FC Schalke 04, den 1. FC Köln und den VfL Bochum absolviert hat, hat den Schalke-Fans des Bezirks 23 – darin sind die Schalke-Fanclubs aus Südhessen, Rheinland-Pfalz, BadenWürttenberg und Bayern versammelt – einen Besuch abgestattet. Die Donauknappen Oberschwaben, SchalkeFanclub aus der Region, waren Gastgeber der Bezirksversammlung im Adler in Ennetach.
Klaus Fischer, inzwischen 68 Jahre alt, ist immer noch fit. „Ich spiele nach wie vor in der Traditionsmannschaft des FC Schalke 04, gehe laufen und spiele Golf“, erklärt der 45-malige Nationalspieler (32 Tore) und 535-fache Bundesligaspieler (268 Tore, Platz zwei hinter Gerd Müller in der „ewigen“Rangliste) seine körperliche Verfassung. Denn bis auf die weißen Haare hat sich der aus dem bayerischen Zwiesel stammende Fischer nicht sehr verändert.
Kritik an heutiger Generation
Der einstige Angreifer der „Knappen“und der deutschen Nationalmannschaft, der bei zwei Weltmeisterschaften für Deutschland am Ball war (1978 in Argentinien, 1982 in Spanien) – Markenzeichen Fallrückzieher (Tor des Jahrhunderts) – macht einen rundherum unkomplizierten Eindruck, unterschreibt den Stapel Autogrammkarten, den er mitgebracht hat, Trikots, T-Shirts, Poster, steht für Fotos und Selfies zur Verfügung. Die Autogrammkarten gehen irgendwann zur Neige. Fischer, ganz unkompliziert, verabschiedet sich kurz Richtung Auto: „Ich habe draußen noch welche“, geht und kommt ein paar Minuten später wieder. Klaus Fischer, einer vom alten Schlag. Er ist da für die Fans. Das empfiehlt er auch der heutigen Spielergeneration. „Ich sage das immer wieder. Die Fans tolerieren, wenn die Spieler viel Geld bekommen. Sie erwarten nur eines: Dass sich die Spieler auf dem Platz zerreißen, dass sie da unten in den 90 Minuten alles geben“, sagt Fischer und deutet auf einen imaginären Platz vor ihm auf dem Tisch.
Den seit einem Jahr amtierenden Schalke-Trainer Domenico Tedesco hält er für eine gute Wahl, einer der taktisch etwas draufhabe. „Tedesco hat zu Beginn seiner Amtszeit auch die ehemaligen Spieler eingeladen. Sich angehört, was sie zu sagen haben. Tedesco war der Erste, der das gemacht hat“, sagt das heutige Aufsichtsratsmitglied Klaus Fischer. Es gab eine Zeit, da wäre er selbst um ein Haar längerfristig Trainer der Bundesligamannschaft geworden. Zweimal sprang Fischer, Inhaber der Fußballlehrerlizenz, für jeweils sechs Spiele ein. 1990 konnte auch Fischer als Nachfolger von Peter Neururer den Abstieg in die 2. Bundesliga nicht mehr verhindern. 1992 rettete er die Königsblauen vor dem abermaligen Abstieg, nachdem er Aleksandar Ristic abgelöst hatte. Dabei überzeugte der damals 43-Jährige den Präsidenten, „Sonnenkönig“Günther Eichberg, so, dass der ihn zum Cheftrainer für die Saison 1992/1993 machte. Scheinbar. „Ich habe am Bodensee einen handschriftlich aufgesetzten Vertrag unterschrieben.“
Arbeit mit Kindern
Einige Wochen später habe er hinterrücks von der Verpflichtung Udo Latteks erfahren. „Günther Eichberg hat mich dann nach Düsseldorf einbestellt. Da saßen sie alle, auch Udo. Da wusste ich, was kommt, und bin den Herren zuvorgekommen“, schilderte Fischer den Nachmittag. Fischer bekam zwar das Geld als Cheftrainer, trainierte aber die Amateure von 1992 bis 1995. Warum er dennoch nie die große Trainerlaufbahn einschlug? „Ich habe 1997 eine Fußballschule gegründet.“Die nahm und nimmt immer noch viel Zeit in Anspruch. „Die Arbeit mit Kindern macht mir ohnehin viel mehr Spaß. Wir gehen in die Vereine, bieten Camps an. Im Gegensatz zur Knappenschule (Kinderfußballabteilung des FC Schalke, Anm. d. Red.) darf bei uns jeder mitmachen.“Auch Fischer selbst ist dabei noch als Trainer aktiv, wenn es die Zeit zulässt.
Darauf beschränkt sich Fischers Trainertätigkeit heute. Ansonsten sitzt er lieber auf der Tribüne und schaut sich die Spiele „seiner“Schalker an. „Ich besuche jedes Heimspiel“, sagt Fischer, der seinen Lebensmittelpunkt nach wie vor im Pott hat. Und dort oben, auf der Tribüne, macht er sich auch Gedanken über die heutige Spielergeneration. „Leider kann heute kaum noch einer eine vernünftige Flanke schlagen“, bedauert er eine abhandengekommene Fähigkeit. „Früher, bei Rüdiger Abramczik und mir, wusste jeder, wohin der andere läuft. Auch weil wir sehr viel miteinander gesprochen haben.“Die Kommunikation der Spieler abseits des Platzes vermisst Fischer heute. „Abi und ich waren Zimmergenossen, im Verein und in der Nationalmannschaft. Wir wussten, was der andere tut.“
Viele Spieler seien heute zudem schlecht beraten. Als Beispiel nannte Fischer dabei Max Meyer. „Der Junge lehnt ein Vertragsangebot über fünfeinhalb Millionen Euro pro Jahr ab, steht derzeit ohne Verein da.“So etwas sei das Resultat schlechter Beratung. „Es gibt auch gute.“Aber viele sähen nur das schnelle Geld. Das hänge auch mit dem Bosman-Urteil zusammen, nachdem ein Spieler nach Ablauf des Vertrags ablösefrei wechseln kann.
Auf die Frage, was ihm passiert wäre, wenn er vor 50 Jahren mit 18 mit einem Berater aufgetaucht würde, lächelt er milde und verweist darauf, dass es die damals gar nicht gegeben habe. „Wir waren Straßenfußballer. Wir hatten nichts außer Fußball. Das ist heute sicher ganz anders“, sagt Fischer und schreibt noch ein paar weitere Autogramme.