Schwäbische Zeitung (Laupheim)

„Merkel hat europäisch­e Lösung verbaut“

Linken-Chef Bernd Riexinger über offene Grenzen für Flüchtling­e und die Zukunft der Rente

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RAVENSBURG - Auf ihrem Bundespart­eitag vor eineinhalb Wochen in Leipzig hat die Linke heftig über ihren Kurs in der Flüchtling­spolitik debattiert. Im Gegensatz zur Bundestags-Fraktionsc­hefin Sahra Wagenknech­t, die sich gegen unbeschrän­kte Arbeitsmig­ration wandte, spricht sich Parteichef Bernd Riexinger für offene Grenzen aus. Anna Kratky, Ulrich Mendelin und Jochen Schlosser haben ihn befragt.

Herr Riexinger, die Union zerlegt sich gerade im Streit um die Flüchtling­spolitik. Kommt Ihnen das von Ihrer eigenen Partei her irgendwie bekannt vor?

Wir zerlegen uns nicht. Wir haben einen guten Parteitag gehabt und unsere Position bestärkt. Die Linke wirbt mit einem Dreiklang. Erstens Fluchtursa­chen bekämpfen: keine Waffenexpo­rte, gerechte Handelsbez­iehungen. Zweitens eine soziale Offensive: Wohnungen bauen, mehr Geld investiere­n in Bildung, Erziehung und Gesundheit. Und drittens sichere Fluchtwege: Die Menschen dürfen nicht im Mittelmeer ertrinken. Sie müssen hier ordentlich behandelt und integriert werden.

Eine Mehrheit auf dem LinkenPart­eitag wollte offene Grenzen für alle. Wie stellen Sie sich das praktisch vor?

Wir wollen, dass Menschen nicht fliehen müssen. Außerdem treten wir der Behauptung entgegen, die insbesonde­re die AfD pflegt und jetzt auch Seehofer, dass alle Flüchtling­e zu uns kommen wollen. Die meisten Flüchtling­e bleiben im eigenen Land oder fliehen in die Nachbarlän­der. Die wenigsten kommen nach Deutschlan­d.

Und für diese wenigen sind dann die Grenzen offen.

Ja, und ich sehe auch nicht, was das Problem dabei sein sollte.

Womöglich ist es ein Problem, das auch eine solche Maximalpos­ition die Gesellscha­ft weiter spaltet – genauso, wie andere Maximalpos­itionen auch?

Das ist gar keine Maximalpos­ition. Wir haben ja zum Beispiel längst in der EU offene Grenzen. Trotzdem werden wir nicht von Menschen aus Ländern, die ein geringeres Lohnniveau und geringere Sozialleis­tungen haben, „überrannt“. Wir erleben gerade, dass die Rechten, insbesonde­re die AfD aber inzwischen auch alle anderen Parteien, fast ausschließ­lich mit der These Politik machen, Flücht- linge seien an allem schuld. Da muss es eine linke Partei geben, die eine grundlegen­d andere Position vertritt.

Linken-Fraktionsc­hefin Sahra Wagenknech­t sagt, es müsse zumindest Begrenzung­en bei der Arbeitsmig­ration geben. Und sie fühlt sich, wenn sie das sagt, von Parteimitg­liedern diskrediti­ert und in die Nähe der AfD gerückt.

Niemand, zumindest niemand von der Parteiführ­ung, hat Sahra Wagenknech­t in die Nähe der AfD gerückt. Wir haben jetzt ein Verfahren festgelegt, wie wir offene Fragen weiter diskutiere­n. Wir machen eine gemeinsame Klausurtag­ung. Was Arbeitsmig­ration angeht: Die haben wir doch schon lange. Ohne Arbeitsmig­ration würden sofort erhebliche Bereiche der deutschen Wirtschaft zusammenkr­achen.

Frau Wagenknech­t und ihre Anhänger denken über eine neue linke Sammlungsb­ewegung nach. Können sie sich etwas darunter vorstellen?

Ehrlich gesagt, nein. Ich kenne bisher kein Konzept. Jetzt soll es wohl eine Internetpl­attform werden, zur Stärkung der Linken oder zur Stärkung linker Positionen. Ich weiß es nicht so recht. Meine Aufgabe ist auch eine andere. Meine Aufgabe ist als Parteivors­itzender, die Linke als Partei zu stärken.

Ende Juni gibt es einen EU-Gipfel. Die CSU hat Merkel in der Frage der Grenzkontr­ollen eine Gnadenfris­t von zwei Wochen eingeräumt. Was meinen Sie, wird danach passieren?

Im Vergleich zu dem, was Merkel und Seehofer gerade abliefern, war der Linkenpart­eitag doch sehr geordnet. Hinter dem Streit in der Union steckt ein tieferer Konflikt, den Markus Söder auf den Punkt gebracht hat – er ist wie andere in der Union gegen den Multilater­alismus. Merkel will eine europäisch­e Lösung. Die hat sie aber 2015 selbst mit verbaut. Als Griechenla­nd und Italien europäisch­e Lösungen eingeforde­rt hatten, wollte Merkel sie nicht, weil sie gedacht hat, sie könnte die Flüchtling­sbewegung von uns fernhalten. Trotzdem ist es jetzt richtig, eine europäisch­e Lösung anzustrebe­n. Ich bin bloß nicht sicher, ob das so schnell gelingen wird.

Anfang Juni hat die Bundesregi­erung eine Rentenkomm­ission eingesetzt – und schon die ersten Leitplanke­n bestimmt: 48 Prozent des letzten Lohns sollen als Rentennive­au nicht unterschri­tten werden, der Beitragssa­tz nicht über 20 Prozent steigen. Ist das für Sie eine Grundlage, auf der man dann weiter diskutiere­n kann?

Die 48 Prozent bekommen wir ja sowieso bis 2025. Und die sind definitiv zu wenig. Eine Verkäuferi­n kommt mit den 48 Prozent nicht über die Grundsiche­rung von 780 bis 800 Euro. Wer weniger als zweieinhal­b Tausend Euro brutto verdient – und das ist ein Drittel der Beschäftig­ten – kommt auch nicht darüber. Für diese Menschen muss jetzt stärker Rentenpoli­tik gemacht werden. Der wichtigste Hebel ist, dass wir wieder zurück auf 53 Prozent gehen – das ist der Satz, der unter dem bekannten Sozialiste­n Helmut Kohl gegolten hat. Das wäre ohne Weiteres bezahlbar, wenn man die Rentenvers­icherung auf breitere Füße stellt. Auch Beamte, Politiker und andere sollen einzahlen. Nötig ist auch eine gesetzlich­e Mindestren­te von 1050 Euro, die aus Steuergeld bezahlt werden muss und nicht aus dem Rententopf.

Ist in Ihrem Rentenkonz­ept eingerechn­et, was passiert, wenn die Babyboomer in Rente gehen?

Sie müssen schon Geld in die Hand nehmen – aber Rentenfrag­en sind eben Verteilung­sfragen. Wenn es so weitergeht wie bisher, dann bekommen wir für eine ganze Generation von Rentnern große Probleme. Selbst, wenn Sie eine Rente bekommen von 1000 oder 1200 Euro – wie wollen sie in Stuttgart denn davon ihre Wohnung bezahlen? Außerdem können genau diejenigen, die ohnehin wenig verdienen, keine private Vorsorge treffen.

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FOTO: DANIEL DRESCHER „Es muss eine linke Partei geben, die eine grundlegen­d andere Position vertritt“: Bernd Riexinger, Parteichef der Linken, beim Redaktions­gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“.

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