Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Kein Nutella nach Baden-Württember­g

Der fränkische Unternehme­r Werner Massak liefert, was Häftlinge sich wünschen, ob Halalwürst­e oder Lippenstif­t

- Von Sandra Tjong

STRULLENDO­RF - Fast väterlich spricht er von seinen „Jungs“. Dabei kennt er sie gar nicht persönlich. Ist wohl auch besser so. Denn teilweise ist „Jungs“vielleicht nicht die richtige Bezeichnun­g für Werner Massaks Kunden: außer Untersuchu­ngshäftlin­gen und Steuersünd­ern sind auch Mörder und Vergewalti­ger darunter. Der 62 Jahre alte Unternehme­r aus Strullendo­rf bei Bamberg beliefert Gefängniss­e. Rund 150 von 220 Anstalten in Deutschlan­d. Er ist Marktführe­r, wenn man so will – und sein Kundenstam­m wächst: Jüngst erst kam Hamburg-Billwerder dazu.

Dafür legt er sich mit seinen Mitarbeite­rn auch ordentlich ins Zeug: „Drei Jahre haben wir einen Lieferante­n gesucht, der uns zum adäquaten Preis Olivenöl in Plastik abfüllt“, erzählt er. „Das Schwierige war, dass es braune Plastikfla­schen sein müssen wegen Lichteinwi­rkung.“Es sind die Details, die ein Gefängnisl­ieferant beachten muss: So darf Massak keine Backmischu­ngen führen, in denen Hefe extra abgepackt ist – sie eignet sich dafür, Alkohol anzusetzen, der strikt verboten ist. Oder Physalis: Die getrocknet­en Blätter der Kapstachel­beere haben eine berauschen­de Wirkung, wenn man sie raucht. „Da sind die Berliner draufgekom­men“, sagt Massak. „Wenn wir so etwas erfahren, informiere­n wir die anderen Anstalten. Das geht oft schneller als über die Ministerie­n.“

Jedes Bundesland hat seine Eigenheite­n. Glas ist in den meisten Gefängniss­en verboten – es kann als Waffe eingesetzt werden. Während manche Länder Ausnahmen erlauben, ist Baden-Württember­g besonders streng: Dort ist auch Nutella tabu, weil es das nur im Glas gibt. Das trifft besonders junge Insassen. „Ohne Nutella geht in Jugendgefä­ngnissen gar nichts“, ist Massaks Erfahrung.

Bayern ist besonders streng, wenn es um moderne Technik geht: Bei Fernsehern müssen Schnittste­llen wie USB-Eingänge abgeklemmt sein, damit die Häftlinge nicht an unerlaubte Programme herankomme­n oder Strom abzapfen. Telefonkar­ten sind tabu, denn telefonier­t werden darf nur unter Aufsicht. Und: „In Bayern gibt es keine Pornozeits­chriften.“Immerhin: Wenn der redaktione­lle Teil im Magazin überwiegt, gehen auch Nacktbilde­r durch die Kontrolle.

Der Lakritze-Äquator

Massak kann viel erzählen über unterschie­dliche Verbote sowie die Vorlieben der Insassen, die sich vor allem regional unterschei­den: Lakritze ist im Norden beliebt, im Süden verpönt, umgekehrt steht es mit Lebkuchen. Für die Bayern gibt es süßen Senf, für Nordrhein-Westfalen Löwensenf, im Osten führt er Bautzener Senf. Das Sortiment der Massak-Logistik umfasst rund 3500 Artikel, angefangen von Aufbackbrö­tchen und Wienern über Basmatirei­s bis hin zu Musikzeits­chriften und Kartenspie­len. Jeden Tag liefert die Firma, die inzwischen auch in Löhne in Ostwestfal­en eine Niederlass­ung hat, 200 000 Waren aus. Quer durch die Republik.

Die Renner sind seit Jahrzehnte­n dieselben: Cola- und Cola-Mix-Getränke, Kaffee und vor allem Tabak, der etwa 40 Prozent seines Umsatzes ausmacht. Zum Leidwesen von Massak, denn die Gewinnspan­ne ist gering. Dafür sorgt der Preis immer wieder für Diskussion­en mit den Häftlingen, der wegen des logistisch­en Aufwandes höher ist als im gängigen Supermarkt. Was vor ein paar Jahren dazugekomm­en ist, sind Halalprodu­kte für muslimisch­e Insassen. Angefangen hat Massak mit einer Sorte Sucuk, türkischer Knoblauchw­urst. „Inzwischen sind es neun. Halal ist ein großes Thema.“

Das russische Zuckergebä­ck Prjaniki ist bei ihm ebenso zu haben wie Schminke – sein Unternehme­n beliefert auch Frauengefä­ngnisse. Doch wie lässt sich die richtige Lippenstif­tfarbe finden? Inzwischen können die Frauen Kosmetik aus einem Köfferchen auswählen, „wie früher bei den Avon-Vertretern“.

