Schwäbische Zeitung (Laupheim)
„15 Quadratmeter? Mehr braucht kein Mensch“
Immer mehr Deutsche suchen ihr Wohnglück in Minihäusern
Die Mieten explodieren, Minimalismus ist in, Familien zieht es aufs Land. Da kommt ein Trend aus den USA gerade recht: In „Tiny Houses“leben Menschen eng, aber glücklich auf 15 Quadratmetern. In Oberfranken entsteht nun sogar Deutschlands erstes Tiny Dorf.
„Für einen Wiener Walzer wird’s knapp, aber für eine Rumba reicht's locker“, lacht Peter Pedersen. Mit diesem Spruch führt der Winzighaus-Baumeister aus Neumünster Interessenten durch sein Tiny House. Und tatsächlich: Diese 15 Quadratmeter sind irgendwie „mehr“. Denn was in normalen Wohnungen der Größe eines Kinderzimmers entspricht, reicht bei einem Tiny House für alles: Küche, Wohnraum, Essplatz, Schreibtisch, Bad und zwei Schlafbereiche finden Platz in den zweieinhalb auf acht Meter kleinen Minihäuschen.
Konzentration aufs Wesentliche
Auch von außen sehen sie aus wie Häuser – nur geschrumpft. So ist es nicht verwunderlich, dass die Welle der der Zuneigung für die winzigen Eigenheime aus den USA auch nach Deutschland schwappt: Die einen feiern die Konzentration aufs Wesentliche, andere verlieben sich in die Architektur. Und angesichts explodierender Mietpreise treffen die niedlichen Häuser den Nerv der Zeit. Im oberfränkischen Fichtelgebirge entsteht gerade sogar Deutschlands erstes Tiny House Dorf.
Wer ein Tiny House betritt, erwartet Enge. Doch vor allem die Deckenhöhe, bei Pedersens Haus sind das 3,20 Meter, öffnet den Raum. Denn die obere Etage besteht nur aus zwei Galerien mit Betten – der Rest bleibt offen und macht das Erdgeschoss hell. Und dank der Konstruktion, die jeden Zentimeter nutzt, gibt es sogar Stauraum. „Wenn Leute reinkommen, sind sie überrascht, schweigen und schauen“, erzählt Pedersen: „Dann sagen sie: ,15 Quadratmeter? Mehr braucht kein Mensch’.“
Auch Miriam Wolf und Zoltán Benkö aus München sind Freunde des Mottos „weniger ist mehr“. Das Paar behält nur Dinge, zu denen es eine Verbindung hat. Zoltán sitzt auf dem Boden: Dort, wo bei anderen ein wuchtiges Sofa steht, hat das Pärchen eine Kuschelecke aus Kissen. „Wir brauchen nicht viel“, sagt der 46-Jährige und grinst – immerhin misst er 1,91 Meter. Weil die Naturliebhaber das teure Leben in München satthaben, aber „nicht so die Bausparvertrag-Typen“sind, suchen auch sie nach einer günstigen Lösung für ein Eigenheim.
Ihr Plan: ein Nomadenzelt. In einer Jurte ist es warm, gemütlich konzentriert aufs Wesentliche, sagt die 37-Jährige. Allerdings ist eine Jurte mit 30 Quadratmetern immerhin doppelt so groß wie ein Tiny House. „Der größte Unterschied zu einem Haus ist, dass es keine Fenster gibt“, erklärt Zoltán Benkö. Das bedeutet, man kann nicht nach draußen sehen – aber umso intensiver fühlen. „Wir wollen erleben, wie Winter schmeckt und Frühling klingt, wie Sommer riecht und sich Herbst anfühlt“, freut sich Miriam Wolf. Das Paar stellt sich auf ein ursprüngliches Leben ein: Strom soll es zwar geben, Wasser aber nicht. Die 37-Jährige zuckt mit den Schultern: „Dann gehe ich eben in den nächsten Sportverein zum Duschen.“
Wie früher eine Hütte bauen – dieses Gefühl wecken Tiny Houses bei Christian Bock. „Alle Grundbedürfnisse lassen sich hier verwirklichen“, beschreibt der Tischlermeister aus Hessen: In den Häuschen ist es warm und trocken, man kann essen und schlafen. Auf die Idee, sich ein Zwergenhaus zu bauen, kommt er, als er viel unterwegs ist. Er zeichnet und tüftelt, recherchiert und baut. Und weil er merkt, dass er einen Nerv getroffen hat, konstruiert er die Häuschen mittlerweile auch für andere. Kosten je nach Ausstattung zwischen 35 000 und 60 000 Euro. Ob als Wochenendhaus im Grünen, als Pendlerwohnung, als Homeoffice im eigenen Garten oder als Gästebereich: Ihre Besitzer nutzen die Tiny Homes ganz unterschiedlich. Bock hält es für ideal, sie mit einem zweiten Wohnsitz zu kombinieren: Dort kann alles verstaut werden, für das im Tiny House kein Platz ist – wie Skiausrüstung oder Waschmaschine. Sein Schmuckstück steht auf der Pferdekoppel. „Es ist mein Rückzugsort, den ich nach Feierabend aufsuche“, erzählt er.
Auch im Internet hat die kleine Häuser-Bewegung ein großes Zuhause. Viele Häuschenbauer dokumentieren mit Videos und Fotos den Bauverlauf, ihr Leben – und ihre Reisen. Denn ein Tiny House hat Räder und kann fortbewegt werden. Trotzdem seien sie nicht mit einem Wohnwagen zu vergleichen, betont Bock: „Es ist und bleibt ein Haus“, sagt er. Und wegen des hohen Gewichts bedingt mobil. Definitiv sei es nicht dazu geeignet, fürs Wochenende an den Gardasee zu brettern. Aber alle paar Monate damit umzuziehen sei kein Problem.
Doch wohin mit dem Eigenheim? „Einfach so darf man das Haus nirgendwo aufstellen“, weiß Pedersen. Denn es unterliege dem Baurecht und das unterscheide sich zum Teil von Gemeinde zu Gemeinde. Manchmal kann es helfen, sich mit Gleichgesinnten zusammenzutun – zum Beispiel mit Steffi Beck und Philipp Sanders. Auf der Suche nach einem Grundstück für ihr Tiny House verschlägt es sie ins oberfränkische Fichtelgebirge. Dort kaufen sie ein 17 000 Quadratmeter Grundstück und eröffnen Deutschlands erstes Tiny House Village. In ihrem winzigen Hotel können Minimalisten Urlaub machen. Rundherum bauen sie ein Dorf auf. Es soll eine Gemeinschaft entstehen, die sich hilft, gemeinsam gärtnert und lebt.
Häuschen zu mieten
Wie sich die Abkehr vom Materialismus und ein einfacheres Leben anfühlen, weiß auch Daniel Glasl aus dem Tegernseer Tal. Und er möchte das Gefühl gern vermitteln. Glasl vermietet ein Tiny House im alpenländischen Stil und lädt ein, unnötigen Ballast abzuwerfen – und dadurch zur Ruhe zu finden. „Ich wollte einen Kontrast zu großen und unpersönlichen Hotels schaffen, um das zu geben, worauf es letztendlich ankommt: einen Platz zum Entspannen, an dem man sich angekommen und geborgen fühlt“, erklärt er. Eben eine kleine Heimat.