Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Deutschland hat ein Bayernproblem
Die Münchner Achse im DFB-Kader, Garant der WM-Siege 1974 und 2014, schwächelt
WATUTINKI - Das Ding war gesetzt, ein Qualitätsmerkmal, verlässlich, zuverlässig: der Bayernblock. Ein Gütesiegel für frühere deutsche Nationalmannschaften.
Die Abteilung „Mia san Deutschland“schwächelt seit Wochen, was besonders im Auftaktspiel der WM gegen Mexiko augenscheinlich wurde. Die Abwehrchefs Jérôme Boateng und vor allem Mats Hummels, selbst freilich einer der schwächsten, beklagten sich nach dem 0:1 vehement, in der Defensive an akuter Einsamkeit gelitten zu haben, auch weil der aus Bösingen stammende, aber ebenfalls in München tätige Rechtsverteidiger Joshua Kimmich stets zu mittig und zu weit vorne rumturnte. Schon in den vorherigen Testländerspielen wirkte Kimmich teils fahrig und unkonzentriert, nicht auf seinem gewohnt stabilen Leistungsniveau.
„Sehe alle in der Verantwortung“
Thomas Müller lief als Rechtsaußen mehr im Nirgendwo umher, konnte seine Raumdeuterfähigkeiten nicht unter Beweis stellen. Wo Müller doch eigentlich WM-Liebhaber ist, in den 13 WM-Spielen vor Turnierbeginn zehn Treffer erzielt und sechs vorbereitet hatte. Auch in der abgeschlossenen Bundesligasaison kam Müller nicht recht in Schwung, am Ende standen 15 Tore in 45 Pflichtspielen. Und die Enttäuschung, unter Trainer Jupp Heynckes nicht das anvisierte Triple, sondern nur die Meisterschaft gewonnen zu haben. Die überraschende 1:3-Schlappe im Pokalfinale gegen Eintracht Frankfurt drückte kurz vor der Abreise ins WM-Trainingslager zusätzlich auf die Stimmung.
Kapitän Manuel Neuer, der einzige Lichtblick unter den Bayernprofis im Auftaktspiel, machte am Dienstag vor der Abreise der Mannschaft nach Sotschi auf Optimismus mit Blick auf das womöglich schon über alles oder nix entscheidende zweite Gruppenspiel gegen Schweden am Samstag. „Wir haben ab jetzt nur noch Finals. Jetzt muss von uns was kommen, wir müssen zeigen, was uns in der Vergangenheit stark gemacht hat. Wir glauben und wissen, dass wir das schaffen. Wir sind fest davon überzeugt, dass wir uns für die K.o.-Runde qualifizieren“, sagte er. Dazu braucht es zwei Siege gegen Schweden und Südkorea sowie eine deutliche Reaktion der Führungsspieler, speziell des Bayernblocks. „Ich sehe alle in der Verantwortung“, betonte Neuer, „viele erfahrene Spieler wollen und müssen nun Verantwortung übernehmen. Wir haben Spieler dabei, die einige Turniere gespielt haben.“
Ab 1. Juli sind acht Spieler des FC Bayern im WM-Kader
Die Vorteile des Bayernblocks liegen – in der Theorie zumindest – auf der Hand. „Wir spielen im Verein und in der Nationalmannschaft jetzt schon lange zusammen“, sagte Boateng, „wir kennen uns gut, das ist natürlich von Vorteil und besser, als wenn jeder aus einem anderen Verein kommt.“Müller erklärt: „Man kennt die Eigenschaften, die ein Spieler auf dem Platz bringt, besser. Welche Wege er geht, sowohl offensiv als auch defensiv.“Doch schon vor dem Mexikospiel warnte der Bayer, sich zu sehr auf die bayerische Blockbildung zu verlassen: „Natürlich kennt man sich besser, was nicht heißt, dass es automatisch besser funktioniert!“
Womöglich kommen Mittelfeldspieler Sebastian Rudy und Innenverteidiger Niklas Süle in den letzten beiden Gruppenspielen zu Einsatzminuten, darauf hofft auch Leon Goretzka, der zum Stichtag 1. Juli nicht mehr Schalker, sondern Bayernprofi ist. Dann wären es insgesamt acht Münchner Profis im aktuellen WMKader – falls Deutschland im Juli noch im Turnier ist.
Wie stark war der Bayernblock bei den letzten drei Titelgewinnen vertreten? Bei der Heim-WM 1974 bildete ein Münchner Sextett das Gerüst für den Titel: Sepp Maier, Franz Beckenbauer, Paul Breitner, Katsche Schwarzenbeck, Uli Hoeneß und Gerd Müller hatten wenige Wochen zuvor den Europapokal der Landesmeister gewonnen. Der Kern um Kaiser Franz regierte auch 1990 in der DFB-Elf. Als man unter Teamchef Beckenbauer Weltmeister wurde, waren sechs Spieler des FC Bayern in Italien dabei, im Finale von Rom liefen allerdings nur zwei (Klaus Augenthaler und Jürgen Kohler) auf, mit Stefan Reuter wurde ein weiterer eingewechselt. Die WeltmeisterAchse von Rio 2014 bildeten Kapitän Philipp Lahm, Neuer, Boateng, Müller, Bastian Schweinsteiger und Toni Kroos (verabschiedete sich nach der WM zu Real Madrid). Dazu kam Finalsiegtorschütze Mario Götze, der ein Jahr zuvor aus Dortmund nach München gewechselt war.
Ob wie 1974 (Gerd Müller) und 2014 (Mario Götze) auch diesmal wieder ein Bayernprofi den entscheidenden Treffer im Finale erzielt? Ein schöner Traum – und ein weiter, weiter Weg.