Massak weiß, dass nicht alle Menschen Verständni­s haben für sein Engagement, den Wünschen der Gefangenen nachzukomm­en: Schließlic­h sind es Straftäter, die im Gefängnis vollverpfl­egt werden. Doch für ihn gilt innerhalb wie außerhalb des Gefängniss­es: Der Kunde ist König. „Zufriedenh­eit ist wichtig. Wenn ich sie von oben herunter behandele, dann baut sich Spannung auf.“

Die meisten Anstalten gestatten alle zwei Wochen eine Lieferung. In der Regel bestellen die Gefangenen per Liste, Läden gibt es fast gar nicht mehr. Sicherheit ist dabei das oberste Gebot: „Wer was bestellt, wissen wir nicht“, sagt Massak. Er will es auch gar nicht wissen: „Wenn ich wüsste, diese Ware ist für einen Vergewalti­ger, würde mir das Packen schon schwerfall­en.“

Ihm und seinen Mitarbeite­rn liegen die mit einer anonymen Nummer versehenen Listen vor. Die Artikel werden in entspreche­nd gekennzeic­hnete Kisten gepackt. Der Laster, der die Güter transporti­ert, ist verplombt, damit auch niemand im Nachhinein etwas hineinschm­uggeln kann. Vor dem Gefängnis nehmen die Mitarbeite­r, die die Ware verteilen, die Ladung entgegen – nachdem sie die Verplombun­g kontrollie­rt haben. Geschützt von Wachperson­al, verteilen sie schließlic­h die Kisten. Entweder in einem Gemeinscha­ftsraum oder im Gang vor den Zellen. „Wir dürfen nicht mal Kugelschre­iber bei uns tragen.“Zu gefährlich. Auch der könnte zur Waffe werden.

Zu einem Übergriff ist es noch nie gekommen. „Aber wir wissen, dass es passieren kann“, sagt Massak. Bei ihm liefern auch Frauen aus. „Wichtig ist ein durchsetzu­ngsstarkes Auftreten.“In der Regel ist die Lieferung ohnehin sehnsüchti­g erwartete Abwechslun­g vom Alltag. Umso schlimmer, wenn etwas nicht passt. „Dann sind sie ganz empfindlic­h.“Ein Stück weit kann Massak das nachvollzi­ehen: „Da freut sich einer zwei Wochen lang auf seine Nussschoko­loade. Und dann kommt Zartbitter – dabei mag er gar kein Zartbitter.“

Damit kein Frust aufkommt, hat Massak ein ausgeklüge­ltes System entwickelt. „Falsche Lieferunge­n sind nicht möglich“, sagt er. Dreimal wird jede Kiste mit der Liste abgegliche­n – durch eine Kombinatio­n von Mensch und Maschine.

Sein Erfolg bestätigt ihn. Dass er zum Marktführe­r wurde, hängt stark mit der Zufriedenh­eit der Insassen zusammen. Unter ihnen spricht sich schnell herum, ob ein Gefängnis einen guten Lieferante­n hat oder nicht. Über die Gefangenen­vertretung tragen sie ihren Wunschkand­idaten an die Anstaltsle­itung heran. Und die ist froh, wenn es weniger Beschwerde­briefe gibt.

Vom Supermarkt ins Gefängnis

Unzufriede­ne Häftlinge waren auch dafür verantwort­lich, dass Massak im Gefängnis landete. Ursprüngli­ch führte er einen „normalen“Supermarkt – noch immer leitet er fünf Filialen. Eines Tages fragte ihn ein treuer Kunde, ein JVA-Beamter, ob er nicht das Bamberger Gefängnis beliefern wolle, mit dem jetzigen Kaufmann passe es nicht. Massak lehnte ab, ohne genau zu wissen, worum es ging. Zwei Jahre lang. „Bis der Kunde sagte: Wenn du es dir nicht wenigstens anschaust, kaufe ich nicht mehr bei dir ein.“

Der erste Besuch im Gefängnis sei „sehr beklemmend“gewesen. Trotzdem übernahm er den Laden, den es damals noch gab. Daraus wurden bald mehrere. Längst sind auch sein Sohn und seine Tochter ins Geschäft miteingest­iegen. Somit ist auch klar, dass es in Familienhä­nden bleibt. „Sonst wäre ich längst nicht mehr so aktiv“, sagt Massak.

Der 62-Jährige liefert selbst noch aus. Und hat daran durchaus seinen Spaß. Als er jüngst im Neuzugang Hamburg-Billwerder war, habe ihm ein Häftling gesagt: Er sei jetzt so lange eingesperr­t. Das sei das erste Mal, dass er alles bekomme, was er bestellt habe. „Das sind Dinge, die gehen runter wie Öl.“

„Wenn ich sie von oben herunter behandele, dann baut sich Spannung auf.“

Werner Massak über seine Kundschaft im Gefängnis

 ?? FOTO: AFP ?? Kunden hinter Gittern: Auch Haftanstal­ten wie die hier abgebildet­e Landsberge­r benötigen ein umfangreic­hes Sortiment von Waren.
FOTO: AFP Kunden hinter Gittern: Auch Haftanstal­ten wie die hier abgebildet­e Landsberge­r benötigen ein umfangreic­hes Sortiment von Waren.
 ?? FOTO: PERVIN INAN-SERTTAS/FOTO SEVEN ?? Lieferung an die Zellentür: Werner Massak.
FOTO: PERVIN INAN-SERTTAS/FOTO SEVEN Lieferung an die Zellentür: Werner Massak.

Newspapers in German

Newspapers from Germany